Vierter Artikel. Die Freiheit ist der Wille selber.
a) Die Freiheit ist ein anderes Vermögen wie der Wille. Denn: I. Damascenus sagt (2. de orth. fide 22.): „Etwas Anderes ist βούλησις ; und etwas Anderes θέλησις;“ jenes aber ist die freie Entscheidung, dieses der Wille. Also sind da zwei verschiedene Vermögen. II. Die Vermögen werden bemessen nach ihren Thätigkeiten. Die Thätigkeit des freien Willens richtet sich aber auf etwas Anderes wie die des reinen Willens. Denn (2 . 2.) „der Wille richtet sich auf den Zweck; die freie Wahl auf das, was dem Zwecke dient“. III. Der Wille ist vernünftiges Begehren. Auf seiten der Vernunft sind aber die „mögliche“ und „einwirkende“ Vernunft als zwei Vermögen. Also müssen auch auf seiten des Willens zwei verschiedene Vermögen sein: Freie Wahl und der Wille. Auf der anderen Seite sagt Damascenus (5. de orth. fide 14.): „Die freie Wahl ist nichts Anderes wie der Wille.“
b) Ich antworte: Die begehrende Kraft muß in ihrer Beschaffenheit entsprechen der auffassenden. Wie aber auf seiten des vernünftigen Erkennens sich die von einem auf das andere schließende Verstandeskraft verhält zur rein auffassenden Vernunft, so auf seiten des Begehrens der freie Wille oder die freie Wahl zum reinen Willen. Und dies geht hervor aus dem Verhältnisse der Thätigkeiten und der Gegenstände. Denn „Einsehen“ oder „Verstehen“ schließt in sich ein die einfache Auffassung eines Dinges und seine Aufnahme in der Erkenntniskraft; deshalb werden verstanden „im eigentlichen Sinne die Principien, die ohne des Vergleichens zu bedürfen, nur eben aufgefaßt werden“. Die Verstandeskraft aber schließt vom einen zum anderen und deshalb gilt sie recht eigentlich den aus den Principien gefolgerten Sätzen. Und so bedeutet auch auf seiten des Begehrens „Wollen“ so recht eigentlich das einfache Begehren eines Gutes; wonach der Wille eben sich auf den Zweck richtet, der wegen seiner selbst begehrt wird. „Auswählen“ aber heißt „etwas begehren, um etwas Anderes zu erreichen“; und richtet sich sonach auf das, was dem Zwecke dient und nur wegen des Zweckes ein Gut ist. Wie sich aber in der Vernunft verhält das Princip zu den gefolgerten Wahrheiten, denen wir wegen der Principien zustimmen; so verhält sich auf seiten des Begehrens der Zweck zu dem Zweckdienlichen, was auf Grund des Zweckes begehrt wird. Also steht die Freiheit in gleicher Beziehung zum Willen wie die schließende und folgernde Verstandeskraft zur einfach auffassenden Vernunft. Oben aber ist gezeigt worden, (79, 8.) ein und demselben Vermögen gehöre es zu, einfach aufzufassen oder zu verstehen und zu folgern oder zu schließen, wie es ein und demselben Vermögen zueignet, in Ruhe oder in Bewegung zu sein. Also gehört es auch ein und demselben Vermögen zu, einfach zu wollen und frei zu wählen. Die Freiheit also und der Wille ist ein und dasselbe Vermögen.
c) I. Die Βούλησις ist von der θέλησις unterschieden auf Grund der verschiedenen Arten von Thätigkeit; nicht weil es zwei besondere Vermögen sind. II. Frei Wählen und einfach Wollen sind zwei verschiedene Thätigkeiten, gehören aber zum selben Vermögen; wie Schließen von einem auf das andere und das einfache Auffassen. III. Die Vernunft steht zum Willen im Verhältnisse des Bewegenden und Bestimmenden; und deshalb bedarf es da keines „möglichen“ und „wirk samen“ Willens.
