Siebenundvierzigstes Kapitel. Die Verschiedenheiten der Dinge im allgemeinen. Überleitung.
„In der von Dir hergestellten Ordnung bleibt es immer heller Tag: denn alle Dinge dienen Dir.“ (Ps. 118.) Der heilige Thomas trägt, bevor er die einzelnen Seinskreise des Geschaffenen behandelt, dafür Sorge, daß von vornherein dem Willen, der Weisheit, der Güte Gottes alle bestimmende Gewalt überlassen bleibe. Deshalb hat er die eben beantwortete Frage nach dem Anfange der Welt gestellt; deshalb stellt er die nun folgende nach dem Grunde der so großen und so vielfältigen Verschiedenheit der Dinge. Von Gottes Willen, durch Gottes Weisheit, aus Gottes Güte allein kommt die Ordnung im geschöpflichen Sein und Wirken; und deshalb ist auch Licht und Frieden in der Schöpfung allein für jenen, der überall in jeder Zulassung und in jeder Einwirkung den Ausdruck dessen sieht, „daß alles dem Herrn dient.“ Er, unser Gott, ist vollkommener Herr der Zeit. Er konnte sie schaffen, ohne daß sie einen Anfang gehabt hätte; Er konnte sie schaffen, daß sie einen Anfang hätte, so wie es Ihm gefiel. „Das ist ein Widerspruch,“ meinte auch Bonaventura (d. 1. p. I. art. 1. qu. 2.), „wenn gesagt wird, die Dinge seien von Ewigkeit aus Nichts hervorgebracht;“ so daß zuerst das Nichts gewesen wäre und dann die Dinge, wie oben Thomas sagte; denn das hieße behaupten, sie seien nach dem Nichts und zugleich von Ewigkeit, also nicht nach dem Nichts. „Aber wer da behauptet, die Welt sei ewig und zugleich voraussetzt, daß der Stoff von Ewigkeit sei, der spricht ganz der Vernunft gemäß;“ und dann führt Bonaventura dieselben Beispiele an, wie der heilige Thomas von der Fußspur und vom Leuchten. Letzteres führt er noch weiter aus, indem er sagt, da, wo Licht sei, da sei zugleich Glanz und, wenn ein Körper entgegentritt „Schatten“. Da aber alles in der Welt irgendwie der Zeit und ihrem Maße unterliegt, so ist Gott, der von aller Zeit unabhängige Schöpfer der Zeit, auch in nichts irgend einem Maße von außen her unterworfen. Er hat den Unterschied der Dinge, wie sie gegenseitig ineinander greifen und sich abmessen rein aus Sich selber festgestellt, sowohl was das Sein als was das Wirken anbelangt. „Drei Dinge,“ so der heilige Bernard (serm. 3 de Pentec.), „müssen wir hier im großen All der Geschöpfe uns gegenwärtig halten; nämlich was die Dinge sind, wie sie sind, wozu sie sind. Und zwar wird im Sein der Dinge die über alle Schätzung erhabene Macht empfohlen, welche so Vieles, so Vielfaches, so Großartiges hergestellt. In der Beschaffenheit der Dinge aber leuchtet in besonders hohem Grade die Weisheit hervor, daß die einen nämlich oben, die anderen unten und wieder andere in der Mitte ihren Platz haben. Und denkest du an das, wozu sie gemacht sind, so ist ihr Nutzen so lieblich, ihre Lieblichkeit so nützlich, daß sie geeignet sind, auch die Undankbarsten durch die Menge und Größe der Wohlthaten, die sie spenden, zu rühren. Mit höchster Macht hat Er Alles aus dem Nichts gezogen; in höchster Weisheit Alles geschmückt und verschönt; mit höchster Liebe in Alles vielfachen Nutzen gelegt.“ „Wenn du diese Dinge liebst,“ ermahnt Augustin (tract. II. in cap. II. in. Joan.), „liebe sie als dir unterworfene, liebe sie als dienende, liebe sie als ein Liebespfand des Verlobten, als Geschenke des Freundes, als Wohlthaten des Herrn; — liebe sie so, daß du immer daran denkst, wem du sie schuldest, nicht wegen ihrer, sondern wegen Seiner, durch sie Jenen und über sie Jenen.“ Dann wird „in Seiner Ordnung die Schöpfung immer Tag, immer Licht sein“: denn in allem „wirst du Ihm und alles wird in dir und durch dich Ihm dienen“. Ein aufgeschlagenes Buch werden die Kreaturen für dich sein, kein mit sieben Siegeln geschlossenes. Denn überall da wirst du den Finger Gottes sehen, wie Er seine Macht, seine Weisheit, seine Güte auf das Nichts gezeichnet hat. „Schau', was gewirkt ist und steige empor zum Urheber,“ ruft der große Augustin. Vom Wechsel der Dinge steige auf zur Ewigkeit, von der Menge zur Einheit, von der Leere zur Wahrheit. „Liebt nicht die Welt,“ so leitet Augustin seine Erklärung zu den Psalmen ein, „damit ihr den mit Freiheit liebet, der die Welt gemacht. Die Höhe alles Guten ist uns Gott; Gott ist uns das höchste Gut. Bleiben wir nicht unten; suchen wir nicht weiter.“
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