Erster Artikel. Das Paradies ist ein irdisch körperlicher Ort.
a) Das Paradies scheint kein körperlicher Platz zu sein. Denn: I. Beda sagt zu 2. Kor. 12. Raptus est in parad., daß das Paradies bis zur Mondsphäre reicht. Folglich ist es kein irdischer Ort mehr. Denn gegen die Natur der Erde ist es, so hoch erhoben zu werden und ferner findet sich unter der Mondsphäre die Feuerregion, wo die Erde verbrannt werden würde. II. Die Schrift erwähnt vier Flüsse im Paradiese. Jene vier Flüsse aber, die daselbst genannt werden, haben anderswo ihren offenbaren Ursprung; nicht also im Paradiese. III. Manche haben alle Orte der bewohnbaren Erde durchforscht und keine Spur des Paradieses gefunden. Also ist es kein irdischer, greifbarer Ort. IV. Im Paradiese war der Lebensbaum. Dies ist aber etwas Geistiges; wie aus Prov. 3, 10. hervorgeht: „Sie (die Weisheit) ist der Lebensbaum für die, welche sie erfassen.“ V. Auch die anderen Bäume sind keine körperlichen gewesen. Denn die körperlichen Bäume sind am dritten Tage geschaffen worden. Über das Pflanzen der Bäume im Paradiese aber spricht Gen. 2. erst nach dem Sechstagewerk. Es war also das Paradies kein körperlicher irdischer Ort. Auf der anderen Seite sagt Augustin (8. sup. Gen. ad litt.): „Drei Meinungen giebt es betreffs des Paradieses. Die einen nehmen es für etwas rein Geistiges; die anderen für etwas rein Körperliches; noch andere für etwas zum Teil Körperliches zum Teil Geistiges. Diese dritte Meinung gefällt mir, ich gestehe es, am besten.“
b) Ich antworte, daß nach Augustin, „was auch immer mit einigem Recht und ohne zu große Mühe nach dem geistigen Verständnisse über das Paradies gesagt werden kann, nur gesagt werde; keiner solle dies hindern. Jedoch möge zuerst die treue geschichtliche Wahrheit dessen, was die Schrift vom Paradiese erzählt, mit aufrichtigem Glauben festgehalten werden.“ Denn was die Schrift erzählt, das wird zuvörderst als geschichtliche Wahrheit vorgestellt. Wie in Allem, was in der Schrift steht, so ist also auch hier als feste Grundlage die geschichtliche Wahrheit aufzustellen; und erst auf diesem Fundamente soll das Gebäude der geistigen Auslegung errichtet werden. Das Paradies ist sonach, wie Isidorus sagt (14 Ethymol. c. 3.), „ein Ort im östlichen Teile der Welt gelegen und wird in unserer Sprache genannt: Garten.“ Und passenderweise wird es in den Osten verlegt; denn man darf wohl glauben, es sei im edelsten Teile der ganzen Erde gelegen gewesen. Da nun der Osten so viel ist, wie die rechte Seite des Himmels, die rechte Seite aber einen Vorzug hat vor der linken (Arist. 2. de coelo.), so wird es zukömmlicherweise nach rechts, in den Osten verlegt.
c) I. Der Ausdruck Bedas entspricht nicht der Wahrheit, wenn er von der wirklichen und offenbaren Lage verstanden wird. Er kann jedoch in dieser Weise erklärt werden, daß das Paradies bis in den Ort der Mondsphäre hinaufreichte; nicht zwar als ob es bis dahin wirklich gelegen gewesen wäre, sondern gemäß einer gewissen Ähnlichkeit; — insoweit nämlich im Paradiese immer dasselbe Klima war und insoweit das Paradies demgemäß den Himmelskörpern ähnlich erschien, in denen kein Gegensatz der Elemente sich findet. Und es wird da vorzugsweise der Mond erwähnt, weil er unter allen Himmelskörpern der uns nächste ist, so daß er sogar nebelhafte Finsternisse in sich hat, als ob er dem Hohlen sich näherte. Manche aber sagen, das Paradies dehne sich aus bis zum Bereiche des Mondkörpers, d. h. bis zu jenem Teile der Luft, wo Regen, Wind u. dgl. entsteht, weil die Herrschaft über dergleichen Ausdünstungen zumeist dem Monde zugeschrieben wird. Danach aber gerade würde dieser Ort für das Paradies nicht gepaßt haben, einerseits weil daselbst die größte Ungleichheit in der Witterung ist; und andererseits weil ein solcher Ort der menschlichen Komplexion nicht so gut entspricht wie der tiefere, der Erde näherliegende Teil der Luft. II. Augustin sagt (8. sup. Gen. ad litt. 7.): „Man darf wohl annehmen, daß der Ort des Paradieses im höchsten Grade fern ist von der menschlichen Kenntnis. Die Flüsse aber , von denen wir die Quellen kennen,sind irgendwo unter der Erde dahin geströmt und nachdem sie weite Gegenden durchmessen haben, brachen sie an anderen Stellen wieder hervor. Denn wer wüßte es nicht, daß manche Wasser es so machen?“ III. Der Ort des Paradieses ist von unseren Wohnsitzen getrennt; entweder durch Berge oder Meere oder durch eine glutvolle Gegend, welche man nicht durchwandern kann. Deshalb kann er nicht gefunden werden. IV. Der Lebensbaum im Paradiese ist ein wirklicher Baum, und trotzdem kann er etwas im geistigen Sinne bedeuten; wie ja auch der Felsen in der Wüste etwas Stoffliches war und trotzdem Christum bedeutete. So war auch der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen ein wirklicher Baum, so benannt nach der Thatsache in der Zukunft, daß der Mensch durch Erfahrung an ihm lernte, welcher Unterschied sei zwischen dem Gut des Gehorsams und dem Übel des Ungehorsams. Trotzdem bezeichnete er im geistigen Sinne nach einigen den freien Willen. V. Nach Augustin sind am dritten Tage nur gewisse Samenursachen dem Vermögen nach, nicht gemäß ihrem thatsächlichen Sein die Pflanzen geschaffen worden; — nach dem sechsten Tage entstanden dann sowohl die im Paradiese als auch die außerhalb des Paradieses dem thatsächlichen Sein gemäß. Nach den anderen Heiligen aber muß man antworten, alle Pflanzen seien dem thatsächlichen Bestande nach am dritten Tage hervorgebracht worden, auch die des Paradieses. Und was dann über die Pflanzen des Paradieses gesagt wird nach dem Sechstagewerke, das wird als Wiederholung aufgefaßt; wie es ja auch nach unserem Texte heißt: „Gott der Herr hatte das Paradies der Freude gepflanzt, a prinoipio, von Anfang an.“
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