Erster Artikel. Der Mensch hat freien willen.
a) Dagegen sagt: I. Paulus (Röm. 7.): „Nicht was ich will, thue ich, das Gute nämlich; sondern was ich hasse, das Übel, das thue ich.“ Wer aber frei ist, thut, was er will. II. Der da freien Willen hat, dem gehört es zu, zu wollen oder nicht; zu wirken oder nicht. Das steht aber dem Menschen nicht zu. Denn Röm. 9, 16. heißt es: „Nicht des Wollenden“ ist das Wollen; und „nicht des Laufenden“ ist das Laufen oder Wirken. III. Frei ist, was in sich selber den Grund seiner Thätigkeit hat. (1 Metaph.) Was also von einem anderen bewegt und bestimmt wird; das hat nicht Freiheit. Gott aber bewegt den Willen: „Das Herz des Königs ist in der Hand Gottes und wohin Gott will, wird Er es wenden,“ heißt es Prov. 21.; und Phil. 2, 13.: „Gott ist es, der da Wollen und Vollenden in uns wirkt.“ IV. Zudem ist der Mensch nicht Herr über seine Handlungen. Denn Jerem. 10, 23. wird gesagt: „Nicht ist im Menschen sein Weg und dem Manne gehört es nicht zu, seine Schritte zu lenken.“ Also ist der Mensch nicht frei. V. Aristoteles sagt: „Wie beschaffen jeder ist, dem angemessen erscheint ihm auch der Zweck.“ In unserer Macht aber steht es nicht, so beschaffen zu sein oder anders; das haben wir von Natur. Also ist uns auch von Natur der Zweck vorgeschrieben; und nicht sind wir darin frei. Auf der anderen Seite sagt Ekkli. 15, 14.: „Im Anfange hat Gott den Menschen gemacht und Er hat ihn der Leitung seiner Beratung überlassen.“
b) Ich antworte, daß der Mensch freien Willen hat; sonst wä - sonst Ratschläge, Ermahnungen, Vorschriften, Strafen, Verbote, Belohnungen Zur Klarstellung sei erwogen, daß manche Dinge ohne irgend welches Urteil thätig sind, wie der Stein z. B., der von selbst fällt, und ähnlich alle leblosen Dinge. Andere Wesen urteilen zwar, aber ihr Urteil ist nicht frei; wie z. B. die Tiere. Denn das Lamm, welches den Wolf sieht, urteilt, es müsse fliehen. Jedoch stammt dieses Urteil nicht aus dem Vergleichen des einen mit dem anderen her, sondern ist rein von der Natur eingegeben; und ähnlich verhält es sich mit den übrigen Tieren. Der Mensch aber hat ein freies, vom Einzelnen losgelöstes Urteil; denn er vergleicht das eine Einzelne mit dem anderen und urteilt dann, daß unter den bestimmten Umständen das eine zu fliehen, das andere zu suchen oder daß ein und dasselbe nun zu fliehen und nun zu suchen sei. Deshalb kann das Urteil des Menschen nach verschiedenen Seiten hin sich richten. Denn soweit es auf solche Dinge ankommt, die sein und nicht sein können, verhält sich die Vernunft an und für sich gleichgültig gegen die Glieder des Gegensatzes, gegen Sein und Nichtsein; sie kann in bestimmter Weise urteilen, aber auch das gegenteilige Urteil fällen. Alle besonderen und beschränkten Wirkungen sind aber derartig. Also kann darin das Urteil sich bald dahin bald dorthin richten; und ist es nicht durch die Natur von vornherein zu Einem bestimmt. Demgemäß also ist der Mensch aus demselben Grunde frei, aus welchem er vernünftig ist.
c) I. Das sinnliche Begehren ist zwar dem Verstande unterthan; jedoch so, daß es in etwas auch widerstreben und demnach begehren kann, was der „Verstand“ nicht gebietet. Das also ist das Gute, was der Mensch nicht thut, wenn er will; nämlich nicht zu begehren gegen die Vernunft. (August. lib. 3. contra Julian, cap. 26.) II. Der Mensch will wohl frei und „lauft“ frei, aber der freie Wille ist für sich allein dazu nicht hinreichend, wenn er nicht von Gott bewegt und unterstützt wird. III. Der Mensch bestimmt sich selber zum Wirken und ist somit Ursache seines Wirkens. Aber damit ist nicht gesagt, daß er die erste Ursache sei; sowie daraus, daß etwas als Ursache wirkt, nicht folgt, es wirke als erste Ursache. Gott also bewegt und bestimmt als erste Ursache sowohl die natürlichen wie die freiwilligen Ursachen. Und wie Er durch sein Einwirken jenen es nicht nimmt, daß sie kraft ihrer inneren Natur Ursachen sind; so nimmt Er es diesen nicht, daß sie freiwillige Ursachen sind. Vielmehr bewirkt Er gerade dies in ihnen; denn Er wirkt in jedem Dinge gemäß dessen Eigentümlichkeit. IV. Der Mensch kann in der Ausführung des frei Gewählten gehindert werden; will der Prophet sagen. Die freie Wahl selber ist in uns, vorausgesetzt den göttlichen Beistand. V. Die Beschaffenheit ist entweder von Natur oder sie ist später hinzutretend. Die erstere geht die Vernunft an oder den Körper oder die letzterem anhaftenden Fähigkeiten. Von seiten der Vernunft nun begehrt der Mensch von Natur sein schließliches Wohl, seine Seligkeit; — und darin ist er nicht frei. Von seiten des Körpers neigt der Mensch infolge der körperlichen Komplexion zur Auswahl oder Nicht-Auswahl von etwas hin und demgemäß stellt sich ihm auch der Zweck vor. Aber da die Vernunft selber in ihrer Thätigkeit an kein körperliches Organ gebunden ist, so unterliegen solche Hinneigungen dem Urteile des Verstandes. (Kap. 81, Art. 3.) Und somit schaden sie nicht der Freiheit. Dasselbe ist der Fall mit den hinzutretenden Eigenschaften: Dem Urteile der Vernunft unterliegt es, sie thatsächlich zu erlangen; entweder dadurch, daß sie dieselben verursacht, oder dadurch, daß sie kein Hindernis in den Weg legt.
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