Achtzehntes Kapitel. Das Leben Gottes. Überleitung.
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben;“ sagt der Heiland von Sich selber. Welches ist dieser Weg, dir da der Wahrheit entspricht und zum Leben führt; welcher gewissermaßen sichtbar im Heilande erschienen ist? „Ich blickte hin und siehe; nichts war vorhanden des Blickes Würdiges;“ hatte der Prophet von Ihm geweissagt. „überliefert bin ich worden und ich ging nicht von mir selbst heraus; meine Augen waren versiegt vor Mangel und Hilflosigkeit;“ hatte in der Person Christi der Psalmist (87.) geklagt. Der Herr hat in seinem Leibe das Wort Jeremiae ausgedrückt (cap. 4.): „Ich hatte geschaut und nicht war der Mensch.“ Das ist der Weg der Wahrheit für die Kreatur. Je mehr sie ihr eigenes Nichts erkennend begreift, desto mehr nähert sie sich der barmherzigen Fülle. Empfangen kann sie von Gott; nicht aber Ihm etwas geben. Imme mehr wahr werden kann sie durch die Teilnahme an Gottes einwirkender Kraft; aber keine Wahrheit hat sie von sich aus. Mit den Sinnen erkennt der Mensch wohl das Einzelne, Wirkliche; aber so, daß ihm eindringlicher vor Augen tritt das Schattenhafte in selbigem zugleich mit den zum Nichts hinsinkenden Schranken, zusammen mit dem absoluten Nichts-Änderes-sein; — daß ihm das Wirkliche mehr und mehr erscheint, nicht wie etwas Selbständiges, sondern als „Zeichen zum Guten“, als Glied des Ganzen. Mit der Vernunft tritt das Endlose des Vermögens in ihn ein; aber so, daß es von sich aus keinerlei Wirklichkeit mit sich bringt. Das Endliche soll der Mensch leiten gemäß dem Endlosen, für das Beschränkte soll ihm das Schrankenlose maßgebend sein, für das einzelne Wirkliche das innere Wesen, das doch nur Möglichkeit ist. Wer verbindet da im Menschen, respektlve in seiner Kenntnis, das Unendliche mit dem Endlichen, da er selber endlich ist? Wer leitet in ihm diese hohen Vermögen, die auf alles hin gerichtet alles erkennen, alles besitzen wollen; da er doch selber, der schwache Mensch, nur ein Wesen ist, das heute Sein hat und morgen nicht? Je näher das geschöpfliche Wesen dem Einflusse Gottes steht, desto mehr Sein gehört ihm dem Vermögen nach. Desto mehr kann es; desto selbständiger, losgelöster ist es von den Banden der Kreatur; und desto mehr wirkt in ihm die wahre Freiheit, die wahre Lebenbigkeit. Gewaltig ist das Meer! Aber in all seiner Majestät wie träge! Eine Welle wartet auf die andere, um fortgetrieben zu werden. Kein Tropfen hat in sich irgend welche Bewegungskraft für sich selber. Wohin die äußere Gewalt treibt, dahin fließt oder zerstiebt er. Wie lieblich und freudig aber steht bereits die Blume des Feldes da. Anzulachen scheint sie den Beschauer. Zu spotten scheint sie über den dahersausenden Orkan, der bergehoch die Wogen des Meeres anschwellt. Regenschauer strömen auf sie nieder. Aber ungebeugt breitet sie nur immer mehr ihre Blätterchen aus, um zu empfangen; und frischer als je schaut sie nachher drein. Nichts kann weiter in sie eindringen als bis dahin; wo sie selber beginnt, für ihr Sein und ihre Thätigkeit das Princip zu bilden. Regen, Wind, Sonnenschein, alles wird verwandelt von diesem winzigen Pflänzchen, sobald es nur ihr nahe kommt, in sein eigenes, in Pflanzen-Sein; alles dient der Pflanze zur Nahrung, zum Fortbestehen, alles zur Erhaltung ihrer schmuckreichen Gattung. Das Leben nämlich fängt mit ihr an; und damit nimmt sie bereits teil an einer der erhabensten Vollkommenheiten Gottes: Sie beginnt sich selbst Zweck zu sein und schließt demgemäß und im selben Grade daß sie Selbstzweck ist, den Anstoß zur Bewegung in sich ein. Sie nährt sich selber, sie wächst selber, sie pflanzt fort ihre eigene Gattung. Sie dient nach dieser Richtung keiner anderen Kreatur; sondern nur sich selber. Der Herr, welcher in ihr wirkt, giebt dem Pflänzchen es, daß es bei jeder Thätigkeit in den beregten Schranken Anteil hat an seinem eigenen Leben; und daß es selbständig dasteht gegenüber den anderen leblosen Kreaturen. Das Tier besitzt noch ein höheres Leben. Es bewegt sich von sich selber von Ort zu Ort. Es besitzt bereits Gewalt über anderes Sein, das ihm dienen muß und im Tiere seinen Zweck sieht. Die Farbe dient dem Tiere, daß es seine Beute erspähe und sich deren bemächtige. Der Schall warnt es, daß es der Gefahr, die ihm droht, sich entziehe. Vermittelst des Geschmackes wird die Nahrung ihm angenehm. Tiefer dringt da das Einwirken Gottes vor und umfassender ist die Teilnahme am Leben Gottes. Selbständiger schon wie das der Pflanze ist des Tieres Sein und seine Wirksamkeit. Der Mensch aber hat geistiges Leben. Seinen letzten Zweck hat er im einzelnen weder in sich selbst noch in irgend einer Kreatur. Gemäß dem Endlosen urteilt er; das Unbeschränkte erweitert seinen Blick. „Herrschen soll er über die Vögel des Himmels, die Tiere des Feldes, die Fische des Meeres.“ Alles soll eintreten in seinen persönlichen Endzweck, was auch immer innerhalb der sichtbaren Natur enthalten ist. Von ihm geht in der sichtbahren Natur der Anstoß aus. Zu sich und zu seinem Gesamtwohl leitet er in höchster Selbständigkeit die Gesamtheit. Er selber ist der Weg, durch welchen alle Kreatur im Stoffe zur ewigen Wahrheit gelangt, wo sie dann ihr lebendiges Muster, ihre Exemplaridee, ihr Heim, das, worin sie lebt und belebt, erreicht und zusammen mit und im Menschen Anteil hat an der Lebensfülle. Das Leben des Menschen ist groß, weit umfassend, hoch erhaben. Aber wie mannigfache Schranken sind doch noch mit selbem verbunden! Schnell endet es; und seine Entwicklung geht durch tausend Hindernisse. Das All will der Mensch. Noch mehr! Was über dem All als einzelnes Sein erhaben ist, danach strebt er. Wie mühsam aber muß er bei den stofflichen Dingen gleichsam um Erkenntnis betteln! An die Körperwelt ist er gewiesen in seinem Erkennen; nach außen hin muß er sich wenden, um die Pforten der Unendlichkeit zu finden; — und noch dazu sind diese Dinge an sich wieder ohnmächtig, ihm zu helfen. Sie zeigen ihm ja nur etwas Farbe, nur etwas Figur, eine gewisse Ausdehnung; und er will Unendlichkeit. Mehr als eine andere Kreatur ist er nach oben gewiesen, daß er von da her für sein Handeln jene Selbständigkeit, jene leitende Kraft erhalte, welche unter dem äußeren Gewande des Stoffes bis zum Vermögen ohne Ende vordringt und daß er somit nach dieser Richtschnur, nach jenem Können, was im innersten Wesen jeder Kreatur liegt, zu seinem eigenen Wohle und zum Wohle des Ganzen Alles leite. Der Unendliche muß dem Menschen seine Kraft geben; Er, der das Wohl des Menschen und das Wohl des Ganzen selber ist; Er, der da, wo er einwirkt, Sein, Fülle und Selbständigkeit bringt im Maße seines Einwirkens; — Er selber muß das im Stofflichen schlummernde Endlose dem geschaffenen Blicke zeigen, mitten durch alle stofflichen Einzelheiten im Innern des Menschen hindurch leuchten und den Anstoß zur Thätigkeit geben, damit alles geleitet werde zur dauernden Teilnahme an der ewlgen Lebensfülle. Er allein ist nur Er selbst. Er allein ist wirklich sein; Er, unser Gott, hat wahrhaftiges einziges Leben, eigenes Sein, ist Sich selber Anfang. Sich selber Zweck. Er ist thätig, wo auch immer es Leben giebt; Er giebt da den Anstoß zur Thätigkeit und ist jener Endzweck, in welchem alle Kreatur je ihr eigenstes Ziel findet. Er bewirkt es eben durch sein Eingreifen, daß die Lebensfähigkeit, die Selbstbestimmung, jene Bestimmung, welche von der Kreatur zu Gunsten ihres eigenen Wohles je nach ihrer Seinsstufe ausgeht, Vermögen der Kreatur wird, ihr eigens zugehört, ihr Können vermehrt und ihr in Ewigkeit zugehören wird. Er ist jenes Leben; von dem der Psalmist sagt: „Mein Herz und mein Fleisch haben gejubelt dem lebendigen Gott entgegen.“ Dieses Leben ist all unsere Hoffnung: „Ich hoffe auf den lebendigen Gott,“ heißt es beim Apostel. Dieses Leben ist Wahrhaftigkeit: „So wahr Gott lebt,“ schwört der Prophet Elias; und in der Apokalypse heißt es: „Und er schwur bei dem, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Der Herr aber selbst: „So wahr ich lebe, spricht der Herr.“ (Ezechiel 18.) Und wenn du in Todesschatten wandelst und Bitterkeit und Angst dein Herz erfüllt, dann denke, daß Er, von dem die Kirche jubelnd singt: „Den König, dem alles lebt. Ihn wollen wir anbeten,“ „daß Er nicht will den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe;“ denn „nicht der Gott der Toten ist Er, sondern der Gott der Lebenbigen“. „Was gemacht ist, das ist in Ihm Leben.“ „Was ist diesl“ ruft Augustin aus. „Die Erde ist gemacht; aber die Erde selber, die gemacht ist, sie ist nicht Leben! In der ewigen Weisheit steht in geistiger Weise der Seinsgrund, die Exemplaridee, nach der und durch welche die Erde gemacht ist; und diese Exemplaridee ist Leben. Was also in Ihm gemacht ist, das ist Leben. Gebt acht! Der Bau ist im Künstler, der Bau steht in der Ausführung da. In der Ausführung ist er nicht Leben; im Künstler ist er Leben; denn er lebt im Geiste des Künstlers.“ „Lerne zu leben dein ganzes Leben,“ ermahnt Seneca (de brevit. vitae c. 7.). „Rauch ist dein Leben und es erscheint ein weniges“ (Jak. 4.); festige es am ewigen Leben. „Der Eitelkeit ist der Mensch gleich und wie der Schatten vergehen seine Tage.“ Die Kreaturen eilen wie vorüberfliegende Bilder an dir vorbei; halte aus ihnen bei dir an nur jenes, was aus dem ewigen Leben dir wie ein Zeichen daraufhin zukommt. Und „wenn die Bitterkeit der Schmerzen deiner Seele groß ist, so wird auch im selben Grade groß sein der Trost, mit dem das ewige Leben dich erfreuen wird“. „Ich weiß nicht, wie es begreiflich machen, daß wer auch immer sich selbst liebt und nicht Gott liebt,“ schreibt der große Augustin; „daß dieser auch nicht sich selber liebt; und wer andererseits nicht sich selbst liebt und Gott liebt, daß der sich selber liebt. Denn wer nicht leben kann von sich, der stirbt jedenfalls dadurch, daß er sich selbst liebt; es liebt also nicht sich selbst, wer sich so liebt, daß er nicht lebe. Wenn aber jener geliebt wird, von dem das Leben kommt, so liebt jener, der sich nicht selbst liebt, dadurch eben selber mehr sich selbst; denn er liebt deshalb nicht sich selbst, damit er den liebe, von dem ihm Leben kommt.“ (Tractat. penult. in Joan.)
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