Erster Artikel. Über die verschiedenen Arten der einzelnen Vermögen.
a) Es scheint, man dürfe nicht fünf Arten von Vermögen annehmen; nämlich ein pflanzliches, sinnliches, begehrendes, bewegendes und geistig erkennendes Vermögen. Denn: I. Es giebt nur drei Seelenkräfte: Eine Pflanzen- oder Nährseele, eine Tierseele und eine vernünftige. Also giebt es auch nur drei Arten Vermögen. II. Die Seelenvermögen sind da wegen der verschiedenen Lebensthätigleiten. In vierfacher Weise aber wird von etwas gesagt, es lebe. Denn Aristoteles sagt (2. de anima): „Es lebt etwas gemäß der Vernunft, gemäß den Sinnen, gemäß der Ruhe oder Bewegung an einem Orte und gemäß der Nahrung, sei es daß dieselbe dem Wachstum dient sei es daß sie bloß erhält.“ Nur vier Arten von Vermögen giebt es also; es muß abgesehen werden von dem Begehrenden. III. Jedem Vermögen kommt ein Begehren zu. Das Sehen z. B. begehrt das zukömmliche Sichtbare, wie Ekkli. 40, 42. es heißt: „Lieblichkeit und Schönheit wird das Auge verlangen.“ Also darf aus dem Begehren keine eigene Art Vermögen gemacht werden. IV. Das bewegende Princip in den sinnbegabten Wesen ist der Sinn, die Vernunft oder das Begehren; wie 3. de anima es heißt. Also muß man nicht das „Bewegende“ als eine eigene Art Vermögen betrachten. Auf der anderen Seite steht die Autorität des Aristoteles, der jene fünf Arten von Vermögen 3. de anima aufzählt.
b) Ich antworte; fünf Arten von Vermögen giebt es, drei Seelen und vierfach ist die Lebensthätigkeit. Der Grund davon ist folgender. 1. Verschiedene Seelen unterscheidet man je nach dem Grade, in welchem die Thätigkeit der Seele die der rein körperlichen Natur überragt. Denn die ganze körperliche Natur ist der Seele unterworfen und verhält sich zu ihr wie der bildbare Stoff und das Werkzeug zum Künstler. Nun giebt es eine Thätigkeit der Seele, welche die körperliche Natur soweit übersteigt, daß sie nicht einmal vermittelst eines körperlichen Werkzeuges oder Organes sich vollzieht. Das ist die Thätigkeit der vernünftigen Seele. Eine andere Thätigkeit ist wohl ihrem Wesen nach an ein körperliches Organ gebunden; aber sie vollzieht sich nicht vermittelst einer Stofflich-elementaren Eigentümlichkeit; — und eine solche Thätigkeit ist der sinnlichen Seele eigen. Denn wenn auch das Kalte und das Warme, das Feuchte und Trockene und andere dergleichen stofflich-elementare Eigentümlichkeiten zur Vollziehung der Sinnesthätigkeit erfordert werden; jedoch sind sie nur erfordert für die Bildung und gehörige Instandhaltung des betreffenden Organs, nicht aber geht aus solchen rein körperlichen Eigenschaften die sinnliche Thätigkeit hervor. Die niedrigste Thätigkeit der Seele endlich ist gebunden an ein körperliches Organ und vollzieht sich kraft rein stofflich-elementarer Eigentümlichleiten. Sie ragt jedoch trotzdem über die Thätigkeit der reinen Körpernatur hervor. Denn die Bewegung des Körpers geht von einem außen stehenden Princip aus; die Bewegung aber, welche der Pflanzenseele eigen ist, geht aus von einem in der Pflanze befindlichen Princip. Dies letztere nämlich ist gemeinsam allen Thätigkeiten einer Seele. Denn jedes Beseelte bewegt sich selbst. Diese letzterwähnte Thätigkeit also ist die der Pflanzen- oder Nährseele. Denn die Verdauung u. dgl. vollzieht sich vermittelst des Warmen als des entsprechenden Werkzeuges. (2. de anima.) 2. Die Arten der Vermögen leiten ihren Unterschied ab von den Gegenständen. Denn je höher ein Vermögen steht, desto allgemeiner und umfassender ist der Gegenstand, den es hat. Eine dreifache Abstufung aber kann in diesen Gegenständen beobachtet werden. Auf der untersten Stufe ist der Gegenstand ganz allein der mit der Seele verbundene Körper;— und das ist der Gegenstand der Pflanzenseele. Auf der nächstenhöheren Stufe steht ein bereits allgemeinerer Gegenstand: nämlich alles sinnlich Wahrnehmbare, nicht also nur der mit der Seele verbundene Körper. Die höchste Stufe unter den Gegenständen der seelischen Thätigkeit ist noch umfassender; nämlich nicht nur das sinnlich Wahrnehmbare, sondern ganz allgemein Alles, was und insoweit es ist. Daraus ist offenbar, daß die beiden letzten Arten von Vermögen ihre Thätigkeiten nicht nur auf den mit der Seele verbundenen Körper richten, sondern auch auf das von diesem Körper Getrennte. Nun muß jedoch das Thätigseiende irgendwie mit dem betreffenden Gegenstande der Thätigkeit verbunden werden. Deshalb muß der Gegenstand der seelischen Thätigkeit in doppelter Beziehung zur Seele stehen: Einmal, insofern er geeignet ist, dadurch mit der Seele verbunden zu werden, daß er vermittelst einer Ähnlichkeit mit ihm in der Seele ist. Demgemäß nun bestehen zwei Arten von Vermögen: nämlich die sinnlichen Vermögen rücksichtlich des sinnlich Wahrnehmbaren als des minder umfassenden Gegenstandes; und das geistig erkennende Vermögen rücksichtlich des umfassendsten Gegenstandes, des Seins im allgemeinen. Ferner muß der Gegenstand der seelischen Thätigkeit dadurch in Beziehung zur Seele stehen, daß die letztere zu dem ihr äußerlichen Gegenstande hinneigt. Danach bestehen wieder zwei Arten Vermögen: das begehrende, welchem gemäß die Seele im Gegenstande den Zweck und Abschluß ihrer Thätigkeit sieht; und das die Bewegung von Ort zu Ort veranlassende Vermögen, wonach die Seele ihren Gegenstand wirklich erreicht. Das erste dieser beiden giebt den Anfang für die Thätigkeit, insoweit der Zweck das erste ist in einer Handlung; die letzte macht den Schluß für die Thätigkeit und die Bewegung. 3. Endlich werden vier Stufen der Lebensthätigkeit oder vier verschiedene Arten und Weisen, nach denen etwas lebendig genannt wird, unterschieden. Da ist zuerst das rein Pflanzliche oder jenes Leben, welches nur in Nahrung und Fortpflanzung besteht; — dann ist mit dem Pflanzlichen das Sinnliche; aber der Bewegung Unfähige, wie manche Muscheln etc. Dann das Sinnliche und zugleich zur Bewegung Geeignete, wie die vollkommenen Tiere. Endlich das geistig Auffassende, wie die Menschen. Das Begehrende macht hier keine eigene Stufe. Denn wo Sinn ist, da ist auch Begehren. (2. de anima.) Damit ist auf l. und II. geantwortet.
c) III. Das Begehren der Natur ist nichts Anderes, als die jedem Dinge von Natur innewohnende Hinneigung zu etwas; wie der Stein von Natur fällt. Also der Natur nach strebt jedes Vermögen nach dem, was ihm zukömmlich ist. Das sinnliche Begehren aber folgt der aufgefaßten Form; und für ein solches Begehren wird ein specielles Vermögen erfordert, die Auffassung allein genügt da nicht. Der Grund davon liegt in Folgendem. Jedes Ding wird begehrt, insoweit es in seiner Natur wirkliches Sein hat. Es ist aber in der auffassenden Kraft nicht seiner wirklichen Natur nach, sondern vermittelst einer Ähnlichkeit nur. Das Sehvermögen also z. B. wird kraft seiner Natur zum Sichtbaren hingetragen, bloß damit es thatsächlich sehe. Das Tier aber begehrt die gesehene Sache nicht bloß deshalb, damit es sehe, also nicht nur weil da ein reines Begehren der Natur bestände; sondern auch für anderweitigen Nutzen, z. B. um sich zu nähren. Bedürfte nun die Seele der sinnlich wahrgenommenen Sachen nur wegen der natürlich sinnlichen Thätigkeit, nämlich damit sie selbige sinnlich wahrnehme; so würde das „Begehren“ keine eigene Art von Vermögen bilden. Dazu würde genügen die natürliche Hinneigung der Sinneskräfte zu ihrer Thätigkeit. IV. Der Sinn und das Begehren sind zwar in den entsprechenden Wesen bewegende Principien, aber sie genügen nicht; es muß eine Kraft noch hinzukommen. Denn Sinn und Begehren ist auch in den unbeweglichen Tieren, wie in den Muscheln; sie haben jedoch keine bewegende Kraft, um etwa eine ihnen fernstehende Nahrung zu suchen. Eine solche bewegende Kraft aber tritt nicht nur zum Begehren und zum Sinn selber hinzu, sondern sie ist auch in den Teilen des Körpers: in jenem, im Sinne und im Begehren, ist sie, damit der Befehl zur Bewegung vom Sinn und vom Begehren ausgehe; in diesen, in den Teilen des Körpers, daß sie den Befehl ausführen. Und davon ist es ein äußeres Zeichen, daß, wenn die Glieder ihre natürliche Lage nicht einnehmen, sie nicht geeignet sind, dem entsprechenden Befehle zu gehorchen.
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