Sechsunddzwanzigstes Kapitel. Die Seligkeit Gottes.
Überleitung. „Selig der Mann, der nicht auf Abwegen wandelt nach dem Rate der Bösen.“ (Ps. 1.) „Selig, der Verständnis hat für den Armen und Bedürftigen.“ (Ps. 40.) „Selig das Volk, das Freude und Frohlocken kennt.“ (Ps. 88.) „Selig, die da Gerechtigkeit üben und das Urteil der Wahrheit' behüten.« (Ps. 105.) „Selig, wer da festhält und seine Kleinen an dem Felsen zerschellt.“ (Ps. 36) „Selig der Mensch, welcher Weisheit findet.“ (Prov. 3.) „Selig, wer das Gesetz behütet.“ (Prov. 29.) „Selig der Reiche, der ohne Makel ist.“ (Eccli. 31.) „Selig, die ihr säet auf allen vorüberfließenden Wassern der Zeit.“ (Isaias 32.) „Selig, wer einen wahren Freund hat“ (Eccli. 25.); „wer gefeit ist gegen böse Worte“ (Eccli. 28.); „welcher in seinen Worten nicht gefallen ist.“ (Eccli. 14.) So die heiligen Schriften! Wer könnte aber alle die verschiedenen Arten der Seligkeit zusammenstellen, welche die heiligen Schriften trotz der vielen verschiedenen Gebrechen und Hindernissen auf Erden für die noch pilgernde Menschheit aufzählen! Und wo ist der Grund davon, daß mitten in Armut und Bedürftigkeit, mitten in den unzähligen Gefahren dieser Welt, mitten in Kampf und Streit sich im Herzen Seligkeit ausgießt? „Selig alle, die auf Gott vertrauen.“ (Ps. 2.) „Selig, der da gebessert wird von Gott.“ (Job 6. Ps. 93.) „Selig, dem Gott die Sünde nicht anrechnet.“ (Ps. 31.) „Selig alle, die auf Ihn warten.“ (Isaias 30.) „Selig der Mensch, der auf Dich sein Vertrauen setzt.“ (Ps. 83.) „Selig der Mensch, dem es gegeben ist, die Furcht Gottes zu haben.“ (Eccli. 25.) „Selig alle, die Dich sehen.“ (Eccli. 48.) „Selig das Volk, dessen Herr sein Gott ist.“ (Ps. 143.) „Selig, den Du erwählt und zu Dir aufgenommen hast.“ (Ps. 64.) „Selig, die in Deinem Hause wohnen, o Herr“ (Ps. 83.), „deren Beistand Du bist.“ Schau' da die Quelle der Seligkeit, wie sie ihre Wasser bereits hier auf dem irdischen Pilgerwege in unser Herz sendet. Auf sie blickte der Psalmist und rief aus: „Selig, die unbefleckt sind auf ihrem Wege.“ „Selig, die da forschen nach den Zeugnissen Gottes.“ Und wozu führt Diese Seligkeit, welche das Herz hier auf Erden bereits durchdringt? O wahrlich: „Selig Deine Knechte, die vor Deinem Antlitze stehen ohne Unterbrechung.“ (3. Reg. 10.) Von ihnen, die Gott selber schauen, gilt das Wort des Palmisten: „Selig bist Du und selig wirst Du sein.“ (Ps. 127.) „Sie werden essen die Früchte ihrer Arbeit. „Sellg, wer in diesen Gütern fortwährend verweilt. (Eccli. 50.) „Selig sind die Toten, die im Herrn sterben, ihre Werke folgen ihnen nach.“ (Apoc.14.) „Selig und heilig, der da Anteil hat an der zweiten Auferstehung.“ Das ist die Seligkeit, welche für den irdischen Pilgerweg zur unverrückbaren Ewigkeit hin aus der Seligkeit des dreimal Seligen her in unser Herz fleßt. Weit bleibe von uns der Gedanke, daß unser Gott durch sein Einwirken in uns wie ein Fremder, wie ein Feind uns gegenüber steht. Er ist in uns durch sein Wesen; und deshalb haben wir ein Wesen zu eigen. Er ist in uns durch seine Macht; und deshalb besitzen wir uns zugehörige Vermögen, um zu wirken und zu empfangen, zu geben und zu leiden. Er ist in uns durch seine Gegenwart; und deshalb folgt seinem Schauen wie die Wirkung der Ursache alles thatsächliche Wirken in uns. Halte auf die Ehre deiner Freiheit, o Mensch! Vor dem ganzen Weltall stehst du kraft deiner Natur innerhalb des Geschöpflichen da als der Erste und Maßgebende, wenn es gilt, die allgemeinen Kräfte der Natur und der Gnade auf die einzelnen Verhältnisse im Stoffe anzuwenden; hier zu wirken und da nicht; hier das zu wirken und dort jenes. Halte auf deine Freiheit den anderen Geschöpfen gegenüber! Daß das eitle Geld nicht deine Schritte in endgültiger Weise lenke, deine Augen belebe, deine Ohren bethätige, deinen Verstand erfülle und deinen Willen von allem Anderen abziehe! Daß der Neid, der Zorn, die Rachsucht nicht deinen Entschluß für einzelnes Wirken leite. Darauf haltet Das sei deine Ehre! Aber unglücklicherweise möchte der Mensch seine Ehre und seine Seligkeit darein setzen, Gott gegenüber das Einzelne zu ordnen, trotz Gottes und trotz seiner Gebote das in dem bestimmten Augenblicke zu sprechen anstatt jenes; dann zu schweigen, wo er sprechen sollte; und dort zu sprechen, wo er schweigen sollte. Die Seligkeit deiner Freiheit kann nur von oben kommen. Jener allein kann dir die Selbständigkeit einer Welt von Menschen und Teufeln und deinem eigenen Fleische gegenüber in aller einzelnen Thätigkeit durch sein Einwirken verleihen, der diese Selbständigkeit, diese Thätigkeit, diese Seligkeit selber in aller Fülle ist. Was Er in dir wirkt, kann nie irgend etwas wegnehmen, es kann nur geben. Oder wird das Zinnner dunkler, wenn die Mittagssonne hell hereinscheint? Wird die Speise kälter unter der Einwirkung des Feuers? Das Licht bleibt Licht seinem Wesen nach und das Zimmer bleibt Zimmer; aber erst das Einwirken des Lichtes belebt die schönen Farbenspiele, weit entfernt der Farbe zu schaden. Du bist und der Schöpfer ist. Du bleibst deiner Natur getreu; und der Schöpfer bleibt in Ewigkeit Gott von Natur und Wesen. Aber sein Einwirken erhöht dein Sein, weil Er das Sein selber ist. Es erhöht dein Leben, weil Er das Leben ist. Es erhöht deine süße Freiheit, weil Er die Freiheit ist. Er erhöht deine Seligkeit hier und dort, weil Er alle Seligkeit in sich schließt und außer Ihm kein Gut bestehen kann. Willst du Gottes sein? Gieb Ihm alle Ehre. Wolle nichts sein als was Er dir zu eigen giebt. Hier ist der Gegensatz zwischen den Heiligen im Himmel und den Verworfenen in der Hölle. Die Heiligen wollen sich nur freuen, weil ihre Freude von Gott kommt. Sie wollen nur etwas wirken, weil Gott in erster Linie darin wirkt und erst kraft seines Einwirkens alle anderen Vermögen lebendig werden. Sie wollen nur denken, weil Gott ihnen diesen Gedanken eingegeben. Von Gott kommt alles, was sie haben. Zu Gott tragen sie es zurück. Und daß sie es zu Ihm zurücktragen dürfen, das erkennen sie wiederum als die höchste Gabe Gottes an. . „Ich habe mich gemacht, und nicht Du mich.“ So möchte der Verworfene zu Gott sagen. Mir gehört mein Verstand; und ich gebrauche ihn so wie ich will. Mir gehört mein Wille; und ich bestimme mich so wie ich will. Und wenn sie jetzt aus der Hölle heraustreten würden die Verworfenen, so würden sie nicht anerkennen wollen, daß ihnen nur etwas gehört, insofern es von Gott gekommen. Und doch müssen sie das, weil die Täuschungen der Sinne sie nicht mehr umgeben. Getrieben durch die Vernunft müssen sie anerkennen, daß sie in ihrem Stolze nichts Anderes gethan haben als den niedrigsten Kreaturen, die weit tiefer standen wie sie jene glänzende Herrschaft geben, die sie für sich selber von Gott nicht annehmen wollten. Ihr Wille ist derselbe geblieben. Er will Gott nicht die Ehre geben. Die Wirklichkeit aber zwingt sie dazu, daß sie es müssen. Das ist die furchtbare Ge rechtigkeit: die Ur- und Grundstrafe von allen anderen, der Quell alles übrigen Streites, die Strafe des Verlustes; das „Zähneknirschen“. Die Heiligen wollen nicht hier auf Erden als Urheber ihrer Werke gepriesen werden; solche Ehre thut ihnen vielmehr wehe. Es scheint ihnen dies eine Lüge, eine Verminderung dessen, was Gott allein gebührt. Sie möchten durch die ganze Welt laufen und mit Millionen Zungen verkünden: „Gott hat es gemacht; Ihm allein die Ehre. In uns hat das Werk Gottes nur an seinem Werte uerloren; uns allein die Schande.“ Und gerade dadurch wird das gute Werk ihnen tiefer zu eigen; Gott steigt tiefer in sie hinab. Mehr wirkt Er ins innerste Wesen hinein; mehr in die Vermögen hinein; mehr gießt Er das Licht der Wirklichkeit in die dürstende Seele. Und wie die Gegenstände im Zimmer in ihrer ganzen Natur besser erscheinen unter dem Einwirken des Lichtes; so scheidet sich unter dem Einflusse Gottes schärfer das Wesen des Schöpfers von der Natur des Geschöpfes, das Nichts tritt weiter zurück vor dem All; der Fülle steht schroffer gegenüber der Mangel. Das reizt aber dann wieder seinerseits, um mehr zu bitten, mehr zu empfangen, mehr Gott in die Seele zu ziehen. So wird auf seiten des Geschöpfes der Verkehr mit Gott Gebet, Hingebung: auf seiten des Schöpfers Erhören, Offenbarwerden seiner Güte. Beide aber werden zusammen vereint im Glücke der Seligkeit, indem die Seligkeit selber, die Seligkeit dem Wesen nach, ausgießt von ihrem Glücke in das Geschöpf, das an der Seligkeit teilzunehmen vermag. Freude, Reichtum, Macht, Würde, guter Name, Dauer; das alles zusammen macht die Seligkeit aus. Wie könnte der Seligkeit im Menschen da etwas fehlen, wo sie schöpft aus dem Reichtum ohne Grenzen, aus der Macht ohne Bedürfnis, aus der Würde über alles, aus der Fülle der Freude, in dem in Ewigkeit gebenedeiten Namen der Herrlichkeit, aus jenem, der genannt wird: König der Könige, Herr aller Herrschaften. Von der Betrachtung des Kreuzes stiegen die Heroen der katholischen Wissenschaft empor zur Anerkennung der Herrlichkeit Gottes. „Er (unser glorreicher Her«) ist gehorsam geworden bis zum Tode und bis zum Tode am Kreuze; und deshalb hat Ihm Gott einen Namen gegeben, der da ist über alle Namen;“ so führte „der Lehrer der Völker“ die Theologie als Wissenschaft des Kreuzes ein. Gott will, daß die Herrlichkeit unserer Freiheit gleichsam sichtbar erscheine vor aller Welt. Er will in seiner Güte, daß die ganze Welt es vor sich haben soll, wie Er sich herabläßt, auch unsere Freiheit eigens zu leiten, so niedrig sie ist, so gebunden sie erscheint an die großartigen vollwaltenden Kräfte im All, so sehr sie in ihrer bloßen Natur betrachtet gleichsam wie der Wurm am Boden kriecht und nur die Aufgabe hat, diesen großen Kräften einen Platz nach Zeit und Ort zu bereiten, auf den sie sich richten sollen, um dann ihre eigene Gewalt zu entfalten. Er, unser Gott, will auch für diese unsere Freiheit der Führer, das belebende und bethätigende Princip sein und gerade kraft seines Wirkens sollen wir nicht herabgedrückt werden, sondern erhaben stehen über allen noch so gewaltigen Kräften der Geschöpfe. Sichtbar, wahrnehmbar befahl Pilatus dem Könige der Herrlichkeit. Sollte etwa die Kraft des Pilatus verherrlicht werden? Keineswegs. Darüber erhaben stand die lichtvolle Freiheit des Gottessohnes, den nichts hinderte, in der Macht des Pilatus nicht die des gewaltigen römischen Reiches zu verehren und zu fürchten, sondem die Macht des Vaters, seine eigene. Dieser unterwarf Er sich, nicht einer beliebigen geschöpflichen: „Keine Macht,“ so sprach Er, „hättest du über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.“ Mit so erhobenem Geiste wollen auch wir dastehen; und sollte selbst die Gewalt des Todes gegen uns streiten. Wunderbarerweise hat Gott seine Macht so niedergelegt in die Menschheit, daß die einen sie in der Stimme der Oberen erblicken; die anderen dem Besten der Untergebenen gehorchen. In beiden aber beten wir an die Macht jenes ewigen seligen Gottes, der durch die einen unter den Kreaturen die anderen leitet und vollenbet; in allen aber selber die erstwirkende Ursache, die Richtschnur und die Vollendung jeglicher Thätigkeit ist. Er ist die Seligkeit, die durch ihre Süßigkeit alles an sich zieht, ein jegliches nach seiner Natur; die durch ihre Fülle alles trägt, alles durchdringt, alles belebt und krönt, ein jedes nach dessen Vermögen; die Seligkeit, welche das Selige in allem anbeten Glücke ist; die niemals etwas verliert, niemals etwas empfängt; ausströmt, aber nicht minder wird; giebt, aber niemals bedarf. Dieser süßen Seligkeit folgen wir, wie sie sich geoffenbart hat in den Kreaturen und an erster Stelle im eingeborenen Sohne des Vaters, „der da gehorsam ward bis zum Tode am Kreuze; dem da aber auch ein Name geworden ist, der da ist über alle Namen!“ An diesem erhabenen Beispiele sehen wir, wie bereits hier auf Erden Gott offenbart, daß denen, welche seine unsichtbare Leitung in allem anbeten, schon jetzt die wahre Macht und Ehre folgt, wenn sie sich jener, wie auch immer äußerlich beschaffenen, sichtbaren Macht unterwerfen, die in der Hand Gottes nur ein Werkzeug ist zur Führung seiner Auserwahlten, die nur eine Hülle ist seiner beseligenden Güte.
