Fünfter Artikel. Eine besondere Begehr- und Abwehrkraft wird im Willen nicht unterschieden, als ob es zwei solcher Vermögen im Willen gäbe.
a) Das Gegenteil ergiebt sich aus folgenden Gründen: I. Ein gewisser Gegenstand der Begierde kann nicht dem sinnlichen Teile angehören; wie es Sap. 6, 21. heißt: „Die Begierde nach Weisheit führt zu ewiger Herrschaft.“ Ebenso giebt es einen Zorn, der nicht Gegenstand der sinnlichen Abwehrkraft sein kann; der Zorn nämlich, der sich auf die Laster richtet, wie Hieronymus zu Matth. 13. simile ... fermento ermahnt: „Den Haß der Laster sollen wir in unserer Abwehrkraft besitzen.“ Also muß die Begehr- von der Abwehrkraft auch im Willen verschieden sein. II. Gemeinhin wird gesagt, die Liebe sei in der Begehr-, die Hoffnung in der Abwehrkraft. Diese beiden Tugenden aber haben ihren Gegenstand nicht im Bereiche der Sinne; also sind sie im geistigen Willen. III Im Buche de spir. et anima cap. 3. heißt es, die Begehr- und Abwehrkraft seien in der Seele, bevor sie mit dem Körper verbunden werde. Keine Sinneskraft aber ist allein in der Seele, sondern im Bunde von Leib und Seele. Auf der anderen Seite sagt Gregor von Nyssa (de natura hom. 16.): „Der unvernünftige Teil der Seele zerfalle in die Begehr- und Abwehrkraft;“ und ebenso sagt Damascenus (2. de fide cap. 12.) wie auch Aristoteles (3. de anima): „Der Wille ist in der Vernunft; im unvernünftigen Teile ist die Begehr- und Abwehrkraft.“
b) Ich antworte, daß im Willen keine zwei verschiedene Vermögen bestehen, welche Begehr- und Abwehrkraft etwa heißen. Denn der Wille hat zum Gegenstande das Gute im allgemeinen. Ebensowenig wie in der Sehkraft, deren Gegenstand die Farbe im allgemeinen ist, ein besonderes Vermögen ist für jede verschiedene einzelne Farbe, z. B. für das Weiße, Gelbe etc.; kann die Verschiedenheit in den besonderen einzelnen Gütern im Willen verschiedene Vermögen verursachen. Das sinnliche Begehren aber hat nicht zum Gegenstande das Gute im allgemeinen wie auch der Sinn nicht das Allgemeine auffaßt; und deshalb kann in ihm durch die verschiedenen Seiten des Guten eine Verschiedenheit in den Vermögen begründet werden. Die Begehrkraft nämlich hat zum Gegenstande das Gute, insoweit es den Sinn ergötzt; die Abwehrkraft aber treibt zurück, was dem Zukömmlichen ein Hindernis ist oder Schaden bringt. Wie also nicht die verschiedenen Gegenstände der vernünftigen Auffassung eine Verschiedenheit bewirken im Vernunftvermögen; so verursachen auch nicht die verschiedenen Güter eine Verschiedenheit im Willensvermögen, dessen Gegenstand ja Alles ist, was den Charakter des Guten trägt.
c) I. Liebe, Begierde u. dgl. werden einmal als Leidenschaften aufgefaßt, die mit einer gewissen Erregung der Seele verbunden sind; — und so sind sie im sinnlichen Teile allein. Dann aber bezeichnen sie auch nur einfach eine Hinneigung ohne irgend welche sinnliche Erregung; — und so sind sie Thätigkeiten des Willens, werden auch Gott und den Engeln zugeschrieben und gehören einem einzigen Vermögen in uns an. II. Der Wille selbst wird als zornig bezeichnet, inwieweit er das Übel bekämpfen will. Er thut letzteres aber nicht aus sinnlicher Aufregung, sondern gemäß dem Urteile der Vernunft. Und ähnlicherweise ist es mit der Begehrkraft der Fall. So ist also Hoffnung und Liebe in der Abwehr- und in der Begehrkraft, d. h. im Willen, soweit er Beziehung hat zu derartiger Thätigkeit. Und in der Weise kann auch jene Stelle in III. verstanden werden; jedoch so, daß unter dem „ehe“ oder „vorher“ keine Aufeinanderfolge in der Zeit ausgedrückt wäre, sondern nur die natürliche Abhängigkeit des Leibes von der Seele.
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