Vierter Artikel. Der Unterschied zwischen Zeit und Ewigkeit.
a) Der Unterschied von Zeit und Ewigkeit scheint gar nicht vorhanden zu sein. Denn: I. Unmöglich kann es zwei Maße zugleich für die Dauer geben, wenn nicht das eine ein Teil des anderen ist. Denn zwei Tage sind nicht zugleich und auch nicht zwei Stunden; vielmehr ist Tag und Stunde, also zwei Maße, gleichzeitig, weil die Stunde einen Teil des Tages bildet. Zeit und Ewigkeit sind aber zugleich; und jede von ihnen ist ein Maß. Da also die Ewigkeit kein Teil der Zeit ist, denn die Ewigkeit ragt weit hinaus über die Zeit und schließt sie vielmehr in sich ein; so scheint die Zeit ein Teil der Ewigkeit zu sein und nicht dem Wesen nach von ihr verschieden. II. Aristoteles sagt (4. Physic.), das „Nun der Zeit“ bleibe dasselbe während des Hinfließens der ganzen Zeit. Dies scheint aber das Wesen der Ewigkeit zu bilden, daß sie immer unteilbar ein und dasselbe ist während des Dahinfließens der Zeit. Also ist die Ewigkeit das „Nun der Zeit“. Dieses letztere nun ist wieder nichts anderes dem Wesen nach als die Zeit. Also ist kein Wesensunterschied zwischen Zeit und Ewigkeit. III. Das Maß der ersten, für jede andere im All maßgebende Be wegung ist auch im Grunde genommen das Maß für alle anderen Bewegungen; sagt Aristoteles (4. Phys.). Und somit scheint auch das Maß des ersten Seins das Maß für jegliches andere Sein zu bilden. Die Ewigkeit nun ist das Maß des ersten Seins, nämlich des göttlichen. Also scheint es auch das Maß alles anderen Seins zu bilden. Das Maß für das vergängliche Sein aber ist die Zeit. Also ist die Zeit Ewigkeit oder doch immer ein Teil davon. . Auf der anderen Seite ist die Ewigkeit dem Wesen nach ganz zugleich; in der Zeit ist wesentlich Aufeinanderfolge des Vorher und Nachher. Also ist die Zeit wesentlich nicht Ewigkeit.
b) Es ist ganz offenbar, daß Zeit und Ewigkeit nicht ein und dasselbe ist. Aber manche bezeichneten als den charakteristischen Wesensunterschied den Umstand, daß die Ewigkeit keinen Anfang und kein Ende habe. Dies ist jedoch nur ein nebensächlicher Unterschied. Denn vorausgesetzt daß die Zeit immer war und immer sein wird, wie das jene annehmen, welche (Boëtius lib. 5. pros. 4.) die Bewegung der Himmelskörper ohne Anfang und Ende sein lassen; so würde doch der Wesensunterschied zwischen Zeit und Ewigkeit immer noch in seiner ganzen Kraft bestehen bleiben. Und dieser besteht darin, daß die Ewigkeit ganz zugleich ist, also nicht einen Teil des Seins nach dem anderen mißt, sondern auf einmal mit ihrem Messen alles Sein erschöpft; ist sie doch das Maß für das dauernd unveänderllche Sein; die, Zeit aber besteht nur als Maß der Bewegung und somit des beweglichen veränderlichen Seins. Wird jedoch bei dem erstgenannten, nebensächlichen Unterschiede auf das Gemessene, d. h. auf das Sein Rücksicht genommen, auf welches das Maß angewandt wird und nicht allein auf das Maß der Zeit selber in sich allein betrachtet; so ergiebt sich ein anderer Schluß. Denn nur jenes Sein wird durch die Zeit gemessen, welches Anfang und Ende hat innerhalb der Zeit (4. Phys.). Bestände also die Bewegung der Himmelskörper von jeher ohne nämlich jemals begonnen zu haben und ohne zu enden, so würde nicht diese ganze Dauer in ihrer Gesamtheit betrachtet durch die Zeit gemessen werden; da Endloses nicht meßbar ist. Die Zeit würde jedoch jeglichen einzelnen Umkreis messen, welchen die Himmelskörper machen, der da jedenfalls Anfang und Ende hat. Und trotzdem bleibt da noch ein Umstand zu erwägen übrig und zwar auf seiten der Maße selbst. Vorausgesetzt auch nämlich daß die Zeit immer dauerte, so trägt sie doch immer dem Vermögen nach Anfang und Ende mit sich herum. Denn ich kann immer in der Zeit sowohl Anfang als Ende bemerklich machen, indem ich einige Teile derselben herausnehme; wie dies geschieht, wenn wir sagen: der Anfang oder das Ende des Tages oder des Jahres, was bei der Ewigkeit nicht statthat. Alle diese Unterschiede sind aber nebensächlich im Verhältnisse zu dem ersten und wesentlichen, wonach die Ewigkeit ganz zugleich ist, nicht aber die Zeit. I. Sonach würde der erste Einwurf gelten, wenn Zeit, und Ewigkeit Maße wären, die zu ein und derselben Art von Maß gehörten. Das aber ist falsch. II. Das zweite faßt das „Nun der Zeit“ unrichtig auf. Dieses „Nun der Zeit“ ist nämlich nichts anderes als das Bewegliche selber oder das die Bewegungen tragende Subjekt. Der Mensch, der sich bewegt, bleibt der nämliche Mensch am Anfange der Bewegung und am Ende. Wird das Wasser Dampf, so bleibt in dieser Bewegung das Vermögen, etwas Stoffliches zu sein, im Innern der Dinge ein und dasselbe. Es ist dies das einige „Nun der Zeit“, soweit es auf diese eine Bewegung ankommt; nämlich das eine tragende „Nun“ für die Zeit, deren das Wasser bedarf, um Dampf zu werden. Allem Werden und aller Bewegung im Stofflichen aber liegt als tragendes Subjekt zu Grunde der Urstoff, der die Möglichkeit ist, um alles zu werden. Und gemäß diesem einheitlichen Träger aller Bewegung, der immer unter einer bestimmten Wirklichkeit und sonach immer thatsächlich ein Bewegliches, ein einheitliches Subjekt für die Bewegung ist, andererseits aber stets das Vermögen oder die positive Möglichkeit behält, anders zu sein; gemäß diesem einheitlichen Urstoffe, der allen von sich aus vergänglichen Dingen zu Grunde liegt, giebt es ein stehendes „Nun der Zeit“. Dieses „Nun der Zeit“ ist nun immer ein und dasselbe, was das Subjekt, den Träger, also das Unvollkommene und Unfertige anbelangt; aber es unterscheidet sich von selbem der Auffassung nach, insoweit, dieses Subjekt für die Bewegung thatsächlich jetzt da ist und jetzt dort. jetzt das ist und jetzt jenes. So ist nach dem Wirklichen hin dieses „Nun“ ein und dasselbe wie das tragende, im Zustande der Möglichkeit befindliche Subjekt; nach dieser Seite ist es stehend wählend der Bewegung. Es ist aber fließend, wenn das bewegliche Subjekt bezogen wird auf die wirkliche thatsächliche Bewegung, denn dann ist dasselbe bald da bald dort. Also das Fließen, d. h. das „In Bewegung sein“ von diesem „Nun“ selber ist die Zeit, soweit die Vernunft die thatsächliche Änderung im Platze auffaßt. Die Ewigkeit aber bleibt ein und dieselbe nach jeder Seite hin. Ihr Subjekt, d. h. das göttliche Wesen, ist immer dasselbe und die Thatsächlichkeit dieses Subjektes, das Sein selber, ist ohne jede Änderung; denn das göttliche Wesen ist durchaus das göttliche Sein. III. Die Ewigkeit ist das eigene entsprechende Maß für das sich selber stets gleichbleibende Sein. Die Zeit ist das Maß des veränderlichen Seins. Demgemäß also ein Sein sich von der inneren Gleichförmigkeit und Dauer entfernt, entfernt es sich von der Ewigkeit und wird der Zeit unterworfen. Das Sein der vergänglichen Dinge nun ist veränderlich. Also wird es nicht von der Ewigkeit als dem eigens entsprechenden Maße gemessen, sondern von der Zeit, die da nicht nur die thatsächliche Bewegung mißt, vielmehr auch die Ruhe dessen, was allerdings im Augenblicke nicht in Bewegung ist, aber dazu die natürliche Neigung besitzt.
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