Zweiter Artikel. Die Pflanzenseele hat drei Vermögen: Das Nähr-, Fortpflanzungs- und das Vermögen zu wachsen.
a) Dem steht entgegen: I. Diese Kräfte werden „natürliche“ genannt. Die Kräfte der Seele aber ragen über die Natur hinaus. II. Die Fortpflanzungskraft ist Lebendem und Nicht-Lebendem gemeinsam. Also darf sie nicht als ein Vermögen der Seele aufgezählt werden. III. Die Seele ist stärker wie die reine Körpernatur. Letztere aber giebt mit ein und derselben wirksamen Kraft sowohl die Seinsgattung wie den gehörigen Umfang. Also soll man bei der Seele nicht ein Fortpflanzungsvermögen unterscheiden von einem Vermögen zu wachsen. IV. Jedes Ding wird dadurch im Sein bewahrt, wodurch es das Sein erhalten hat. Die Fortpflanzungskraft aber giebt das Sein dem lebenden Dinge; und die Nährkraft hat zum Zweck das Sein zu erhalten. Also darf man keinen Unterschied machen zwischen dem Vermögen, sich fortzupflanzen und zu wachsen. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (2. de anima): „Die Thätigkeit dieser Seele ist: zu erzeugen, die Nahrung zu gebrauchen und zuzunehmen.“
b) Ich antworte, daß der Gegenstand der Thätigkeit dieser Seele der eigene Körper ist. Der Körper der Pflanze aber erfordert eine dreifache Thätigkeit. Er muß 1. Sein erlangen; und dazu dient das Zeugungsvermögen. Er muß 2. zum entsprechenden Umfange kommen; und dazu dient das Vermögen zu wachsen. Er muß 3. im Sein und im Umfange bewahrt bleiben; und dazu ist das Nährvermögen. Dabei ist jedoch zu bemerken, daß die beiden letzteren ihre Wirkung ganz in ein und demselben Körper haben; die Zeugungskraft hat jedoch als Gewirktes bereits einen anderen Körper, denn nichts erzeugt sich selbst. Damit nähert sich die Pflanzenseele gewissermaßen der Würde der sinnlichen Seele, die auf etwas ihr Äußerliches einwirkt; wenn auch in höherer Weise wie das Pflanzenprincip. „Denn das Höchste in der niedrigeren Natur,“ sagt Dionysius (7. de div. nom.), „berührt das Niedrigste in der höheren Natur.“ Und deshalb ist unter den drei Vermögen die Zeugungskraft das höchste und vollkommenste und der Zweck der anderen. „Einem vollendeten Sein kommt es zu,“ sagt Aristoteles, „Ähnliches zu machen, wie es selber ist.“ So dient also die Nährkraft dem Wachsen oder dem entsprechenden Umfange; das Vermögen zu wachsen aber der Zeugungskraft.
c) I. Diese drei Kräfte werden als natürliche bezeichnet, erstens weil ihre Wirkung ähnlich ist derjenigen der rein körperlichen Natur, welche auch Sein, Umfang und Beharren giebt; nur thun dies die Lebenskräfte in erhöhter Weise; — zweitens weil diese drei Vermögen ihre Thätigkeit vollziehen vermittelst der stofflich-elementaren Eigentümlichkeiten von warm, kalt, feucht, trocken als ihrer Werkzeuge. II. Die Erzeugung der leblosen Dinge ist von einem ihnen durchaus äußerlichen Princip. Die Erzeugung der lebendigen Wesen aber geschieht in einer gewissen höheren Weise durch etwas, was im Lebenden ist und demselben zugehört, nämlich durch den Samen, worin das den Körper bildende Princip sich befindet. Und deshalb muß ein Vermögen vorhanden sein, durch welches im lebendigen Wesen solcher Same bereitet wird; und das ist die Zeugungskraft. III. Weil eben die Erzeugung der lebenden Wesen von einem Samen ausgeht, so ist es natürlich, daß zuerst das betreffende Wesen geringen Umfanges sei. Und deshalb muß in der Seele ein Vermögen existieren, durch welches das lebende Wesen zu seinem gehörigen Umfange geführt wird. Der leblose Körper aber wird aus einem Stoffe erzeugt, der bereits von einem ihm äußerlichen Princip seine Bestimmung erhalten hat, soweit es den Umfang angeht; wie der Stein, aus dem das Standbild geformt werden soll. Und deshalb wird den Verhältnissen des entsprechenden Stoffes gemäß von der erzeugenden Kraft die Gestalt gegeben zugleich mit dem Umfange. IV. Die Thätigkeit der Pflanzenseele vollzieht sich vermittelst des Warmen, zu dessen Natur es gehört, die Feuchtigkeit aufzuzehren. Und darum, damit das verloren gegangene Feuchte ersetzt werde, bedarf es der Nährkraft, welche die Nahrung in die Substanz des Körpers verwandelt.
