Nr. 57
Ihr glaubt unsern Schriften nicht, und wir glauben euern Schriften nicht. Falsches ersinnen wir von Christus, und ihr redet Nichtiges und Trügliches von euern Göttern: denn weder ist irgend ein Gott vom Himmel herabgefallen, noch ist seinen Händen euer Wohl anvertraut, noch hat er aus ähnlichem Grunde unsere Zustände und religiösen Gebräuche gemindert. Menschen haben dieß geschrieben, von Menschen ist jenes geschrieben, in sterblicher Rede ausgedrückt; und was immer ihr von unsern Schriftstellern euch zu sagen bemüht, auch von den eurigen gleicher Beschaffenheit nehmt und behaltet das Gesagte. Ihr wollt, daß wahr sey, was in euern S. 50 Schriften enthalten ist, auch was in den unsrigen aufgezeichnet steht, mögt ihr nothwendig als wahr bekennen. Ihr beschuldigt unsere Sachen der Falschheit, und wir die eurigen des Truges. Oder, sagt ihr, unsere sind älter und somit übervoll der Glaubwürdigkeit wie Wahrheit. Als ob das Alterthum nicht vielmehr die vollste Mutter der Irrthümer eben sey, und als wenn sie nicht selbst jene Dinge hervorgebracht habe, welche den Göttern die schändlichsten Mackeln durch schimpfliche Fabeln anhefteten: denn vor etwa zehntausend Jahren konnte das Unwahre weder gehört noch geglaubt werden? Oder ist nicht der Wahrheit am ähnlichsten, die Glaubwürdigkeit wohne eher dem Nahen und Angränzenden bei, als dem durch weite Räume von einander Abstehenden? Das Eine ward durch Zeugen, das Andere durch Gerüchte behauptet; auch ist es weniger schwierig, daß bei neuerlich erst Geschehenem geringere Erdichtung, als bei durch alte Dunkelheit Entferntem stattfinde.
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