Erster Artikel. Die Engel kennen stoffliche Dinge.
a) Dem scheint nicht so. Denn: I. Der Erkenntnisgegenstand ist die Vollendung des Erkennenden. Die stofflichen Dinge aber, die weit niedriger stehen wie die Engel, können nicht deren Vollendung sein. Also sind sie nicht gekannt von den Engeln. II. „Das vernünftige Anschauen hat zum Gegenstande die Dinge, welche ihrer Substanz nach in der Seele sind,“ sagt die Glosse zu 2. Kor. 12, vgl. ^uFustiu. 12. 8up. ttsu. aä Utt. oap. 28. Die stofflichen Dinge aber können nicht in der Seele des Menschen sein oder im Geiste des Engels, gemäß ihrer Substanz. Also können sie nicht in geistig vernünftiger Weise geschaut werden; sondern nur kraft der Einbildung, welche Ähnlichkeiten des Körperlichen in sich auffaßt, oder kraft der äußeren Sinne, welche die Eigenschaften der stofflichen Dinge selbst erfassen, kann dies geschehen. Eine Einbildung oder äußere Sinne haben aber die Engel nicht. III. Die stofflichen Dinge sind nicht thatsächlich erkennbar für die Vernunft, sondern erst nachdem die Sinne und die Einbildung sie erfaßt und nachdem die einwirkende Vernunft sie von den Einzelheiten losgelöst hat. Auf der anderen Seite kann, was die niedrigere Erkenntniskraft erreicht, auch die höher stehende auffassen. Der menschliche Verstand als der niedrigere erkennt die stofflichen Dinge. Also kann dies auch der höher stehende, nämlich der des Engels.
b) Ich antworte, daß gemäß der Ordnung, welche die Dinge miteinander verbindet, jene Dinge, die höher stehen im Sein, auch vollendeter sind wie jene, die tiefer stehen im Sein. Was somit in den niedrigeren teilweise und in mangelhafter Weise und in vielfältiger Form enthalten ist, das fassen die höheren in sich zusammen in hervorragender Weise, vollkommen und in einer gewissen Einfachheit. In Gott also bestehen (Dionysius de div. nom. cap. 1.) alle Vollkommenheiten im allerhöchsten Grade der Vollkommenheit und gemäß seinem einfachen Sein von vornherein und ohne weitere Bedingung. Die Engel aber sind unter allen Kreaturen die Gott zunächst stehenden und ihm am meisten ähnlichen. Und somit nehmen sie an der göttlichen Güte vollkommener und reichlicher teil wie die anderen Kreaturen. (4. de div. nom.) So also besteht alles Stoffliche und was darin an Vollendung ist vorher in den Engeln; und zwar einfacher und stoffloser wie in den Dingen selber, wenn auch vielfältiger und dem Stoffe verwandter wie in Gott. Was aber in einem beliebigen Dinge sich vorfindet, das ist darin gemäß der Seinsweise, welche das betreffende Ding hat. Da nun das Sein der Engel ein geistig vernünftiges ist, so erkennen die Engel, wie Gott die stofflichen Dinge kraft seines Wesens weiß, diese selben Dinge dadurch, daß diese in ihnen sind vermittelst der entsprechenden Ideen.
c) I. Der Erkenntnisgegenstand ist die Vollendung des Erkennenden gemäß der ihm entsprechenden Erkenntnisform in der Vernunft. Und so sind die Ideen von den stofflichen Dingen in den Engeln eine Vollendung derselben. II. Sinn und Einbildung erfassen nicht das innere Wesen des Dinges, sondern nur einzelne Äußerlichkeiten oder eine Ähnlichkeit von solchen. Die Vernunft aber erfaßt das Wesen des Dinges und in diesem Erfassen irrt sie nicht, wie auch nicht das Auge im Erfassen der Farbe und das Ohr im Erfassen des Schalles. (III. de anima.) So also sind die Wesenheiten der stofflichen Dinge in der Vernunft des Engels oder des Menschen wie das Erkannte im Erkennenden, nach dem allgemeinen Wesen nämlich und nicht nach dem einzelnen subjektiven Sein, welches sie außen haben. Und danach richtet sich das geistig vernünftige Schauen. III. Der Engel erkennt die stofflichen Dinge nicht dadurch, daß er seine Ideen von den Dingen empfängt; sondern diese Ideen sind ihm von Natur aus verliehen, als thatsächliche Erkenntnisformen. Deshalb hat er nicht notwendig, vom Sinn und der Einbildungskraft vorerst das Allgemeine loszuschälen.
