Vierter Artikel. Alle Dinge sind leben in Gott.
) Dagegen scheint zu sprechen: I. Der Apostel schreibt: „In Ihm sind wir, leben wir und bewegen wir uns.“ (Act. 117.) In Gott aber ist nicht Alles Bewegung. Also ist da auch nicht Alles Leben. II. Alle Dinge sind in Gott wie in der ersten Musterursache. Alle Dinge müssen deshalb ähnlich sein ihrem Muster. Nicht alle aber haben in ihrem eigenen Sein betrachtet Leben. Also sind nicht alle Dinge in Gott Leben. III. Augustin (de vera Relig. c. 20.) schreibt: „Eine lebende Substanz ist besser, als eine nicht lebende.“ Wenn also die Dinge, die hier ihrem eigensten Sein nach nicht leben, in Gott Leben haben, so scheinen sie mit mehr Wahrheit in Gott zu sein, wie in sich selbst. Das ist aber falsch. Denn in sich sind sie thatsächlich; in Gott aber nur dem Vermögen nach. ‘ IV. Wie alles Gute, was geschieht, von Gott gewußt wird und ebenso alles, was irgend einer Zeit nach Sein hat; so muß es sich ebenso mit dem Übel verhalten, und mit dem, was Gott machen kann, aber niemals macht. Wenn also alle Dinge Leben in Gott sind, insoweit sie von Gott gewußt werden, so sind auch die Übel und Alles, was geschehen kann, aber niemals geschieht, Leben in Gott. Auf der anderen Seite heißt es bei Joh. 1, 4.: „Was gemacht worden, war in Ihm Leben.“ Alle Dinge aber außer Gott sind gemacht. AIso sind sie alle in Gott Leben.
b) Ich antworte, daß wie auseinandergesetzt worden, „Leben“ für Gott ein und dasselbe ist wie „Erkennen“ oder „Verstehen“. Erkennen aber in Gott ist ein und dasselbe wie die Vernunft und der erkannte Gegenstand. Was auch immer also in Gott ist als Verstandenes oder Erkanntes, das ist sein „Leben“. Da aber alle Dinge, welche Gott gemacht hat, in Ihm als etwas Verstandenes oder Erkanntes sind, so folgt daraus, daß alle in Ihm „Leben“ sind.
c) I. Die Kreaturen sind in zweifacher Weise in Gott: Einmal, insoweit sie in ihrem Sein bewahrt und erhalten werden durch die Kraft Gottes; wie wir sagen, es sei etwas in uns, was in unserer Macht steht; — und so spricht der Apostel; denn unser „Sein“, unser „Leben“ und unser „Bewegtwerden“ wird von Gott verursacht. In dieser Weise sind die Kreaturen in Gott, insoweit sie in ihren eigenen Naturen subsistieren. Dann sind die Kreaturen in Gott, wie im Erkennenden; — und so sind die Kreaturen in Gott, insofern da die maßgebenden Gründe, also die leitenden Ideen ihres Seins sich finden. Diese aber sind nichts Anderes als das göttliche Wesen. Die Dinge also sind als in Gott seiend das göttliche Wesen. Und weil das letztere wohl Leben ist, nicht aber Bewegung, so sind alle Dinge Leben in Gott. II. Was nach einem Muster gemacht ist, das muß diesem gleichen gemäß der leitenden Form; nicht aber in der Art und Weise zu sein. So hat z. B. die Form des Hauses eine andere Seinsweise im Geiste des Architekten, wie wenn es als im Stoffe befindlich betrachtet wird. Dort ist ese stofflos und sonach verständlich für den vernünftigen Geist; hier ist es stofflich und nur den Sinnen an und für sich zugänglich. Somit sind auch die Seinsgründe jener Dinge, welche hier an und für sich nicht leben, in der göttlichen Vernunft Leben, weil sie da das göttliche Sein haben. III. Wenn zu den natürlichen Dingen nicht der Stoff gehörte, sondern nur die Wesensform, so könnte ruhig zugegeben werden, daß in jeder Weise diese Dinge ein wahreres Sein in Gott haben wie in sich selbst. Deshalb nahm auch Plato an, die für sich bestehende Idee „Mensch“ sei der wahre Mensch; der einzelne stoffliche Mensch sei nur ein nachgemachtr. Weil aber zu den natürlichen Dingen wesentlich der Stoff gehört; so muß gesagt werden, daß sie wohl in der göttlichen Vernunft ein wahreres Sein besitzen, rein an sich im Wesen betrachtet, wie in sich selber; denn da haben sie das ungeschaffene Sein und in sich selber ein geschaffenes. Wird aber Rücksicht darauf genommen, daß dieses bestimmte Sein existiert in seinen stofflichen Verhältnissen unter Zeit und Ort, Figur und Größe, also z. B. dieser Mensch, dieses Pferd etc., so haben sie wahreres Sein in sich selber als in der göttlichen Vernunft; denn zur Wahrheit des Menschen gehört das stoffliche Sein und dieses haben sie nicht in der göttlichen Vernunft. So hat z. B. das Haus ein weit erhabeneres Sein im Geiste des Künstlers wie im Stoffe; mit mehr Wahrheit wird aber das stoffliche Haus als Haus bezeichnet, wie jenes, das im künstlerischen Geiste sich vorfindet. Denn jenes hat Thatfächlichkeit; dieses aber besteht nur im Vermögen. IV. Die Übel sind wohl inbegriffen in der göttlichen Wissenschaft, aber nicht als von Gott geschaffenes oder von Ihm bewahrtes oder seinen Seinsgrund in Gott besitzendes Sein. Denn sie werden erkannt von Gott auf Grund des Guten, dessen sie berauben. Also kann nicht gesagt werden, die Übel seien Leben in Gott. Was aber niemals Sein hat, von dem kann allerdings gesagt werden, es sei Leben in Gott, insofern „Leben“ nur „Erkennen“ bezeichnet, insofern dies also von Gott verstanden wird; nicht aber inwieweit Gott als wirkendes Princip gilt.
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