Einundachtzigstes Kapitel. Über die Sinnlichkeit. Überleitung.
„Gesiegelt ist auf uns das Licht deines Antlitzes, o Herr.“ (Ps. 4.) So hatte Thomas oben mit dem Psalmisten ausgerufen. Was für ein Siegel meinte er? Daß „die ganze Kreatur seufzt unter der Knechtschaft“ des Wechsels, des beständigen Vergehens und Entstehens „und frei werden will in der Freiheit der Kinder Gottes, daß sie in Erwartung ist und in Geburtswehen liegt,“ bis sie die Hülle des Eitlen und Leeren abwerfen und das Kleid der Herrlichkeit anlegen kann. „Der Freund des Bräutigams, der da steht und ihn hört, freut sich frohlockend um der Stimme des Bräutigams willen.“ Das ist das Siegel, welches wir auf uns tragen kraft unserer Vernunft. Die sichtbare Kreatur erscheint in uns in ihrer ganzen Hilflosigkeit. Rein als Vermögen stellt sie sich unserer Vernunft dar. Sie läßt ihr Einzelsein, ihre sklavische Beschränktheit draußen. Verbunden will sie werden mit ihrem Gotte, mit ihrer Freiheit, mit dem Quell ihrer Kraft. Unjere Vernunft ist das Brautzimmer, wo die keusche Natur des Stoffes ihren Gott, die ewige Liebe, findet; und in innigster Verbindung mit ihrem Schöpfer, dem ewigen Worte, fruchtbar wird in guten Werken. Wir aber sind der Freund des Bräutigams, der sich selbst verlassend nur Freude hat über das Wort, welches der Bräutigam spricht. „Je weniger der Mensch sich selber kennt, desto weniger mißfällt er sich selber; je mehr Gott in ihm wirkt, desto mehr sieht er, wie er nichts ist;“ sagt der große Gregor. (Mor. 35, 5.) Der Freund des Bräutigams freut sich nur über die Worte, mit welchen der Bräutigam seine Liebe offenbart. Wie kraftvoll führt Thomas zu dieser Wahrheit! Wer seine Worte so recht liebend durchdenkt, der schaut, wie die ganze sichtbare Natur dazu drängt, innerhalb der Vernunft den Urquell ihres Seins zu finden und von da aus in ihren einzelnen Thätigkeiten zweckgemäß geleitet zu werden; und wie Gott selber der Natur der Vernunft das Siegel aufgedrückt hat, daß sein Antlitz in ihr leuchte und die Züge seiner Güte von ihr aus in die sichtbare Welt hinausstrahlen. „Nur Gottes Wirken ist Sein,“ hatte Thomas oben wiederholt. Was das Geschöpf wirkt, das ist nicht Sein. Denn die Wirkung muß der Art und Weise des Wirkens und diese dem inneren Wesen entsprechen. Das Wesen der Kreatur aber ist nur Vermögen für das Sein. Vom Geschöpfe geht nur eine Wirkung aus, die sein kann, aber auch nicht sein kann, die demnach weiter bestimmbar ist. Was vermögend ist zu sein, eine Vorbereitung für das Sein, wirkt das Geschöpf. Ist seine Wirkung in Wirklichkeit, dann komnlt die Thatsache, kraft deren sie Wirklichkeit hat, vom Wirken Gottes, das da Sein ist; und nicht vom Geschöpfe. Von letzterem kommt nur, daß sie auch wieder nicht sein kann oder etwas anderes sein kann. Dieser Charakter des Geschöpfes erscheint so recht klar in der Vernunft. Tritt die Wirklichkeit da außen in sie ein? Keineswegs! Aber wo bleibt dann die Würde der Vernunft, da doch allein das wirkliche Sein eines Dinges von Bedeutung ist und bestimmende Kraft auszuüben vermag? Die Sinne stehen da dem Anscheine nach höher; denn sie sind unmittelbar mit der Wirklichkeit verbunden. Und höher als die Sinne erscheint noch die Nährkraft, denn nur das Wirkliche berücksichtigt sie. „Gesiegelt ist auf uns das Licht seines Antlitzes.“ Jenes wirkliche Sein, welches die Sinne wahrnehmen, das kann kein bleibendes Siegel aufdrücken; denn es vergeht und entsteht von einem Augenblicke zum anderen; — es kann an sich nur sein und es kann wiederum nicht sein. „Der Freund des Bräutigams freut sich einzig und allein über die Stimme des Bräutigams.“ So weit ist die Vernunft davon entfernt, von dem aus, was vielmehr nicht ist als ist, d. h. von der sichtbaren Wirklichkeit aus bestimmt zu werden, daß dieses Wirklichsein von ihr ausgeschlossen ist; daß es draußen bleiben muß in den Vorhöfen des Herrscherpalastes der Vernunft. Der Herr hat der Vernunft sein eigen Siegel aufgedrückt. Er hat sie schaffen wollen, damit seine Kraft selber, die Allem wahre einzelne Wirklichkeit giebt, die wirkende Kraft des Stofflichen für die Vernunft ersetze. Die Vernunft hat es in sich, es liegt in ihrem Vermögen, daß die durchdringenden Strahlen der „Sonne der Gerechtigkeit“ an sie geheftet sind und sonach von der Seele selber gesagt werden kann: sie, die Seele, hebe auf vom Stoffe den Schleier der Knechtschaft, die Hülle des Nichtseins, des fortwährenden Wechsels. Hier ist die größte Herrlichkeit der menschlichen Vernunft. Ihrer Natur ist es gegeben, daß die nämliche selbe wirkende Kraft, welche die allgemeinen Vermögen in die äußeren Dinge gelegt, damit sie Wirklichkeit tragen, ihr anhaftet und ihr unmittelbar diese Vermögen enthüllt. Die Vernunft nimmt alle diese Vermögen in sich auf und, eins mit ihnen geworden, wird sie nun fähig, alles Einzelne im Stoffe zur höchsten, dauernden Wirtlichkeit zu erheben unter der leitenden Stimme des göttlichen Bräutigams, des Wortes Gottes. Die Vernunft ist unfähig, das Wirkliche wahrzunehmen, sowie es in seiner Unvollkommenheit als Nichtsein im ewigen Wechsel ist. Aber deshalb gerade wird sie durch die Kraft Gottes fähig, jene Wirklichkeit mitzuteilen und nach ihr zu handeln, welche keinerlei Wechsel, keinerlei Nichtsein in sich schließt. Je ferner die erkennenden Fähigkeiten von der bestimmenden Einwirkung der wechselnden Wirklichkeit stehen; desto mehr sind sie fähig, das dauernde Vermögen, welches den Wechsel im Wirklichsein trägt, in sich aufzunehmen. Die Vernunft als höchste erkennende Fähigkeit steht durchaus fern in ihrer Natur der wechselnden Wirklichkeit; diese hat gar keine bestimmende Gewalt über sie. Und deshalb nimmt sie auf in sich die ewigen Wesenheiten und wird eins mit dem allgemeinen Sein in den Dingen. Gottes wirkende Kraft selber enthüllt es ihr und bestimmt sie gemäß dem wirklichen Grunde für das Einzelne, anstatt der schwachen ohnmächtigen Wirklichkeit der Dinge. Daß man nur nie meine, Gottes Einwirken könne irgendwie einer Natur oder einem Vermögen schaden. Je tiefer es ist, desto mehr erhält es die Natur des Vermögens in ihrer Eigenheit; und leuchtet hinein in die Tiefe von dessen Fähigkeit, daß es thätig sei wie es nur immer am besten kann. Er hat ja jedem Dinge, soweit es thatsächlich ist, seine Wirklichkeit gegeben. Er hält deshalb alle Wirklichkeit auch auseinander, jegliches Ding sowie es seine Natur verlangt. Und löst Er los von einem Dinge das wirkliche Sein, so ist dies nur, um ein höheres zu verleihen, ein Wirllichsein, das den Grund in Ihm, in Gott selber hat und gelöst erscheint von allen Banden beschränkender Notwendigkeit. So ist „gesiegelt über uns das Antlitz Gottes“. Denn vermittelst unserer Seele wird die Wirklichkeit des Stoffes von der Schwäche und den Schranken des Wechsels erlöst und als reines bestimmbares Vermögen mit dem ewigen Bräutigam verbunden, daß nun das Wort seiner freien Liebe allein und unmittelbar es zur dauernden Wirklichkeit leite, zum letzten Zwecke führe. Ist die Vernunft nun auch schon notwendig darauf angewiesen, daß nur der höchste Grund ihr Wirken leite? Sie hat es zwar in ihrer Natur, daß die wirkende Kraft des höchsten Grundes ihr vernünftiges Erkennen ermöglicht, daß sie somit sieht, wie sie selber frei ist von den Banden der sichtbaren Wirklichkeit und auch Anderes von diesen Banden lösen kann. Aber damit ist noch nicht es gegeben, daß sie dies auch immer sehen will. Die Geschöpfe treten in die Seele kraft des Vermögens der Vernunft; da können sie Gott finden. Das hat Thomas bis jetzt gezeigt. Die Seele leitet die Geschöpfe nach ihrem Wohle und zur Ehre Gottes zu höherer Wirklichkeit, zur Vollendung im letzten Zwecke in einzelner Thätigkeit in Gott durch ihr Begehren, durch ihren Willen. Damit tritt die Seele thätig ein in die Harmonie der sichtbaren Welt und kann nun wirken nach dem Worte des Bräutigams, über deren Stimme sie sich gefreut, dessen Stimme die Ehre und Verherrlichung ihrer Vernunft ist. Sie soll nun das „Siegel des göttlichen Antlitzes, das ihr aufgedrückt“ auch lieben; sie soll es aufprägen aller Kreatur. Dazu ist es notwendig, die Ordnung, welche in ihren begehrenden Vermögen ist, mit Thomas zu betrachten; um dann zurückzukehren zur Vernunft und zu sehen, wie Alles am Ende in der Selbstkenntnis der Seele seinen Abschluß findet.
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