Dritter Artikel Der Mensch kann kraft seiner Seele allein nicht auf andere Körper wirkenden Einfluß üben.
a) Dagegen scheint zu sein: I. Gregor der Große (dial. 2, 30.): „Die Heiligen machen Wunder; manchmal weil sie beten, manchmal weil sie befehlen; wie Petrus betete und dadurch Tabitha vom Tode erweckte, Ananias und Saphira aber auf Grund seiner Autorität dem Tode überantwortete.“ Das heißt aber nichts Anderes als kraft seiner Seele oder seines Körpers allein auf die Körper einwirken. II. Zu Galat. 3 „Quis vos fascinavit“ sagt die Glosse: „Manche haben brennende, verzehrende Augen, die durch ihren bloßen Blick andere anstecken und zumeist Kinder.“ Dazu gehört aber, daß die Seele durch ihren Willen allein Einfluß habe auf die Veränderung im Körperlichen. III. Der menschliche Leib steht höher wie andere Körper. Jedoch wird er oft kraft der bloßen Auffassung der Seele warm oder kalt, wie bei Zornigen oder Erschreckenden; und bisweilen führt dieser Einfluß bis zu Krankheit und Tod. Auf der anderen Seite sagt Augustin (3. de Trin. 8.): „Der körperliche Stoff gehorcht Gott allein auf seinen Wink.“
b) Ich antworte, der körperliche Stoff läßt auf sich keinen unmittelbaren Einfluß zu, der ihn verändere und eine andere Form gebe, als einer seits den von seiten eines solchen Einwirkenden, der selber zusammengesetzt ist aus Form und Stoff, soweit er dies ist; und andererseits den von seiten Gottes. Deshalb ist auch oben gesagt worden, daß selbst die Engel nicht wirkenden, ändernden Einfluß unmittelbar haben, sondern nur mittels des Gebrauches körperlichem Kräfte; um so weniger also kann dies die Seele ohne den Gebrauch ihres Körpers und anderer geeigneter körperlicher Ursachen.
c) I. Die Heiligen machen Wunder; nicht kraft ihrer Natur, sondern kraft der Gnade; wie Gregor l. c. sagt: „Denn wenn sie, um Kinder Gottes zu sein, die Gewalt oder das Vermögen (Joh. 1.) haben, was ist es wunderbar, wenn sie kraft ihrer Gewalt auch Wunder wirken?“ II. Um das da Gesagte zu erklären, sagt Avicenna, daß der Körper von Natur geeignet sei, der geistigen Substanz zu gehorchen. Wenn also die Seele eine starke Einbildungskraft hat, so folgt ihr in seiner Veränderung der körperliche Stoff; und das sei die Ursache des fascinierenden Auges. Doch das ist falsch, daß der Stoff geistigen Substanzen auf deren Wink folge. Deshalb ist besser so zu sagen: Einer starken Einbildung zufolge werden die (sinnlichen) Geister beeinflußt, die mit dem Körper verbunden sind. Und zwar vollzieht sich dieser Einfluß der die Sinne bewegenden Kräfte oder inneren Geister zumal in den Augen, wohin die feineren dieser sinnlichen bewegenden Kräfte oder Geister gelangen. Die Augen aber verbreiten in körperlicher Weise den in ihnen lebenden und wirkenden Eindruck in die ihnen nahestehende, in sich zusammenhängende Luft bis zu einer gewissen Entfernung. So sehen wir ja auch, daß die Spiegel, wenn sie ganz rein und blank sind, einen gewissen Hauch bekommen und so in etwa unrein werden durch den bloßen Anblick einer Frau, welche in der monatlichen Reinigung sich befindet, wie Aristoteles sagt in de somno et vigil. Wenn also eine Seele in hohem Grade in boshafter Bewegung ist, wie dies oft bei alten Weibern zutrifft; so wird in dieser Weise ihr Anblick gleichsam giftig und schädlich, und zumal für Kinder, deren zarter Körper Eindrücken von außen leicht zugänglich ist. Dies kann jedoch auch von einem Pakt mit dem Dämon herrühren, oder aus der Erlaubnis Gottes. III. Die Seele ist mit dem menschlichen Leibe als Wesensform verbunden, hat also mit selbem ein einziges Sein, und das sinnliche Begehrungsvermögen ist die Thätigkeit eines körperlichen Organs; also auf Grund der Auffassung der Seele wird das sinnliche Begehrungsvermögen bewegt und demgemäß das damit verbundene Körperliche. Diesen Einfluß hat aber die alleinige Ausfassung nicht auf andere Körper. Anmerkung. Es geschieht hier zum letzten Male im ersten Teile der Summa Erwähnung dieser sinnlichen „Geister“ und sonstigen Eindrücken im sinnlichen Teile, welche wirksam den körperlichen Stoff beeinflussen. Wir wollen, weil hier vielleicht mancher an „mittelalterliche“ Ansichten denkt, diesen sinnlichen Eindrücken ihren Platz anweisen in der modernsten Naturwissenschaft und an diesem neuen Beispiele zeigen, wie Thomas mit seinen Ideen die neuesten Ergebnisse der exakten Naturwissenschaft durchaus nicht verwirrt oder stört, sondern klärt und ergänzt. Das Nachfolgende stützt sich auf die Beobachtungen des Professors Mosso in Turin über den Blutumlauf im menschlichen Körper: „Bekanntlich enthält der menschliche Körper durchschnittlich vier Kilogramm Blut, das beständig ein Netz elastischer Röhren durchläuft, dessen Hauptstation das Herz ist. Die Arterien schaffen das Blut zur Ernährung aller Organe bis an die äußersten Teile des Körpers, wo sie dann zu feinsten Kanälchen, sogenannten Haarröhrchen, zerteilt, der Haut die eigenartige Farbe, welche man als Inkarnat bezeichnet, verleihen. Aus den Haarröhrchen, deren jedes seine besondere festgeschlossene Wandung hat, so daß nur eine Verletzung derselben ein Ausfließen des Blutes ermöglicht, tritt dasselbe in Röhren von etwas größerer Weite, die Venen, deren sich mehr und mehr vereinigen, bis endlich mächtige Venenstämme das Blut zum Herzen zurückführen, welches es darauf zur Reinigung in die Lungen sendet. Die Röhren, in welchen das Blut cirkuliert, sind mit Muskelfasern umkleidet, die durch Zusammenziehen oder Ausdehnen Verminderung oder Vergrößerung des Volumens jener Röhren herbeiführen. Wenn jemand erbleicht, wie es die charakteristische Erscheinung beim Empfinden von Furcht ist, so ist dies eine Folge der Kontraktion der Blutgefäße; das Erröten, wie es besonders bei Erregung des Schamgefühls aufzutreten pflegt, ist nichts Anderes wie die Erweiterung der Blutgefäße. Es hängen diese beiden entgegengesetzten Erscheinungen durchaus nicht vom Herzen ab, dasselbe schlägt nämlich in beiden Fällen rascher und stärker; wir haben es hier mit dem Einflüsse der sogenannten vasomotorischen Nerven zu thun, die von den Nervencentren in Form feiner Fäden ausgehen und die Blutgefäße überall begleiten; diese wirken auf die Muskelfasern, welche die Arterien und Venen umhüllen, ein und bringen sie zum Zusammenziehen und Ausdehnen.“ Der Professor bespricht dann die äußeren Einflüsse, wie z. B. das Einatmen von Amylnitrit, dessen Dämpfe die Blutgefäße vollkommen paralysieren und geht tiefer in den Mechanismus der berührten Thatsache ein. (Natur, Jahrg. 1886, S. 279.) Thomas nun, weit entfernt, diese exakten Darstellungen zu stören oder überflüssig zu machen, ergänzt sie von der inneren Seite. Die sinnlichen Eindrücke oder „Sinnesgeister“, wie er sie nennt, setzen vermittelst der von außen empfangenen Phantasiebilder diese vasomotorischen Nervencentren von innen her in Bewegung, und danach kann der Mensch die äußeren Einflüsse beherrschen; er bleibt Meister seiner selbst. Eine Menge psychologischer unleugbarer Thatsachen finden so bis ins einzelnste hinein ihre Erklärung. Andere sinnliche Eindrücke sind die der Furcht; die neuere Physiologie beschreibt, wie dies die Kontraktion der Blutgefäße zur Folge hat, Thomas geht auf den in den Sinnen selbst befindlichen Grund ein; — andere Eindrücke sind die der Scham. Die moderne Physiologie beschreibt auch hier ganz genau, was die Folge im Körperlichen davon ist, nämlich die Erweiterung der Blutgefäße; Thomas wendet sich zum Grunde, der im Innern des sinnlichen Teiles sich findet. Ähnlich werden wir in der ersten Abhandlung des zweiten Hauptteiles noch weiter die inneren Eindrücke im sinnlichen Teile des Menschen analysiert finden; und die neuere Physiologie wird genau den Weg beschreiben, den einerseits das Körperliche unter diesen sinnlichen Eindrücken nimmt und andererseits wie auf diesem Wege die von außen kommenden Einflüsse mehr oder minder dem Menschen dienstbar werden. Die neuere Naturwissenschaft ergänzt somit schön den heiligen Thomas nach der exakt den Stoff untersuchenden Seite hin; und Thomas ergänzt und klärt die neuere Naturwissenschaft, indem er sie unter einheitliche Principien bringt. Der Leser wird leicht die Anwendung des eben Gesagten machen auf das, was Thomas früher über den Traum, die Raserei u. dgl. gesagt hat; und wir können es ihm ruhig überlassen, diese selbe Anwendung zu machen, wenn später von den Leidenschaften die Rede sein wird. Thomas und die neuere Naturwissenschaft stören sich auf keinem Gebiete des Wissens. Freilich wiederholen wir, daß es auf den Ausdruck nicht ankommen darf. Wir haben in dem bisher Gebotenen durchweg vorgezogen, lieber die wörtliche Übersetzung zu geben unter der Gefahr, im ersten Augenblicke ein leichtes Spötteln zu riskieren; denn wir wollen eben Thomas sprechen lassen. Oft haben wir die heutigen Ausdrücke in Klammern beigesetzt; und oft Umschreibungen gebraucht. Es steht jedem frei, daran zu bessern. In der Sache muß man gerade heutzutage, auf der Stufe, wo die moderne Wissenschaft steht, sagen, Thomas widerspreche ihr nirgends, sammele aber sehr oft zu einer großartigen Einheit ihre kostbaren Ergebnisse.
