Fünfter Artikel. Der Unterschied zwischen Zeit und „Ävum“.
a) Ein Unterschied zwischen Zeit und „aevnm“ scheint nicht zu bestehen. Denn: I. Augustinus sagt (8. Super Gen. ad litt. c. 20, 22, 23), daß „Gott die rein geistigen Substanzen für die Thätigkeit bestimmt vermittelst der Zeit“. Das „Aevum“ aber soll das Maß sein für die geschaffenen, rein geistigen Substanzen. Also ist „Ävum“ ebensoviel als „Zeit“. II. Zum Wesen der Zeit gehört es, ein Vorher und Nachher zu enthalten. Zum Wesen der Ewigkeit gehört es, ganz zugleich zu sein. Das „Ävum“ aber ist nicht Ewigkeit, denn Eccli. 1. heißt es, „daß die (ewige) Weisheit vor dem Ävum ist.“ Also hat letzteres ein Vorher und Nachher, ist nicht ganz zugleich und folglich ist es nichts anderes als eben Zeit. III. Besteht im „Ävum“ kein Vorher und Nachher, so ist in ihm die Vergangenheit als solche auch nicht unterschieden von der Zukunft. Da es aber unmöglich ist, daß die rein geistigen Substanzen einmal nicht gewesen sind, so folgt daraus die Unmöglichkeit, daß ihre Natur keine Zukunft zulasse, denn ehe sie war, konnte man von ihr aussagen, sie wird sein; und ebenso ist es für eine solche Natur möglich, wieder in das Nichts zu sinken; was für ihren jetzigen Zustand ebenfalls eine Aussage für die Zukunft voraussetzt. Also ist in diesen Substanzen ein Vorher und Nachher und somit ist ihr Maß die Zeit. IV. Die Dauer der durch das Ävum gemessenen Wesen ist für die Zukunft endlos. Ist also ein solches Maß wie das Ävum „ganz zugleich“, so giebt es ein Geschöpf, welches der Thatsächlichkeit nach unendlich ist, dessen endloser Bestand ganz zugleich ist. Das aber ist unmöglich. Auf der anderen Seite sagt Boëtius (3. de consol. metr. 9. princ.): „Der, nämlich Gott, befiehlt, daß die Zeit sich vom Ävum entfernt.“
b) Ich antworte, daß das „Ävum“, verschieden ist von Zeit und Ewigkeit als in der Mitte befindlich zwischen beiden. Einige bezeichnen nun als Wesensunterschied, daß die Ewigkeit keinen Anfang hat und kein Ende; das „Ävum“ aber kein Ende wohl, jedoch einen Anfang; während die Zeit Anfang und Ende hat. Doch ist dies ein nebensächlicher Unterschied, wie bereits betont worden. Denn wenn auch diese rein geistigen Substanzen immer gewesen wären und immer sein würden oder wenn sie einmal in das Nichts sänken, was ja möglich ist, so müßte doch das „Ävum“ noch unterschieden werden von Zeit und Ewigkeit. Andere sagen, die Ewigkeit habe kein Vorher und Narchher, also keine Aufeinanderfolge in ihrem Sein; die Zeit habe ein Vorher und Nachher und zwar mit Entstehen und Vergehen, mit Neu und Alt; das Ävum aber habe wohl ein Vorher und Nachher, aber kein Entstehen und Vergehen, kein Neu und Alt. Doch dies ist ein Widerspruch. Das erscheint ganz klar, wenn das Neu und Alt auf das Maß selber bezogen wird. Denn da das Vorher und Nachher in der Dauer nicht zugleich sein kann, so muß, soll anders das „Ävum“ ein Vorher und Nachher haben, wenn der eine Teil sich entfernt, der folgende herankommen. Und so wird Erneuerung im Messen und im Maße selbst sein, etwas Neues und Altes, gleichwie in der Zeit. Und ebenso thut sich dieselbe Unzuträglichkeit kund, wenn das Gemessene in Betracht gezogen wird. Denn warum wird ein der Zeit unterliegendes Ding alt? Weil sein Sein veränderlich ist. Und eben auf Grund der Veränderlichkeit dieses Seins, also dieses Gemessenen, besteht ein Vorher und Nachher im Maße. Ist also die durch das „Ävum“ gemessene geistige Substanz dem Neuen und Alten unzugänglich, so ist dies der Fall, weil ihr Sein unveränderlich ist. Dann aber kennt auch das entsprechende Maß in sich kein Vorher und Nachher; es ist nach dieser Seite nicht übereinstimmend mit der Zeit. Demnach muß man folgendermaßen sagen. Die Ewigkeit ist das Maß des wesentlich dauernden, stets sich selber gleichbleibenden Seins. Soweit also etwas sich von der Dauer und der inneren Gleichförmigkeit entfernt, so weit steht es ab von der Ewigkeit. Manche Dinge entfernen sich nun dermaßen von dieser Dauer, und Gleichförmigkeit, daß ihr Sein selber substantiell der Veränderung unterliegt oder vielmehr in der Veränderung besteht. Derartiges wird von der Zeit gemessen, gleichwie jegliche Bewegung und auch das Sein des Vergänglichen. Andere Dinge entfernen sich weniger von der Dauer und Gleichförmigkeit. Ihr Sein der Substanz nach ist nicht Träger der Veränderung; und es besteht nicht im Entstehen oder Vergehen oder in beständiger Entwicklung nach der einen oder nach der anderen Seite hin. Jedoch ist mit ihnen Veränderlichkeit verbunden entweder in der thatsächlichen Lage oder dem Vermögen für die Existenz nach. So haben die Himmelskörper immer dasselbe substantiale Sein; jedoch dieses Sein ist verbunden mit dem thatsächlich beständigen Wechsel von Ort zu Ort. Und auch die reinen Geister gehen nicht von einer Substanz in die andere über; aber gemäß ihrer freien Wahl können sie vom Guten zum Bösen abfallen und ebenso den Ort wechseln, auf den die wirkende Kraft ihrer Natur sich richtet. Solche Substanzen also mißt das „Ävum“ und deshalb steht es in der Mitte zwischen Ewigkeit und Zeit. Das substantiale Sein, welches von der Ewigkeit gemessen wird, ist weder in sich selber veränderlich noch mit Veränderlichkeit im Thätigsein verbunden. Die Zeit ist das Maß für das Veränderliche im substantialen Sein selber und hat deshalb ein Vorher und Nachher. Das „Ävum“ aber hat kraft seines Wesens in sich selber kein Vorher und Nachher; aber nebensächlich kann mit Rücksicht auf die Thätigkeit das mit ihm verbunden werden. Die Ewigkeit hat weder in ihrem Sein ein Vorher und Nachher, noch duldet sie es an denselben.
c) I. Soweit der Gegenstand für die Neigung oder Affektion und für die Kenntnis auf seiten der rein geistigen Substanzen der Zeit unterliegt, also eine Aufeinanderfolge in sich selber gestattet, werden sie durch die Zeit gemessen. Deshalb sagt Augustin an derselben Stelle: Vermittelst der Zeit in Thätigkeit gesetzt werden, heiße für diese Substanzen vermittelst der Neigungen oder Affektionen in Thätigkeit sein. Inwiefern sie jedoch ihr natürliches substantiales Sein besitzen, werden sie durch das Ävum gemessen; und insofern sie an der seligen Anschauung teilnehmen durch die Ewigkeit. II. Das „Ävum“ ist ganz zugleich ohne eine Aufeinanderfolge innerhalb des eigenen substantialen Seins. Es verträgt jedoch mit sich das Vorher und Nachher; ebenso etwa, wie der Lichtstrahl, soweit er Sein hat, von der Sonne gemessen wird, soweit aber seine Thätigkeit auf ein grünes Glas sich richtet von der Intensität und dem Wechsel dieser Farbe. III. Im Sein des reinen Geistes selber ist kein Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Er ist heute nicht groß, während er vorher klein war. Wohl aber ist ein solcher Unterschied vorhanden mit Rücksicht auf die angeführten Veränderungen, die vom Gegenstande herrühren, auf welchen die eine und selbe Kraft des reinen Geistes gerichtet ist. Wenn wir aber sagen, der reine Geist sei gewesen oder er werde sein, so rührt dies von der Auffassung unserer Vernunft her, die den reinen Geist betrachtet im Verhältnisse zu den Teilen der Zeit. Und wenn sie also sagt, der reine Geist sei oder sei gewesen, so setzt sie etwas voraus, mit dem zusammen dessen Gegenteil der Allmacht Gottes gleichzeitig nicht unterliegt. Wenn sie aber sagt: er wird sein, so setzt die Vernunft eben nichts als bestehend voraus und so der Macht Gottes unterliegend. Da also Sein und Nichtsein der Macht Gottes unterliegt, so kann Gott allerdings machen, daß das Sein des reinen Geistes nicht für die Zukunft existiere. Sie kann aber nicht machen, daß er nicht sei, während er ist oder daß er nicht gewesen sei, nachdem er existierte. IV. Die Dauer des „Ävum“ ist ohne Ende, weil ihr die Zeit kein Ende setzt. In dieser Weise also behaupten, daß etwas Geschaffenes unendlich sei, weil es von einem anderen Geschaffenen nicht geendet wird, das ist nicht unzuträglich.
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