Sechster Artikel. Ist nur ein „Ävum“?
a) E« scheint, daß mehrere „Ävum“ sind. Denn: I. Es heißt in den Apokryphen Esdrae: „Die Majestät und Macht der „Även“ ist bei Dir, o Herr.“ II. Für die verschiedenen Arten von Wesen, die durch das „Ävum“ gemessen werden, müssen verschiedenartige Maße existieren. Von solchen Wesen sind aber die einen unter den stofflichen inbegriffen, nämlich die Himmelskörper; die anderen sind rein geistige Substanzen, nämlich die reinen Geister. Also giebt es mehrere „Äva“. III. „Ävum“ ist die Bezeichnung für eine Dauer. Denen also ein und dieselbe Dauer zugehört, denen ist auch ein Ävum eigen. Aber nicht alle Wesen, welche durch das Ävum gemessen werden, haben ein und dieselbe Dauer; weil die einen nach den anderen begonnen haben, wie dies besonders bei den menschlichen Seelen statthat. Also giebt es mehrere „Aeva“. IV. Dinge, welche nicht in gegenseitiger Abhängigkeit stehen, scheinen nicht ein und dasselbe Maß zu haben. Denn darum gerade scheint eine einheitliche Zeit zu existieren für alle zeitlichen Dinge, weil von allen Bewegungen innerhalb des Stofflichen gewissermaßen die Ursache ist die Bewegung eines Centralkörpers, welcher vor allen anderen durch die Zeit gemessen wird. Die Wesen aber, welche durch das „Ävum“ gemessen werden, hängen nicht ab voneinander; da ein reiner Geist nicht die Ursache des anderen ist. Also giebt es nicht ein Ävum allein. Auf der anderen Seite ist das Ävum ein einfacheres, der Ewigkeit näherstehendes Maß wie die Zeit. Die Zeit aber ist eine einheitliche. Also scheint auch nur ein Ävum es zu geben.
d) Ich antworte, daß darüber zwei Ansichten sich geltend machen: die eine meint, es gäbe nur ein „Ävum“; die andere, es seien deren mehrere. Sie sagen nun, es bestehe deshalb eine Einheit in der Zeit, weil ein und dieselbe Zahl existiert für alle gezählten oder zählbaren Dinge; da die Zeit ja Zahl ist (nach Aristoteles 4. Phys.). Aber das genügt nicht. Denn die Zeit ist kein abstraktes Gedankending; und ist nicht als solches eine Zahl außerhalb des Gezählten. Vielmehr existiert sie im Gezählten, sonst wäre sie nichts Zusammenhängendes. Zehn Ellen Tuch haben doch nicht ihren Zusammenhang auf Grund der Zahl, sondern auf Grund des Gezählten. Die Zahl aber, soweit sie im Gezählten existiert, ist nicht ein und dieselbe für alle Dinge; sondern ist verschieden in den verschiedenen Dingen. Daher bezeichnen andere als Ursache die Einheit in der Zeit die Einheit der Ewigkeit, welche das Princip ist für alle Dauer. Und so wären alle Arten von Dauer ein und dasselbe, wenn einzig und allein ihr Princip, nämlich die Ewigkeit, in Betracht gezogen wird. Es wären aber viele verschiedene Arten von Dauer, wenn die Verschiedenheit erwogen wird, welch sie untereinander haben unter dem Einflusse des ersten Princips. Wieder andere meinen, die Einheit der Zeit käme aus dem einen Urstoffe, der da aller Bewegung (Art. 4. ad 2.) in erster Linie zu Grunde liegt und dessen Maß die Zeit wäre. Aber keine von den beiden letzten Annahmen erscheint gerechtfertigt. Denn jene Dinge, welche Einheit besitzen kraft eines sehr entfernten Princips, soweit es das Wesen betrifft, oder kraft eines ebenfalls sehr entfernten, allem gemeinsamen Subjekts, sind keine Einheit schlechthin, sondern nur unter einer gewissen Bedingung; nämlich unter der Beziehung auf das entfernte allgemeine Princip oder auf das ebenso entfernte allgemeine zu Grunde liegende Subjekt, welche beide mit den eigentlichen unmittelbaren Wesensformen der stofflichen Vergänglichkeit in keiner eigentlich direkten formellen Gemeinschaft stehen; wie z. B. etwa das Auge kraft seiner engeren Natur im direkten Verhältnisse steht zur Sehkraft. Demnach, ist die wahre Ursache der Einheit in der Zeit die Einheit der ersten Centralbewegung, gemäß welcher, da sie die einfachste ist, alle anderen Bewegungen ihr Maß erhalten. So also steht die Zeit zu jener ersten Centralbewegung nicht nur im Verhältnisse des Maßes zum Gemessenen, sondern auch in dem einer Eigenschaft oder eines Zustandes zum tragenden, zu Grunde liegenden Subjekt. Zu allen andern Bewegungen steht sie im Verhältnisse allein des Maßes zum Gemessenen. Deshalb wird sie gemäß der Vielheit der von ihr gemessenen Dinge nicht vervielfacht, weil ein Maß, das von der Vielheit in seinem Sein getrennt dasteht, viele Dinge messen kann. (Vgl. mein „Wissen Gottes“, III. Nr. 241.) Nachdem dies also festgestellt worden, muß man wissen, daß über die rein geistigen Substanzen eine doppelte Ansicht bestand. Denn einige wie Ongenes (I. Periarchon, c. 8.) meinten, daß alle in gewisser Gleichheit untereinander von Gott ausgingen; oder doch wenigstens sehr viele. Die Verschiedenheit in den Geistern sei nämlich aus ihnen selbst später gemäß dem Grade ihrer Treue gegenüber der Gottheit gekommen. Andere aber meinten; sie seien von Gott ausgegangen gemäß einer gewissen Rangordnung untereinander. Und dieses letztere scheint Dionysius zu behaupten, der da (de cael. hier. 10.) sagt, unter den rein geistigen Substanzen seien einzelne an erster Stelle, andere an tiefster, andere ständen zwischen beiden in der Mitte; und so sei dies denn auch wieder auf jeder einzelnen Rangstufe bei Engel, so daß also dieses Verhältnis der Abhängigkeit der einen zu den anderen berücksichtigt werden müsse. Nach der erst angeführten Meinung müßten nun viele „Även“ angenommen werden, weil danach die geistigen Substanzen insgesamt von Natur aus sich gleich sind und in keiner Abhängigkeit voneinander stehen. Nach der zweiten aber wäre nur ein „Ävum“ anzunehmen; denn ein jedes Sein wird gemessen durch das einfachere in seiner Art, das somit der Wesenseinfachheit in Gott näher steht. Das „Ävum“ der an Rang höchsten geistigen Substanz würde das Maß für alle folgenden Abstufungen sein. Und weil uns die zweite Meinung als wahrer erscheint, geben wir zu, es sei nur ein „Ävum“. (Kap. 47. Art. 2.) I. „Ävum“ wird oft gesetzt für „Zeitperiode“ und so geschieht es in dieser Stelle. II. Die Himmelskörper und die rein geistigen Substanzen sind wohl unterschieden in der „Art“ ihrer Natur. Darin aber stimmen sie überein, daß ihr substantiales Sein keiner Veränderung unterliegt, daß sie nicht vergänglich sind, nicht erzeugt werden und nicht sterben und danach mißt sie das „Ävum“. III. Auch nicht alle zeitlichen Dinge fangen zugleich an, zu sein; und doch ist für sie alle die Zeit eine einheitliche auf Grund des Centrallörpers, dessen Bewegung durch die Zeit als durch einen ihm eigenen Zustand gemessen wird. Und ebenso haben alle Substanzen, welche das „Ävum“ als Maß besitzen, nur ein „Ävum“ auf Grund des ersten; wenn sie auch nicht alle zugleich angefangen haben. IV.Daß ein Sein das Maß sei für viele andere, dafür ist nicht erforderlich, daß letztere in diesem Sein ihre Ursache sehen; sondern daß es einfacher und somit mehr zum Messen geeignet ist.
