Zweiter Artikel. Das Verhältnis der Gerechtigkeit Gottes zur Wahrheit.
a) Die Gerechtigkeit scheint nicht Wahrheit zu sein. Denn: I.Die Gerechtigkeit ist im Willen, da sie nach Anselm (dial. verit. c. 13.) „die Gladheit des Willens“ genannt wird. Die Wahrheit aber ist nach Aristoteles (6. Metaph.; 6. Ethic. c. 2. et 6.) in der Vernunft. Also hat die Gerechtigkeit mit der Wahrheit nichts zu thun. II. Die Wahrheit als Tugend ist nach Aristoteles (4 Ethic. c. 7.) von der Gerechtigkeit verschieden. Zum Wesen der Gerechtigkeit gehört also nicht die Wahrheit. Auf de anderen Seite wird Ps. 84, 11. gesagt: „Die Barmherzigkeit und Wahrheit sind sich begegnet;“ und steht da Wahrheit für Gerechtigkeit.
b) Ich antworte, daß die Wahrheit in der Gleichförmigkeit der Vernunft mit der Sache besteht. Die Vernunft aber, welche die Sache verursacht, ist im Verhältnisse zu dieser letzteren wie Maß und Richtschnur; während umgekehrt für unsere Vernunft die äußere Sache Maß und Richtschnur für das Verständnis bildet. Bei uns also besteht, soweit die Natur Gegenstand der Erkenntnis ist, die Wahrheit darin, daß die Vernunft sich den Dingen anpaßt und dadurch ihnen gleichförmig wird. Denn deshalb, weil die äußeren Dinge sich so, wie wir meinen, verhalten oder nicht, ist unsere Meinung wahr oder falsch. Dagegen besteht für jene Vernunft, welche als Ursache das Maß und die Richtschnur der Dinge ist, die Wahrheit darin, daß die Dinge sich ihr anpassen und daß demgemäß die Gleichförmigkeit zwischen Vernunft und Sache betrachtet wird; wie der Künstler ein wahres Kunstwerk schafft, wenn es der Kunstidee entspricht. Wie sich aber Kunstwerke zur Kunstidee verhalten, so verhalten sich die gerechten Werke zum Gesetze, dem sie entsprechen. Die Gerechtigkeit Gottes also, welche den Dingen eine der göttlichen Weisheit, also ihrem Gesetze, gleichförmige Ordnung aufprägt, wird mit Recht auch Wahrheit genannt. Und so wird bei uns ebenfalls von einer Wahrheit der Gerechtigkeit gesprochen. I. Die Gerechtigkeit, insoweit sie als maßgebendes Gesetz aufgefaßt wird, ist in der Vernunft. Insoweit jedoch der Befehl in Betracht gezogen wird, wonach nun das thatsächliche Sein gemäß dem Gesetze geregelt wird, ist sie im Willen. II. Jene Wahrheit, von welcher Aristoteles spricht, ist eine Tugend, durch welche jemand darthut, wie seine Worte und Thaten seinem Innern gleichförmig sind. Sie besteht sonach in der Gleichförmigkeit des Zeichens mit dem Bezeichneten; nicht aber in der Gleichförmigkeit der Wirkung mit der Ursache, wie eben über die Wahrheit der Gerechtigkeit gesagt worden.
