Dritter Artikel. Die Engel kennen nicht das eigentlich Zukünftige.
a) Das Gegenteil davon scheint wahr zu sein. Denn: I. Die Engel haben eingehendere Kenntnisse wie die Menschen. Manche Menschen aber wissen vieles Zukünftige. II. Gegenwart und Zukunft sind Zeitunterschiede. Der Engel aber ist erhaben über alle Zeit. III. Der Engel erkennt nicht durch Ideen, die er aus den Dingen empfangen hätte, sondern durch allgemeine der Natur eingeborene Ideen. Solche allgemeine Ideen aber verhalten sich gleichmäßig zur Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. In der Kenntnis des Engels macht also letzteres keinen Unterschied. IV. Zukünftig in der Zeit will ebensoviel heißen wie entfernt gemäß dem Orte. Die Engel erkennen aber, was ihnen dem Orte nach fern ist. Also erkennen sie auch das Zukünftige. Auf der anderen Seite ist die Kenntnis der Zukunft ein unterscheidendes Merkmal Gottes: „Verkündet,“ so Is. 41, 23., „was zukünftig ist, und wir werden wissen, daß ihr Götter seid.“ Also kommt es den Engeln nicht zu.
b) Ich antworte, daß das Zukünftige in doppelter Weise erkannt werden kann. 1. Die zukünftigen Dinge können erkannt werden in ihrer Ursache. Danach werden mit Zuverlässigkeit jene zukünftigen Dinge erkannt, welche notwendig aus ihren Ursachen folgen, wie z. B. daß morgen die Sonne aufgeht. Jene Dinge aber, die aus ihren Ursachen nur für gewöhnlich folgen und in den meisten Fällen, können nicht mit Zuverlässigkeit vorhererkannt werden, sondern nur als wahrscheinlich eintretende. So erkennt der Arzt die Gesundheit des Kranken vorher. Diese Art vorherzuwissen kommt den Engeln zu und zwar in höherem Grade wie uns, weil ihnen die Gründe der Dinge in größerer Allgemeinheit und Vollkommenheit bekannt sind; wie jene Ärzte besser und sicherer den Verlauf der Krankheit vorhersagen, welche tiefer in die Gründe derselben sehen. 2. In anderer Weise werden die zukünftigen Dinge vorhergewußt, insoweit sie in ihrem eigenen wirklichen natürlichen Sein gesehen werden, wie sie thatsächlich für sich bestehen. Und so schaut Gott allein das Zukünftige und zwar nicht nur das, was mit Notwendigkeit oder in den meisten Fällen aus den Ursachen folgt, sondern auch alles rein Zufällige und die freien Akte. Denn dem Blicke Gottes ist gegenwärtig alles Sein, was in dem ganzen Verlaufe der Zeit besteht; in seiner einfachen allvollendenden Ewigkeit schließt Er alles Sein ein.(Kap. 14, Art. 13.) So also das Zukünftige zu sehen, kommt keiner auch noch so hohen Kreatur zu.
c) I. Die Menschen kennen das Zukünftige nur in dessen Ursache; und nach dieser Seite hin erkennen es die Engel weit besser. II. Der Engel steht allerdings nicht unter der Zeit, soweit diese die körperlichen Bewegungen mißt. Es ist aber in der Vernunft gewissermaßen Zeit gemäß der Aufeinanderfolge vernünftiger Auffassungen. „Gott bewegt die geistige Kreatur vermittelst der Zeit,“ sagt Augustin (8. sup. Gen. ad litt. 20.). Da also in seinem Verstehen eine Aufeinanderfolge ist, so ist dem Engel nicht alles gegenwärtig, was in der Zeit geschieht. III. Die Ideen im Engel sind freilich ohne Unterschied auf Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft gerichtet; aber das Vergangene, Gegenwärtige, Zukünftige verhält sich nicht gleichmäßig und unterschiedslos zu diesen Ideen. Denn das, was gegenwärtig ist, besitzt bereits die Natur, durch welche es diesen Ideen ähnlich ist. Was aber zukünftig ist, das hat diese Natur noch nicht. Das erstere also wird wohl erkannt durch die Idee, nicht aber das letztere. IV. Was dem Orte nach fern ist, das hat doch immerhin eine Natur in sich, vermittelst deren es der entsprechenden Engelidee ähnlich ist. Dies kann aber vom Zukünftigen nicht gesagt werden.
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