Zweiter Artikel. Der Mensch kann nicht den Engeln etwas lehren.
a) Dementgegen heißt es: I. Ephes. 3, 10.: „Damit bekannt werde den Fürsten und Gewalten im Himmel durch die Kirche die vielgestaltige Weisheit Gottes.“ Die Kirche aber besteht aus Menschen. Also lehren die Menschen den Engeln. II. Die höheren Engel erleuchten die niederen, weil sie unmittelbar von Gott erleuchtet werden. Die Apostel und andere Menschen aber sind unmittelbar von Christus unterrichtet worden, wie Hebr. 1, 2. gesagt wird: „Neuestens, in diesen Tagen hat Er uns gesprochen im Sohne.“ Also können sie Engeln etwas lehren. III. Manche Menschen sind höher, wie manche Engel, da ja Menschen auch bis in die höchsten Engelchöre hinein aufgenommen werden, wie Gregor der Große (34. in Evang.) sagt. Also können diese Menschen Engel über Göttliches belehren. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (4. de div. nom.): „Alle Erleuchtungen über Gott werden zu den Menschen hinübergeleitet vermittelst der Engel.“
b) Ich antworte, die niederen Engel können zwar sprechen zu den höheren und ihre Gedanken offenbaren; jedoch werden über göttliche Dinge die höheren niemals von den niederen erleuchtet. Offenbar aber sind in eben der Weise die höchsten Menschen dem niedrigsten Engel unterworfen. Denn so sagt der Herr selber Matth. 11, 11.: „Unter den vom Weibe Geborenen stand nie ein größerer auf wie Johannes der Täufer; der geringste aber im Himmel ist größer wie er.“ Niemals also werden Engel von Menschen erleuchtet; letztere können jedoch durch Sprechen ihre Gedanken den Engeln offenbaren. Denn die Geheimnisse des Herzens zu wissen, ist Gott allein eigen.
c) I. Augustin (5. sup. Gen. ad litt. 19.) erklärt die Stelle so: „Mir, dem geringsten aller Heiligen ist diese Gnade verliehen worden, zu erleuchten darüber alle, welches sei die Bedeutung und die Beschaffenheit des Sakramentes, das von den Zeiten an in Gott verborgen war. Und zwar sage ich „verborgen“ in der Weise, daß den Fürsten und Gewalten im Himmel bekannt war die vielgestaltige Weisheit Gottes. Als ob der Apostel sagen wollte: So war dieses Sakrament verborgen den Menschen, daß jedoch der Kirche im Himmel, nämlich den Fürsten und Gewalten dieses Sakrament bekannt war von den Zeiten an a saeculis, nicht vor den Zeiten; denn da im Himmel war zuerst die Kirche, wo nach der Auferstehung auch die gleiche Kirche versammelt werden wird.“ Oder, wie Augustin an eben der Stelle sagt, es kann auch so aufgefaßt werden: „Jenes, was verborgen war, wird nun den Engeln bekannt; nicht nur in Gott, sondern auch hier erscheint es ihnen, da es geoffenbart und thalsächlich wirksam wird.“ Da also durch die Apostel erfüllt worden sind die Geheimnisse Christi und der Kirche, erschien den Engeln Manches in diesen Geheimnissen, was vorher ihnen verborgen war. Danach kann Hieronymus (in 4. Ephes.) verstanden werden, der da sagt: „Als die Apostel predigten, erkannten die Engel einige Geheimnisse;“ denn durch diese Predigt wurden diese Geheimnisse im Stoffe selbst erfüllt; wie z. B. bei der Predigt Pauli die Völker sich bekehrten. II. Nicht unmittelbar von der Gottheit wurden die Apostel unterrichtet, sondern insoweit die Menschheit sprach. Also die Schlußfolge ist falsch. III. Auch hier auf Erden sind manche Menschen größer als die Engel; jedoch nicht dem thatsächlichen Sein, sondern der Kraft ihrer Tugend nach; insofern sie eine solche Kraft der Liebe haben, daß sie eine höhere Seligkeit verdienen könnten wie manche Engel sie thatsächlich haben. Diese Menschen haben aber thatsächlich ihre Seligkeit noch nicht; sind also thatsächlich kleiner wie die Engel. So etwa wäre das Samenkorn eines großen Baumes der Kraft nach größer wie ein kleiner Baum; thatsächlich aber ist es weit geringer.
