Zweiter Artikel. Gott ist überall.
a) Das scheint falsch. Denn: I. „überall sein“ bezeichnet „an allen Orten sein“. „Im Orte aber sein kommt nicht dem rein Geistigen zu, sondern nur dem Körperlichen;“ wie BoLtus (de hebdom.) sagt. Also Gott, der kein Körper ist, kann nicht überall sein. II. Wie sich die Zeit zur Auseinanderfolge verhält, so der Ort zu dem, was dauert. Etwas Unteilbares in der vorübergehenden Handlung oder in der Bewegung (also ein Punkt) kann nicht in verschiedenen Zeiten sein. Also kann auch etwas Unteilbares in dem, was dauert, nicht in allen Orten sein. Gott aber ist etwas Unteilbares. Er ist also nicht überall. III. Was irgendwo ganz ist, das ist nach keiner Seite seines Seins hin außerhalb dieses Ortes. Gott aber ist an dem Orte, wo Er ist, ganz. Also ist Er nicht anderswo. Auf der anderen Seite sagt Gott selbst bei Jeremias (23.): „Himmel und Erde fülle ich an.“
b) Ich antworte, daß, da der Ort etwas Wirkliches ist, „im Orte sein“ in doppelter Weise verstanden werden kann: Nämlich entweder in der Weise wie die anderen Dinge; sowie z. B. ausgesagt wird, es sei etwas irgendwie in anderen Dingen, und so sind die Eigentümlichkeiten des Ortes z.B. im Orte; — oder in der Weise, wie dies eigentlich dem Orte zukommt, und so ist das an einem Orte Aufgestellte in diesem Orte. Nach diesen beiden Seiten hin ist Gott unter gewissen Beziehungen in jedem Orte, also überall. Denn zuvörderst ist Er in jedem Dinge, insoweit Er demselben das Sein giebt, die Vermögen und die Thätigkeit; und da nun jegliches stoffliche Ding im Orte ist, so ist Gott auch in jedem dieser Dinge, insofern er ihm das Sein giebt und das Vermögen, einen Ort einzunehmen. Ebenso sind die räumlichen Dinge im Orte, insoweit sie den Ort anfüllen. Und so füllt Goft jeglichen Ort an; nicht zwar wie ein Körper, da ein Körper den Ort dadurch anfüllt, daß er keinen anderen Körper für den nämlichen Ort zuläßt. Vielmehr füllt Gott demgemäß alle Orte an, daß Er allen räumlichen Dingen es giebt, daß sie alle Orte anfüllen.
c) I. Es darf kein Vergleich gezogen werden zwischen der Art und Weise, wie Körperliches einen Ort einnimmt und wie dies das Geistige thut. Die Körper nämlich thun dies vermittelst ihres Umfanges, der den Ort berührt; die Geister aber jedoch dadurch, daß sie Macht haben über gewisses Räumliche. Gott, der reinste Geist, also ist an allen Orten, weil seine Macht sich auf alles Raumliche erstreckt. II. In doppelter Weise besteht ein Unteilbares: Einmal als Grenze des Zusammenhängenden; wie der Punkt in dem was dauert, der Augenblick in der vorübereilenden Zeit; — und ein solches Unteilbare kann nicht in verschiedenen Orten zugleich sein, sowie auch nicht in verschiedenen Zeiten; denn es hat eben eine bestimmte Lage, mag das Dauernde in Betracht gezogen werden oder die Handlung des Bewegens. Dann aber giebt es ein Unteilbares, welches kein Teil eines stofflich zusammenhängenden Ganzen ist; und so sind unteilbare Größen: Gott, der reine Geist, die vernünftige Seele. Ein solches Unteilbare hat keine Beziehung zum zusammenhängenden Ganzen eines Stoffes, wie ein bestimmter Teil des letzteren, sondern nur insoweit seine Kraft sich auf dasselbe richtet. Und je nach dem dann seine Kraft sich auf Weniges oder Vieles, auf Kleinees oder Großes richtet, ist es in wenigen oder vielen, in kkleinen oder großen Orten. III. Das „Ganze“ wird so genannt mit Rücksicht auf die Teile. Nun giebt es aber eine doppelte Art Teile: Es giebt Teile des Wesens; wie in den stofflichen Dingen Stoff und Form (z. B. im Menschen Leib und Seele) Teile des Wesens sind oder wie die „Art“ und die „Differenz“ als Teile des Gattungsbegriffes dastehen. Ferner giebt es Teile im Umfange eines Dinges. Wird das „Ganze“ im letzteren Sinne genommen, so kann weder es noch selbstverständlich ein Teil außerhalb des ganzen eingenommenen Ortes sein. Denn wie der Umfang gerade so der Ort. Das ist aber nicht der Fall, wenn vom „Ganzen“ des Wesens die Rede ist. Das erscheint bereits bei den nebensächlichen Formen, die nicht das Wesen des Dinges selber bilden, sondern nur eine Eigenschaft desselben sind. Denn z. B. die „Weiße“ der Farbe ist ganz in jedem Teile der Oberfläche, wenn allein das Wesen der „weißen“ Farbe berücksichtigt wird; auch der kleinste Teil trägt ganz und gar das Wesen oder die Natur der „weißen Farbe“, ist durchaus weiß; ebenso durchaus und nicht in geringerem Maße wie das Ganze. Wird freilich nicht das bloße Wesen der „weißen Farbe“ berücksichtigt, sondern auch der Umfang, den sie zufällig hat, so ist sie nicht ganz in jedem Teile. In den geistigen Substanzen ist nur ein „Ganzes“ vorhanden gemäß dem Wesen und nimmermehr, auch nicht nebensächlich und zufällig, nach dem Umfange. Wie also die Seele ganz ist in jeglichem Teile des Körpers, so ist Gott ganz gegenwärtig in allem und jedem.
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