Erster Artikel. In Gott ist Gerechtigkeit.
a) In Gott scheint keine Gerechtigkeit zu sein. Denn: I. Die Gerechtigkeit ist in derselben Seinsart eine Gattung wie die Mäßigkeit; nämlich eine moralische Tugend. In Gott aber ist keine Mäßigkeit. Also besteht auch da keine Gerechtigkeit. II. Wer alles nach seinen,bloßen Gutbefinden thut, der hat keine Richtschnur für sein Handeln in der Gerechtigkeit. Gott aber wirkt alles nach dem Ratschlusse seines Willens. (Ephes. 1, 11.) Also Gerechtigkeit darf Ihm nicht zugeschrieben weden. III. Ein Akt der Gerechtigkeit ist es, das zu geben, was man schuldig ist. Gott aber ist niemandes Schuldner. Also Gott kommt die Gerechtigteit nicht, zu. IV. Was in Gott ist, das ist sein Wesen. Dies kann aber von der Gerechtigkeit nicht gelten. Denn Boëtius sagt (lib. de. hebdom.): „Das Gute wird ausgesagt mit Rücksicht auf das Wesen; das Gerechte mit Rücksicht auf den Akt.“ Auf der anderen.Seite sagt aber der Psalmist (10, 8): „Gerecht ist der Herr und die Gerechtigkeit liebt Er.“
d) Ich antworte, daß zuvörderst eine doppelte Gattung von Gerechtigkeit unterschieden werden muß. Die eine regelt das wechselseitige Empfangen und Geben, Kauf und Verlauf und ist vielmehr ein Austausch oder wechselseitige Veränderung (commutatio), wo jeder Teil eine Änderung leidet. (5 Ethic. c. 4.) Diese kommt Gott nicht zu. Es ist die justitia commutativa, die der Apostel von Gott entfernt mit den Worten (Röm.12.): „Wer hat zuerst Gott gegeben, auf daß Ihm wiedervergolten werde!“ Die andere Gattung besteht im Verteilen. Nach dieser Gerechtigkeit der justitia distributiva, giebt der Verwalter eines Gemeinwesens z. B. einem jeden gemäß dessen Würdigkeit. Wie also die gute Ordnung in einer Familie oder in einer beliebigen zu einer Einheit verbundenen Menge anzeigt, daß das regierende Haupt diese Art Gerechtigkeit besitzt; so beweist die gute Ordnung in dem geschöpflichen All, sowohl in den vernunftlosen wie in den vernünftigen Kreaturen, die Gerechtigkeit Gottes. Deshalb sagt Dionysius. (de div. nom. c. 8.): „Darin muß man die wahre Gerechtigkeit Gottes erblicken, daß er allen und jeden zuteilt, je nach der Natur, gemäß der Bedürfnisse und der Seinsstufe oder Würde eines jeden und jeglichess in seiner Ordnung bewahrt.“ I. Einzelne moralische Tugenden beschäftigen sich nur mit der Regelung der Leidenschaften in den Sinnen und mit deren Einflusse auf die vernünftige Natur: wie die Mäßigkeit den Begierden den Zügel anlegt, die Stärke der Angst und Furcht entgegentritt und die Milde den Zorn in die gehörigen Schranken weist. Solche Tugenden also können Gott nicht zugeschrieben werden außer etwa figürlich; denn weder sind in Gott Leidenschaften, noch ist da sinnliches Begehren. Andere Tugenden aber beschäftigen sich reein mit Wirken, mit Thätigkeiten; wie die Gerechtigkeit mit Kauf und Verkauf, die Freigebigkeit mit Schenkungen. Diese finden sich nicht im sinnlichen Teile ihrem materialen Subjekte nach, sondern im geistigen Willen. Solche Tugenden darf man ungescheut von Gott aussagen; natürlich in einer Weise, welche der göttlichen Art von Thätigkeit entspricht. II. Da der Gegenstand des Willens das Gute ist, insoweit es in der Vernunft aufgefaßt wird, so kann Gott nur wollen, was in seiner Weisheit den Grund hat. Und diese vertritt bei Ihm das Gesetz der Gerechtigkeit, gemäß dem der Wille gerade und recht ist. Deshalb macht Gott, was Er seinem Willen gemäß thut, mit Gerechtigkeit; wie auch wir recht thun, was wir gemäß dem Gesetze vollbringen. Freilich gilt für uns das Gesetz einees Höheren; Gott aber ist Sich selber Gesetz. III. Jeglichem wird gegeben, was sein ist, d. h. was ihm zukommt. Als das seinige nun betrachtet jegliches Ding, was zu ihm hingeordnet, ihm unterworfen ist; wie der Knecht dem Herrn gehört, „sein,“ des Herrn, ist, und nicht umgekehrt. Denn frei ist, was Gewalt hat über sich und die Ursache seines Handelns in sich selber enthält. In dem Ausdrucke „Schuld“ ist also eingeschlossen eine gewisse Beziehung der Notwendigkeit und Abhängigkeit zu dem, von welchem der Schuldende abhängt. Nun ist in diesen Beziehungen eine doppelte Ordnung zu beachten. Die eine ist die, wonach etwas Geschaffenes zu einem anderen Geschaffenen Beziehung hat, wie die Teile zum Ganzen, die Eigenschaften zur Substanz und jegliches Ding zu seinem Zwecke hin. Die andere Ordnung ist die, wonach alles Geschaffene zu Gott Beziehung hat. So also kann auch ein „Schulden“ in doppelter Neziehung bei Gott und seinem Wirken unterschieden werden: entweder nämlich je nachdem etwas Gott geschuldet wird oder je nachdem etwas dem geschaffenen Dinge geschuldet, wird. Und nach beiden Seiten hin giebt Gott, was geschuldet wird. Denn Gott gegenüber wird geschuldet, daß das geschieht in den Dingen, was in seiner Weisheit und seinem Willen enthalten ist und was dazu dient, seine Güte zu offenbaren. Demgemäß berücksichtigt die Gerechtigkeit Gottes seine eigene Ehre, daß Ihm gegeben werde von den Kreaturen, was Ihm geschuldet wird. Eine Schuld auch ist es gegenüber dem geschaffenen Dinge, daß es dies. habe, was ihm gebührt; wie dem Menschen z. B. gegenüber, daß er Hände habe und daß die anderen sinnbegäbten, aber vvernunftlosen Wesen ihm gehorchen. Und auch nach diese Seite wirkt Gott Gerechtigkeit, wenn Er einem jeden Wesen giebt, was die Natur und die Verhältnisse desselben fordern. Dieses letzte „Schulden“ aber hängt vom ersten ab, weil einem jeden Wesen geschuldet wird, was zu ihm, gehört gemäß der ordnenden Richtschnur der göttlichen Weisheit. Und wenn auch Gott all dieser Schuld genugthut, so ist Er doch kein Schuldner; denn Er wird nicht dem anderen pflichtig, sondern alles Andere ist Ihm unterworfen. Und so wird Gerechtigkeit in Gott genannt manchmal die seiner Güte gebührende Ehre und manchmal, daß er nach den Verdiensten eines jeden ihm Lohn oder Strafe giebt. Und beides berührt Anselmus mit den Worten: „Wenn du die Bösen bestrafest; “ ist es geecht, weil es deren Verdiensten so entspricht. Wenn du aber ihrer schonst, ist es gerecht, weil dies deine Güte ehrt.“ (Prosol. 10.) IV. Freilich berücksichtigt die Gerechtigkeit den Akt ode die Thätigkeit. Damit aber wird nicht ausgeschlossen, daß sie das Wesen Gottes sei; denn auch das, was zum Wesen eines Dinges gehört, kann Princip der Thätigkeit sein. Das Gute aber wird nicht immer mit Beziehung auf den Akt oder die Thätigkeit ausgesagt. Denn es kann etwas gut sein; nicht allein insofern es wirkt, sondern auch insofern es in seinem Wesen vollendet ist. Und deshalb wird eben daselbst gesagt: „Das Gute stehe zum Gerechten im Verhältnisse des allgemeinen zum besonderen.“
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