Dritter Artikel. Gott kommt es im höchsten Grade zu, zu leben.
a) Es scheint, daß es nicht angeht, Gott das Leben zuzuschreiben. Denn: I. Leben haben jene Dinge, welche von sich selbst aus sich bewegen. Von Gott aber kann nicht ausgesagt werden, daß Er sich bewege. Also hat Er auch kein Leben. II. In allen Wesen, welche leben, muß ein Princip des Lebens angenommen werden; wie II. de anima gesagt wird. Die Seele sei des lebenden Körpers Ursache und Princip. Gott aber hat kein Princip. III. Das Princip des Lebens in den uns umgebenden Dingen ist die Pflanzenseele, die nur im Körperlichen sich vorfindet. Gott aber ist nichts Körperliches. Also hat Er kein Leben. Auf der anderen Seite sagt der Psalmist (39, 3.): „Mein Herz und mein Fleisch haben gefrohlockt zum lebendigen Gott hin.“
b) Ich antworte: Es muß hier erwogen werden, daß von einem Dinge das Leben ausgesagt wird, inwieweit es aus sich heraus und nicht rein infolge des Anstoßes von außen her thätig ist. Je vollkommener also dies von einem Sein ausgesagt werden kann; desto mehr kommt demselben das Leben zu. Im Verhältnisse aber der bewegenden Krafte zu den bewegten machen sich hier drei verschiedene Gestaltungen geltend. 1. Der Zweck bewegt zuvörderst den Wirkenden. Die hauptsächlich und in erster Linie einwirkende Ursache aber ist jene, welche vermittelst ihrer eigenen Form wirkt; — und zwar thut sie dies auch manchmal durch ein Werkzeug, das dann nicht durch die Kraft seiner eigenen Natur im Einwirken geleitet wird, sondern vielmehr durch die Klaft der hauptsächlich und in erster Linie einwirkenden Ursache; dem Werkzeuge kommt dann also nur die Ausführung der Absicht zu, welch' letztere der ersteinwirkenden Ursache innewohnt. So bestehen manche Dinge, die da wohl lebend sind, also von sich selber aus sich bewegen; die aber weder die Form noch die Absicht in sich selber haben, sondern nur wie Werkzeuge zur Ausführung der Bewegung dienen und nach einem ihnen an und für sich fremden Zwecke hingeordnet sind. Die Form, gemäß deren sie sich bewegen, ist ihnen von der Natur, also von außen gegeben; der Zweck ist ihnen gleichfalls von der Natur, also von außen mitgeteilt. Sie haben nach beiden Seiten hin die Bestimmung für das einzelne Thätigsein nicht in ihrer Gewalt. Zu dieser Klasse lebender Wesen gehören die Pflanzen, welche nach der von Natur ihnen innewohnenden Form sich selbst bewegen zum Wachsen oder zum Abnehmen hin. 2. Die zweite Klasse umfaßt solche lebende Wesen, welche nicht rein ausführend sich verhalten rücksichtlich dessen, was in der Bewegung von und aus ihnen selbst kommt; sondern welche zugleich die Form durch sich selbst, durch ihre Thätigkeit erlangen, nach welcher die Bewegung stattfindet. Dazu gehören die Tiere, in denen das Princip der einzelnen Bewegung nicht unmittelbar die von der Natur erhaltene Wesensform ist, sondern jene, welche die Sinne vermitteln. Je vollkommener somit ihre Sinne sind, desto vollkommener bewegen sie sich selbst. Denn jene Tiere, die nur den Taktsinn haben, bewegen sich einzig und allein, indem sie sich ausdehnen oder zusammenziehen, wie die Muscheln; sie überragen wenig die den Pflanzen eigentümliche Bewegung. Andere Tiere aber, welche den Sinn in mehr vollkommener Weise besitzen, so daß sie nicht nur erfassen das, was sie berührt, sondern auch was fern von ihnen ist, bewegen sich gemäß der in das Auge oder das Ohr aufgenommenen Form von Ort zu Ort. Diese zweite Klasse kommt mit der ersten darin überein, daß auch die von ihr eingeschlossenen lebenden Wesen nicht den Zweck der einzelnen Bewegung sich selber vorstellen und bestimmen; sondern nur die betreffende Form in sich aufnehmen als Richtschnur der Bewegung, den Zweck aber, sei es in der Sättigung oder Fortpflanzung oder in etwas anderem durch die Natur von außen her in sie eingeprägt enthalten und sich sonach kraft des Instinktes zu dem hinbewegen, dessen äußere Form der Sinn aufgefaßt hat. 3. Dies letztere, nämlich den Zweck des einzelnen Wirkens sich vorzustellen, ist nur jenen lebenden Wesen eigen, welche mit Vernunft und Verständnis begabt sind, die also das Verhältnis des Zweckes zu ihnen selbst und dessen, was zum Zwecke dient, erkennen und demgemäß sich bestimmen. Den Zweck aber erkennt nur die Vernunft, weil nur sie das Wesen des Dinges, also die tiefste Richtschnur desselben in ihm selber, auffaßt und somit ermessen kann, was dem Dinge und der eigenen Natur zum Wohle dient, da die Vollendung des inneren Wesens im Dinge für jedes Ding in seinem Thätigsein der letzte Zweck ist. Die äußeren Eigenschaften sind nur Mittel für diesen Zweck. Die größere Vollendung des Lebens findet sich sonach in jenen Seinsarten, welche neben der Erkenntnisform (hier neben der allgemeinen Idee, welche das Wesen vertritt) auch den Zweck in sich haben und ihn sich selber bilden. Das Zeichen von der Richtigkeit dieses Hauptunterschiedes zwischen den drei Lebensstufen ist dieses, daß die Erkenntniskraft in ein und demselben Menschen die snnlichen Kräfte anregt und diese letzteren dann jene Vermögen bewegen, welche nur der Ausführung dienen. Denn so sehen wir es auch in der Verbindung der Künste untereinander, daß die Kunst, welche über den Gebrauch des Schiffes z. B. bestimmt, also über seinen Zweck, die Steuerkunst nämlich, jener Kunst die Regeln angiebt, welche dem Schiffe die geeignete Form giebt; und diese wieder setzt in Bewegung die anderen Künste, welche ausführend wirken und den Stoff disponieren. Obgleich nun aber unsere Vernunft zu Manchem sich selbst bestimmt, so ist ihr doch in vielem Anderen der Zweck von der Natur, also von außen vorherbestimmt. So muß sie die ersten allgemeinen Principien anerkennen; und sie kann nicht anders als den letzten Zweck, nämlich das eigene Wohl wollen. Die menschliche Vernunft muß also nach dieser Seite hin wieder von einem anderen Sein außerhalb ihrer selbst bestimmt und bewegt werden. Jenes Sein somit, das da sein eigenes Erkennen und Verstehen ist; und für welches das, was es kraft seiner Natur hat, von keinem anderen bestimmt und geordnet wird; dieses Sein hat den ersten Rang im Leben inne. Ein solches Sein ist aber Gott. Und somit ist in Gott im höchsten Grade Leben. Das zeigt auch Aristoteles (12 Metaph.). Nachdem er dargethan, daß Gott erkennt, schließt er, Gott habe das vollkommenste und ewiges Leben, weil sein Erkennen das höchste und stets thatsächlichste Erkennen, weil es niemals bloßes Vermögen ist. I. Es giebt eine doppelte Art Thätigkeit (9 Metaph.): die eine hat ihr Ende in einem außenliegenden Stoffe, wie z. B. wärmen, schneiden; die andere bleibt im Sein oder im Vermögen selber, was thätig ist, wie z. B. fühlen, erkennen. Der Unterschied ist dieser, daß die erstere Thätigkeit nicht als die Vollendung dessen erscheint, was thätig ist, sondern als die Vollendüng des bewegten und bearbeiteten Stoffes; die zweite aber ist die Vollendung dessen, der thätig ist. Weil demgemäß die Bewegung als die Bethätigung und Vollendung des Beweglichen und Bearbeiteten erscheint, dessen also, was die Bewegung an ihrem Ende aufnimmt, wird die zweite Art der Thätigkeit, insoweit sie die Bethätigung und Vollendung dessen selber ist, der da wirkt und von dem das Thätigsein ausgeht, ebenfalls einer gewissen Ähnlichkeit zufolge Bewegung genannt, so daß im ersten Falle, wo es sich um die Bethätigung und Formung des unvollendeten Stoffes handelte, die Bewegung als die Vollendung des Beweglichen bezeichnet werden muß; wahrend im zweiten Falle, wo es sich um die Thätigkeit und Vollendung des Thätigen selber handelt, die Bewegung als Vollendung eben dieses Thätigseienden bezeichnet wird. So also, in dieser letzten Weise, bewegt sich auch Gott, indem seine Thätigkeit sein inneres Wesen und ohne Grenzen all seine Vollendung ist. II. Gott ist sein Sein und sein Erkennen; und sonach ist Er auch sein Leben“. Und deshalb lebt Er so, daß Er kein Princip hat, um leben zu können, wohl aber für alles Lebende das erste Princip ist. III. Das Leben findet sich bei uns in der vergänglichen Natur, welche der Nahrung bedarf, um erhalten zu bleiben. Deshalb besteht hier kein Leben ohne die Pflanzenseele. Das hat aber keine Bedeutung für körperlose Naturen.
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