Vierter Artikel. Die Ideen in uns fließen nicht aus in die Seele von stofflosen, getrennt für sich bestehenden 5ubstanzen.
a) Das Gegenteil scheint wahr. Denn: I. Was nur teilnimmt an einer Vollkommenheit, das läßt sich auf etwas zurückführen, in dessen Wesen diese Vollkommenheit enthalten ist; wie das, was glühend ist, sich ableitet vom Feuer, was seiner Natur nach glüht. Die vernünftige Seele nun nimmt, soweit sie thatsächlich erkennt, teil an den erkennbaren Dingen; denn die thatsächlich erkennende Vernunft ist das thatsächlich Erkannte. Also jene Substanzen, welche an und für sich und ihrem Wesen nach thatsächlich erkannt sind, bilden die Ursache, daß unsere Seele thatsächlich erkennt. Solche Substanzen aber ihrem Wesen nach sind stofflose Formen. Von ihnen also fließen die Ideen in unsere Seele. II. Das sinnlich Wahrnehmbare, was thatsächlich außerhalb der Seele ist, verursacht das sinnlich Wahrnehmbare in uns, womit wir empfinden. Also werden auch die Ideen in unserer Vernunft, womit wir erkennen, verursacht von einigen Wesen außerhalb der Seele, die thatsächlich erkannt und ihrem ganzen Wesen nach erkennbar sind. Solche Wesen aber sind die stofflosen Substanzen. III. Was im Zustande des Vermögens ist, geht zur Thätigkeit überauf Grund von etwas, was thatsächliches Sein hat. Also muß, wennunsere Vernunft aus dem Vermögen zur Thätigkeit übergeht, dies verursacht werden von einer immer und ihrer Natur nach thatsächlich erkennendenSubstanz; das sind aber die vom Stoffe durchaus getrennten Substanzen. Auf der anderen Seite würden wir in dem berührten Falle der Sinne nicht bedürfen; und das ist falsch, denn fehlt ein Sinn, so mangeln die entsprechenden Ideen.
b) Ich antworte, daß man in zweifacher Weise annahm, die Ideen kämen von stofflos existierenden Substanzen. Denn Plato meinte, es beständen die allgemeinen Wesensformen der sichtbaren Dinge für sich getrennt vom Stoffe; es gäbe also einen „Normalmenschen“ oder eine substantielle Idee „Mensch“ etc. An derartigen stofflosen Substanzen nehme 1. der Stoff teil und werde dadurch etwas Einzelnes, wie „dieses Pferd“, „dieser Stein“; und 2. nehme dann die menschliche Vernunft daran teil und werde damit eine das Pferd, den Stein, den Menschen thatsächlich verstehende. Die Teilnahme aber an der Idee geschehe durch eine gewisse Ähnlichkeit im Erkennenden in der Weise, wie an einem Modell teilgenommen wird durch die Ähnlichkeit dessen mit ihm, was nach ihm gemacht ist. Sowie Plato also annahm, es fließen von den für sich bestehenden stofflosen Ideen die eine Art Ähnlichkeiten als sinnliche Formen aus, um im Stoffe Sein zu haben, so nahm er an, diese Ideen teilten ebenso eine andere Art Ähnlichkeit mit, damit sie Erkenntnisform in der Vernunft seien. Und deshalb führte er die Wissenschaften und Begriffsbestimmungen, wie Art. 1 gesagt worden, auf diese Stofflosen Substanzen zurück. Avicenna (7 Metaph.) aber hielt es mit Recht als gegen die Natur der sichtbaren Dinge verstoßend, daß ihre Wesenheiten als stofflose bestehen sollten. Und so behauptete er, daß die geistigen Erkenntnisformen, vermittelst deren die sichtbaren Dinge vernünftig erfaßt werden, nicht zwar ohne Stoff für sich beständen; daß sie aber in stoffloser Weise vorher beständen in den reinen Vernunftkräften, die vom Stoffe in ihrem ganzen wirklichen Sein durchaus getrennt wären. Und zwar entflössen von der ersten dieser Verstandeskräfte dergleichen Erkenntnisformen in die zweite und von da in die dritte und so weiter bis zur letzten dieser Verstandeskräfte, welche er „die einwirkende Vernunft“ nannte; von dieser nun kämen die Ideen in unsere Seele und die Formen der sichtbaren Formen in den Stoff. So ist Avicenna mit Plato darin einig, daß von getrennt bestehenden Verstandeskräften die Ideen in unsere Vernunft fließen. Sie weichen voneinander ab: 1. Darin, daß nach Plato eine jede dieser Verstandeskräfte für sich bestehe und eine jede unmittelbar gemäß ihrer Beschaffenheit Ideen in uns sende; nach Avicenna aber wären alle Ideen zusammen in der „einwirkenden Vernunft“ und diese bildete für alle diese Ideen die Vermittlung, daß wir daran teilnehmen; — 2. darin, daß Avicenna meint, die so uns mitgeteilten Ideen blieben nicht in uns, wenn wir aufhörten, thatsächlich zu erkennen, sondern unsere Vernunft müsse sich dann von neuem zur „einwirkenden Vernunft“ wenden. Er nahm also nicht wie Plato eingeborene Ideen an, die unverrückbar in der Seele bleiben. Nach diesen Ansichten giebt es jedoch keinen hinreichenden Grund, weshalb die vernünftige Seele mit dem Körper vereint sei. Dies kann nicht sein um des Körpers willen; denn nicht die Form ist da wegen des Stoffes, wie der Maler nicht da ist wegen der Leinwand, sondern vielmehr umgekehrt. Und zumal scheint der Körper eben wegen der vernünftigen Thätigkeit für die Seele notwendig zu sein, da sie in ihrem Sein vom Körper nicht abhängig ist. Erhält sie aber die geistigen Ideen von Natur aus für sich allein betrachtet von stofflosen Substanzen, ohne daß die Sinne erforderlich sind für deren Erzeugung; so wäre die Verbindung mit dem Körper eine durchaus zwecklose. Wird gesagt, daß die Sinne gleichsam die Seele wie vom Schlafe erweckten (wie Plato meint, der die Seelen als eine schlaftrunkene bezeichnet und deshalb der Vergeßlichkeit zugänglich), so würden die Sinne nur dazu dienen, um für das thatsächliche Erkennen ein Hindernis zu entfernen, welches eben wieder von den Sinnen, d. h. von der Verbindung mit dem Körper käme. Erwidert Avicenna, die Sinne seien deshalb der Seele notwendig, weil sie durch dieselben veranlaßt wird, sich zu der „einwirkenden Vernunft“ zu wenden, von der sie ihrer Natur nach die Ideen empfängt, so genügt das nicht. Denn wenn es in der Natur der Seele bereits liegt, daß sie durch solche von der „einwirkenden Vernunft“ ausfließenden Ideen versteht, so könnte sie sich auch vermöge ihrer Natur und absehend von allen Sinnen zu dieser Vernunft wenden; oder sie könnte von selbiger Erkenntnisformen erhalten, von denen der entsprechende Sinn nicht in ihr besteht, wie z. B. die Ideen der Farben, trotzdem sie der sinnlichen Sehkraft ermangelt, was falsch ist. Demnach muß gesagt werden, die Ideen in unserer Vernunft fließen nicht von stofflosen Substanzen unmittelbar aus in unsere Seele.
c) I. Die geistigen Erkenntnisformen in unserer Vernunft werden zurückgeführt auf die reine wesentliche Vernunft, auf Gott. Von diesem Princip gehen sie aus vermittelst der Formen in den stofflichen, sichtbaren Dingen und aus diesen sammeln wir unsere Wissenschaft, wie Dionysius sagt. (7. de div. nom.) II. Die stofflichen Dinge können nach ihrem Wirklichsein außerhalb der Seele thatsächlich sinnlich wahrnehmbare sein; sie sind aber nicht als thatsächlich für die Vernunft erkennbare außerhalb der Seele. Die Analogie also fehlt hier zwischen Sinn und Vernunft. III. Unsere Vernunft geht vom Vermögen zur Thätigkeit über vermittelst eines thatsächlichen Seins, nämlich der „einwirkenden“ Vernunft. Diese ist jedoch ein Vermögen unserer Seele; und nicht etwas Stoffloses, von uns Getrenntes. Die entfernte Ursache aber, daß wir thatsächlich erkennen, ist die ihrem Wesen nach reine Vernunft: Gott.
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