Zweiter Artikel. Die niederen Engel sprechen auch zu den höheren.
a) Dagegen sagt: I. Die Glosse (bei Nik. von Lyra) zu 1. Kor. 13, 1.: „Das Sprechen der Engel ist ein Erleuchten von seiten der höheren gegenüber den niederen.“ Die niederen Engel aber erleuchten nicht die höheren; also sprechen sie nicht zu ihnen. II. Erleuchten heißt: das, was dem eigenen Geiste bereits offenbar ist, einem anderen offenbar machen. Das ist aber Sprechen. Also dieselbe Schlußfolgerung. III. Gregor der Große (2. Moral. c. 6.) sagte: „Gott selber spricht dadurch zu seinen Engeln, daß Er deren Herzen seine unsichtbaren Geheimnisse zeigt.“ Das ist aber dasselbe wie erleuchten. Alles Sprechen also von seiten Gottes ist ein Erleuchten; und demgemäß ist auch alles Sprechen von seiten eines Engels ein Erleuchten und in keiner Weise spricht der niedere Engel zum höheren. Auf der anderen Seite erklärt dies Dionysius (7. de coel. hier.) als von den niedrigeren Engeln gesprochen: „Wer ist dieser König der Herrlichkeit?“
b) Ich antworte, daß die niederen Engel zu den höheren Engeln sprechen können. Denn alles Erleuchten von seiten eines Engels ist wohl ein Sprechen, aber nicht alles Sprechen ist ein Erleuchten; da ja, wie gesagt worden, das Sprechen eines Engels zu einem anderen nichts weiter ist, wie seine Auffassung dahin lenken, daß sie einem anderen Engel vermittelst des eigenen Willens bekannt werde. Nun kann aber, was im Geiste aufgefaßt wird, auf ein doppeltes Princip bezogen werden; nämlich auf Gott selber, der die erste Wahrheit ist, und auf den Willen des Auffassenden, vermittelst dessen er etwas thatsächlich sich gegenwärtig hält. Weil jedoch die Wahrheit das Licht für den Verstand ist und die Richtschnur aller Wahrheit Gott selbst, so ist das Offenbarmachen dessen, was im Geiste aufgefaßt wird, insoweit es von der ersten Wahrheit abhängt, sowohl ein Sprechen wie ein Erleuchten; z. B. wenn ein Mensch dem anderen sagt: Der Himmel ist von Gott geschaffen; oder: Der Mensch ist ein sinnbegabtes Wesen. Das Offenbarmachen dessen aber, was vom Willen des Auffassenden abhängt, kann nicht als ein Erleuchten bezeichnet werden, sondern nur als ein Sprechen; z. B. wenn jemand zum anderen sagt: Ich will dies kennen lernen; oder: ich will dies thun. Der Grund dieses Unterschiedes besteht darin, daß der geschaffene Wille weder Licht ist noch Richtschnur der Wahrheit noch direkt teil hat am Lichte. Mitteilen also das, was vom geschaffenen Willen herkommt, ist insoweit keineswegs ein Erleuchten. Denn zur Vervollkommnung meiner Vernunft gehört es nicht, zu erkennen, was du willst oder was du verstehst; sondern einzig und allein, zu erkennen, was die Wahrheit der Sache in sich begreift. Nun ist es aber offenbar, daß die Engel als höhere oder niedrigere bezeichnet werden auf Grund ihres Verhältnisses zu ihrem Princip, nämlich zu Gott. Das Erleuchten also, was von ihrem Princip, von Gott, abhängt, fließt einzig und allein vermittelst der höheren Engel zu den niederen. Im Verhältnisse aber zu jenem Princip, welches Wille genannt wird, ist der Wollende selber der erste und höchste; und deshalb fließt das Offenbarwerden dessen, was im Willen ist, durch den Wollenden selber in die anderen. Danach also sprechen die höheren den niedrigeren und die niedrigeren den höheren.
c) I. Demgemäß erledigt sich von den Einwürfen I. und II. III. Alles Sprechen Gottes zu den Engeln ist ein Erleuchten. Denn da der Wille Gottes die Regel der Wahrheit ist, so gehört jede Kenntnis von dem, was Gott will, zur Vollendung und zur Erleuchtung der geschöpflichen Vernunft. Dies gilt aber nicht von den Engeln.
