Erster Artikel. Nicht alle Dinge in der Natur leben.
a) Das Leben scheint allen Dingen der Natur gemeinsam zu sein. Denn: I. Aristoteles sagt, die Bewegung sei gewissermaßen wie das Leben für alle Dinge, die existieren, Natur. Also da alles in der Natur in Bewegung ist, nimmt auch alles am Leben teil. II. Die Pflanzen leben, weil sie in sich selber das Princip für die Bewegung haben, soweit diese auf das Wachsen und das Abnehmen sich erstreckt. Die Bewegung von Ort zu Ort aber ist vollkommener und nur auf Grund ihrer besteht die Bewegung des Wachsens und Abnehmens in der Pflanze. Da also alle Körper ein Princip in sich schließen für die Bewegung von Ort zu Ort, so scheint es, daß alle Körper leben. III. Unter den Körpern innerhalb de Natur sind die Elemente die weniger vollkommenen. Ihnen wird aber Leben zugesprochen, wie z. B. das Wasser „lebendiges Wasser“ genannt wird. Also wohnt es auch den anderen Körpern inne. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (de div. nom. c. 6.): „Die Pflanzen stehen auf der letzten Stufe des Lebens.“ Die unbeseelten Körper aber stehen niedriger wie die Pflanzen. Also haben die gewöhnlichen Körper kein Leben.
b) Ich antworte, daß aus den Wesen, welche offenbar und ohne Zweifel Leben haben, entnommen werden kann, welchen Seinsgattungen es zukommt, zu leben, und welchen dies nicht zukommt. Leben haben nun offenbar die Tiere, wie bereits Aristoteles (de plantis lib. I. c. 1.) sagt. Wonach also die Tiere leben, danach muß bestimmt werden, worin sich die lebenden Wesen von den leblosen unterscheiden. Zuvörderst nun sagen wir, das Tier lebe, wenn es anfängt, aus sich, von innen heraus Bewegung zu haben. Und so lange wird es als lebend bezeichnet, so lange eine solche Bewegung erscheint. Wann aber dasselbe aus sich heraus keine Bewegung mehr hat, sondern vielmehr von außen her den Anstoß zur Bewegung erhalten muß, soll anders es in Bewegung sein; dann wird geurteilt, es sei tot, es mangle ihm also das Leben. Daraus geht hervor, daß jene Wesen eigentlich Leben haben, welche gemäß irgend einer Art von Bewegung sich aus sich selbst, von innen heraus bewegen; sei es daß man unter Bewegung die Thätigkeit des Unvollendeten versteht, was da, an sich nur Vermögen, der Entwicklung bedarf, um vollendet, d. h. thätig, zu sein, also des Stofflichen; sei es daß unter Bewegung die Thätigkeit des Vollendeten, des an sich und in sich Bethätigten, verstanden werde, wie z. B. das geistige Auffassen, das Fühlen, wo die Thätigkeit nicht aus dem Bedürfnisse, sondern aus der Fülle, aus dem nach dieser Seite hin Vollendeten fließt. So aIso werden lebendig genannt jene Wesen, die in sich selber die Bestimmung für die einzelne Bewegung haben, sie nicht von außen empfangen und somit je nach der verschiedenen Stufe des Lebens sich selbst bestimmen. Jene Wesen aber, in deren Natur nichts ist, wodurch sie sich selber zu irgend einer Bewegung ode zu einer Thätigkeit bestimmen, können nicht lebend genannt werden, außer etwa kraft einer gewissen Ähnlichkeit.
c) I. Jener Ausdruck des Aristoteles kann entweder von der Bewegung der Himmelskörper verstanden werden oder von der Bewegung im allgemeinen. Nach beiden Seiten hin wird kraft einer gewissen Ähnlichkeit diese Bewegung als das Leben der Körper in der Natur bezeichnet; nicht aber, weil da ein eigentliches Leben statthätte. Denn die Bewegung der Himmelskörper ist für das All der körperlichen Kreaturen gleichsam was die Bewegung des Herzens für den tierischen Körper ist, durch welche das Leben bewahrt wird. Und ähnlicher Weise verhält sich im allgemeinen jede natürliche Bewegung zu den Dingen der Natur wie gewissermaßen eine Ähnlichkeit der Lebensthätigkeit. Wenn sonach das ganze körperliche All ein einziges Tier wäre, so daß nämlich das Princip der Bewegung innerlich bestände, wie manche annehmen, so wäre die Bewegung, welche aus diesem Principe folgte, das Leben aller natürlichen Körper. II. Leichten oder schweren Körpern, die eben nur diese Eigenschaft des im gegenseitigen Verhältnisse Leichten oder Schweren haben,.kommt es nicht zu, in Bewegung zu sein außer insoweit sie außerhalb des ihnen eigentümlichen Ortes sind. Sind sie in dem ihnen eigenen oder natürlichen Orte, so ruhen sie. Den Pflanzen aber und allen anderen lebenden Wesen ist es Natur, gemäß ihrer Seinsstufe Lebensbewegung zu haben; und soweit sie von dieser Bewegung sich entfernen ode gänzlich ruhen, entfernen sie sich ihrer Natur nach vom Leben oder entbehren es ganz. Und außerdem sind die reinen Körper bloß in Bewegung kraft äußeren Anstoßes, sei es daß dieser vom Bewegenden ausgeht oder vom Zeugenden, der die Form giebt. Die lebendigen Körper aber bewegen sich,selbst. Il. Lebendiges Wasser wird genannt, was beständig fließt; totes, was steht, wie in den Cisternen. Dies geschieht nach einer gewissen Ähnlichkeit mit dem Leben. Denn die in Bewegung seienden Wasser scheinen sich zu bewegen. Jedoch bewegen sie sich nicht aus sich heraus. Denn sie haben für diese Bewegung das Anstoß gebende nächste Princip nicht in sich; sondern von der Ursache haben sie es, die sie erzeugt hat.
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