Zweiter Artikel. Die Seligkeit Gottes in ihrem Verhältnisse zur göttlichen Vernunft.
a) Gott scheint nicht selig genannt zu werden auf Grund seiner vernünftigen Erkenntnis. Denn: I. Die Seligkeit ist das höchste Gut. „Gut sein“ aber wird als ein und dasselbe mit der göttlichen Natur ausgesagt, denn das „Gute“ wird gesagt mit Beziehung auf das Sein, soweit dieses im Wesen begründet ist. Also gilt dasselbe von der Seligkeit. Dieselbe wird ausgesagt, vielmehr mit Beziehung auf das Wesen und auf die Natur Gottes wie auf sein Erkennen. II. Die Seligkeit ist ihrer Natur nach Zweck. Der Zweck aber ist wesentlich der Gegenstand des Willens, wie auch das Gute. Also wird die Seligkeit von Gott vielmehr gemäß dem Wollen ausgesagt als gemäß dem Erkennen. Auf der anderen Seite sagt Gregor der Große (32. moral. c. 7.): „Er, unser Gott, ist glorreich, der im Genusse seiner selbst sich genügt und fremden hinzukommenden Lobes nicht bedarf.“ Glorreich sein aber drückt aus „selig sein“. Da also nach Augustin (22. de Civ. 26.): — „Das Anschauen ist der ganze Lohn“ — wir Gottes genießen gemäß der Vernunft, so scheint die Seligkeit Gott zuzukommen gemäß dem Erkennen.
b) Ich antworte, daß die Seligkeit das vollkommene Gut der vernünftigen Natur bedeutet; und daher kommt es, daß, sowie jegliches Ding nach seiner Vollendung verlangt, so auch das vernünftige Wesen naturnotwendig danach begehrt, selig zu sein. Das Vollendetste aber in jeder vernünftigen Natur ist die vernünftige Thätigkeit, gemäß welcher dieselbe gewissermaßen alles in sich faßt. Somit besteht die Seligkeit einer jeden vernünftigen Natur im Erkennen. In Gott aber ist es dem wirklichen Sein nach genau dasselbe, zu sein und zu erkennen; nur nach der Weise unserer Auffassung wird darin unterschieden. Gott also kommt die Seligkeit zu gemäß der Vernunft ebenso wie allen Seligen, welche durch die Teilnahme an seiner Seligkeit selig genannt werden.
c) I. Der erste Einwurf beweist, daß Gott kraft seines Wesens selig ist; nicht aber, daß sie Ihm zukommt gemäß seinem Wesen, sondern vielmehr gemäß seinem Erkennen, welches das Gute im Wesen durchdringt oder mit demselben identisch ist und es als allseitiges Gut vorstellt. II. Die Seligkeit ist als ein Gut wohl Gegenstand des Willens. Der Gegenstand des Willens wird aber zuvörderst als verstanden vorausgesetzt, ehe der Wille darin ruht und sich freut. Die Seligkeit ist also ihrem Wesen nach in der Erkenntnis und als solche, als verstandene, ist sie die Freude ode der Gegenstand des Willens.
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