Erster Artikel. Ein Mensch kann den anderen belehren.
a) Dieser Ansicht scheint nicht Christus, der Herr, zu sein, der sagt: I. Matth. 23, 8.: „Laßt euch nicht nennen Lehrer“; wozu die Glosse des heiligen Hieronymus bemerkt (in Matth. hom. 43.): „Ihr sollt den Menschen nicht göttliche Ehre erweisen.“ Andere belehren wollen heißt also ebensoviel wie sich das anmaßen, was Gott eigen ist. II. Wenn ein Mensch den anderen lehrt, so geschieht dies aus keinem anderen Grunde als weil er vermittelst seiner Wissenschaft auf andere einwirkt, damit diese ebenfalls Wissenschaft haben; weil er also auf diese Weise Wissenschaft verursacht. Die Eigentümlichkeit aber, vermittelst deren jemand etwas sich Ähnliches wirkt, ist eine thätig wirksame Eigentümlichkeit. Also wäre Wissenschaft eine thätig wirksame Eigentümlichkeit oder ein dementsprechender Zustand, wie etwa die Wärme; was unzulässig ist. III. Zur Wissenschaft gehört das Licht, welches erkennbar macht, und eine Form, welche dem verstandenen Gegenstande ähnlich ist; die Idee nämlich. Aber keines von beiden kann ein Mensch im anderen verursachen. Also kein Mensch kann durch sein Belehren Wissenschaft in anderen erzeugen. IV. Der Lehrer thut gegenüber dem Schüler nichts anderes als daß er ihm einige Zeichen vorlegt, indem er entweder mit Worten oder mit Winken etwas ausdrückt. Das genügt aber nicht, um im anderen Wissen schaft zu erzeugen. Denn entweder gehen diese Zeichen auf etwas Be kanntes oder auf etwas Unbekanntes. Ist das Erste der Fall, so hat der andere bereits die entsprechende Wissenschaft, und braucht sie also nicht vom Lehrer zu erhalten. Tritt der zweite Fall ein, so lernt der andere nicht das Mindeste; ebensowenig wie jemand einen anderen belehren wollte, indem er griechisch spricht, was dieser nicht versteht. Also ein Mensch kann im anderen nicht Wissenschaft verursachen. Auf der anderen Seite sagt der Apostel 2. Tim. 2, 7.: „Und in Ihm bin ich berufen als Prediger und Apostel, Lehrer der Völker in Glauben und Wahrheit.“
b) Ich antworte, daß darüber verschiedene Meinungen herrschen. Averroës nämlich nahm nur eine „mögliche“ Vernunft an für alle Menschen (Kap. 76, Art. 1 und 2; Kap. 79, Art. 5); und danach beständen auch für alle Menschen durchaus ein und dieselben Ideen. Nur eine Vernunft also bestände der Zahl nach; und für jeden betreffenden Ertenntnisgegenstand bestände nur eine Idee der Zahl nach in allen Menschen. Demgemäß nun verursacht der eine Mensch im anderen keine andere Wissenschaft als die, welche er selber hat; vielmehr teilt er ihm ganz dieselbe Wissenschaft mit, welche in ihm selbst ist. Und zwar thut er das dadurch, daß er ihn dazu bestimmt, die Phantasiebilder in der Seele so zu ordnen, daß sie geeignet sind für die Erfassung des in allen ein und dasselbe verbleibenden vernünftig Erkennbaren. Diese Meinung ist darin wahr, daß ein und dieselbe Wissenschaft im Lehrer und im Schüler ist, wenn der gewußte Erkenntnisgegenstand in seiner Einheit betrachtet wird; denn Lehrer und Schüler erkennen die eine Wahrheit von ein und derselben Sache. Daß aber nur eine Vernunft und ganz dieselbe Idee in allen Menschen angenommen und der Grund für die Verschiedenheit im Erkennen nur in den Phantasiebildern gesucht wird; das ist, wie früher nachgewiesen, falsch. Die Platoniker faßten das Lehren anders auf. Nach ihnen besitzt die Seele, die an den geistigen stofflosen Substanzen ja von Anfang an teil hat, alle Wissenschaft; wird aber im Gebrauche derselben durch den Körper gehindert, der sie gleichsam eingeschläfert hält. Demgemäß weckt der Lehrer den Schüler nur, daß dieser ebenfalls thatsächlich betrachte, respektive sich erinnere an das, dessen Wissenschaft er in sich bereits besitzt. So bereiten überhaupt nach den Platonikern die natürlichen Kräfte den Stoff nur vor für die Aufnahme der Wesensform, erzeugen aber diese nicht; der Stoff hat viel mehr dieselbe durch die Teilnahme an den Separatformen. Diese Meinung jedoch ist ebenfalls als falsch (Kap. 79, Art. 2) gezeigt worden. Die menschliche Vernunft besitzt von Anfang an gar keine Wissenschaft und auch gar keine Ideen in sich, vermöge deren sie sofort erkennen könnte, wenn das körperliche Hindernis entfernt worden; sondern sie ist im Zustande eines reinen Vermögens für alles Erkennbare, wie auch Aristoteles sagt. (3. de anima.) Demgemäß also ist anders zu sagen: nämlich daß der Lehrer im Lernenden Wissenschaft verursacht, indem er ihn aus dem Zustande des Vermögens für das Erkennen zum thatsächlichen Erkennen bringt. Damit dies recht klar werde, muß man erwägen, daß von den Wirkungen, die von einem außen befindlichen Princip herrühren, manche nur von einem solchen Princip ausgehen, wie die Form des Hauses im Stoffe nur verursacht wird von der Kunst. Andere Wirkungen aber sind von einem außen befindlichen und von einem innerlichen Princip; wie z. B. die Gesundheit wohl von einem außen befindlichen Princip im Kranken verursacht wird, nämlich von der Heilkunst, jedoch zugleich auch vom inneren Princip, wie wenn der Kranke heil wird durch die Kraft seiner Natur; — und manchmal durch das letztere Princip allein. Und zwar muß man in der letzteren Art von Wirkungen auf zweierlei achthaben: Erstens, daß die Kunst in ihrem Wirken die Natur nachahmt; wie z. B. die Natur den Kranken dadurch heilt, daß sie den Stoff soweit beeinflußt, leitet, ändert, bis der Krankheitsstoff herausgetrieben ist; so thut es auch die Heilkunst; — zweitens, daß das äußere Princip, die Kunst, nicht als das hauptsächliche und an leitender Stelle einwirkende auftritt, sondern nur als Beistand des inneren Princips, indem es selbigem Werkzeuge leiht, die es stärken zur Hervorbringung der geeigneten Wirkung; wie der Arzt die Natur stärkt und solche Speisen und Heilmittel darbietet, deren die Natur zum gewollten Zwecke sich bedienen kann. Die Wissenschaft nun gehört zu der letztgenannten Art Wirkungen. Sie wird erworben durch ein inneres Princip, wie dies an jenem klar ist, der sie durch Erfindung erwirbt; und sie geht auch aus von einem äußerlichen Princip, wie beim Lernenden. Denn jedem Menschen wohnt als innerliches Princip des Wissens inne das Licht der einwirkenden Vernunft, durch welches gleich im Anfange einige allgemeine Principien erkannt werden. Wenn nun jemand diese allgemeinen Principien, welche er vermittelst der Sinne erhalten, und die das Gedächtnis ihm aufbewahrt und die Erfahrung immer wieder von neuem auffrischt, auf einzelne besondere Dinge anwendet, so erwirbt er sich vermittelst eigener Erfindung Wissenschaft von dem, was er früher nicht kannte und geht vom Bekannteren zum weniger Bekannten über. Auf dieselbe Weise somit, wie das innere Princip hier angiebt, führt der Lehrer den Schüler. Nämlich von dem, was der Schüler kennt, geht er aus und leitet ihn zu dem, was er noch nicht kennt. Und zwar geschieht dies in doppelter Weise: Zuerst, indem er einige Hilfsmittel oder sozusagen Werkzeuge vorlegt, deren die Vernunft sich gewöhnlich von sich aus bedient, um Wissenschaft zu erwerben. So stellt der Lehrer dem Schüler einige minder allgemeine Sätze vor, die letzterer bereits von den allgemeinen Principien aus, die er kennt, beurteilen kann; oder er legt ihm Beispiele vor aus der Sinnenwelt, Vergleiche, Gegensätze u. dgl., von wo aus die Vernunft des Lernenden angeleitet wird im Erkennen der noch unbekannten Wahrheit. Zweitens stärkt der Lehrer die Vernunft selber des Schülers; nicht zwar vermittelst einer thätig wirksamen Kraft, die etwa einer höheren Natur angehörte, wie dies bei den erleuchtenden Engeln der Fall ist, denn jegliche Vernunft bei den Menschen hat im Bereiche der Natur die gleiche Gattungsstufe; — vielmehr stärkt er die Vernunft des Schülers dadurch daß er ihm zeigt, in welchem inneren Verhältnisse die Principien zu den Schlußfolgerungen stehen, da der Schüler von sich aus nicht so viel vergleichende Vernunftkraft besitzt, um aus den Principien selbständig die Schlußfolgerungen zu ziehen. Deshalb sagt Aristoteles (I. Post.): „Der Beweis ist ein Syllogismus, d. h. ein Zusammenstellen des allgemeinen Princips mit einer besonderen Auffassung, der da bewirkt, daß man etwas weiß“ (faciens scire). Und so bewirkt jener, der beweist, daß der andere etwas weiß.
c) I. Der Lehrende leistet nur einen äußeren Beistand gleich einem Arzte, der heilt. Wie aber die innere Natur des Körpers die Hauptursache der Heilung ist, so ist auch das natürliche Licht der Vernunft die Hauptursache der Wissenschaft. Beides nun ist von Gott; und deshalb heißt es von Gott Ps. 102, 3.: „Der da heilt alle deine Krankheiten;“ und Ps. 93, 10.: „Der da lehrt dem Menschen Wissenschaft.“ Denn sein Licht ist von oben her uns aufgeprägt, wodurch alles erkennbar wird. II. Der Lehrer verursacht nicht, wie Averroës einwirft, die Wissenschaft; als ob er eine höhere Kraft in der Natur wäre. Und deshalb ist die Wissenschaft keine thätig wirksame Eigentümlichkeit wie die Wärme; sondern sie ist das Princip, welches den Menschen in seinem Wirken leitet. III. Der Lehrer verursacht im Schüler weder das Licht der Vernunft noch gießt er ihm die Ideen ein. Aber er leitet ihn an, wie er kraft seiner eigenen Vernunft vernünftige Auffassungen sich bilden kann und giebt ihm dafür Zeichen an. IV. Die Zeichen, welche der Lehrer dem Schüler vorstellt, richten sich im allgemeinen und in unbestimmterer Weise auf Bekanntes; im einzelnen und in bestimmterer Weise auf noch Unbekanntes. Und deshalb kann von jemandem, der durch Erfindung sich Wissenschaft erwirbt, nicht gesagt werden, er lehre sich selber und sei sein eigener Lehrer; denn es existierte nicht in ihm vorher die volle Wissenschaft, wie sie im Lehrenden existieren muß.
