Erster Artikel. Jegliches Sein ist thatsächlich eines.
a) Es lassen sich folgende Gründe dagegen geltend machen, daß jedes Ding eben deshalb, weil es existiert, auch Einheit besitze. I. Was nämlich einer bestimmten „Art“ von Sein angehört, das steht im Verhältnisse einer Zuthat zu jenem Sein, welches alle „Arten“ Sein umfaßt. Die Einheit aber gehört einer bestimmten „Art“ Sein an; ist nämlich das Princip oder der Anfang für die Zahl. Also ist sie nicht ein und dasselbe wie das Sein selber. II. Besteht etwas als Unterabteilung und verursacht so im Gemeinsamen die Teilung, wie grün und gelb z. B. das Gemeinsame in der Farbe teilen, so enthält es etwas dem Gemeinsamen Hinzugefügtes. So ist es aber mit dem „Einen“ der Fall. Denn die Unterabteilungen des Seins sind: „Eines“ und „Vieles“. Also ist „Eines“ nicht ein und dasselbe wie Sein. III. Wäre endlich „Eins“ gleich „Sein“, so würde es lächerlich sein, beides zu unterscheiden und zu sagen „Eins“ und „Sein“. Denn das würde eben nur heißen: „Sein“, „Sein“. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (de div. nom. cap. 9.): „Nichts unter den Dingen welche existieren besteht, was nicht Anteil hätte am Einen.“ Dies aber würde nicht der Fall sein, wenn dieses nicht der Wirklichkeit nach ein und dasselbe wäre: „Sein“ und „Eines“. Denn wäre es verschieden, so würde das „Eine“ die Ursache sein für die Beschränkung des Seins zu einer gewissen Art von Sein und nicht alles Sein würde „Eines“ sein; sowie nicht alle Farbe grün, sondern der Zusatz „grün“ die Farbe beschränkt zu einer gewissen Farbe hin.
b) Ich antworte, die Eigentümlichkeit, Eines zu sein, fügt zum Sein nichts Wirkliches hinzu; sondern verneint nur, daß das betreffende Sein in sich geteilt sei. Denn „Eines sein“ heißt nichts anderes als ungeteiltes Sein besitzen; nicht Teil eines anderen sein, Und daraus schon erhellt, daß Sein und Eines dasselbe sind. Denn jegliches Sein ist entweder einfach oder zusammengesetzt. Was aber einfach ist, das ist ungeteilt und ist auch unteilbar. Was aber zusammengesetzt ist, das hat kein Sein, so lange die Teile voneinander getrennt sind, sondern nur insofern dieselben das Zusammengesetzte bilden. Deshalb ist es klar, daß jedes Ding Sein hat, insoweit es ungeteilt ist; und daher kommt es, daß jedes Ding so lange sein Sein bewahrt, als es seine Einheit besitzt. I. Die Täuschung, welche zum ersten Einwürfe geführt hat, ist diese, daß man meinte, das „Eine“, was da mit dem Sein zusammenfällt, sei dasselbe wie die Einheit, welche die Zahlen begründet. Pythagoras und Plato nämlich bemerkten, daß, was Sein hat, auch „eines“ ist; und daß dieses „Eine“ nichts hinzufügt zur Substanz des Dinges, sondern diese Substanz nur ausdrückt als eine ungeteilte; und schlossen daraus, so sei es auch der Fall mit der Einheit, welche das Princip der Zahlen bildet. Und weil jede Zahl aus Einheiten zusammengesetzt wird, nahmen sie an, die Zahl sei die Substanz der Dinge. Avicenna aber behauptete das Gegenteil; daß nämlich die Einheit, welche thatsächlich zusammenfällt mit dem Sein, etwas Wirkliches hinzufüge zur Substanz des Dinges; wie z. B. die weiße Farbe etwas Wirkliches hinzufügt zur Substanz „Mensch“. Und er ging davon aus, daß ja die Einheit als Princip der Zahl etwas hinzufügt zur Substanz des Dinges; sonst wäre die aus Einheiten zufammengesetzte Zahl nicht der bestimmten „Art“ Quantität zugehörig, sondern hätte dieselbe Weite wie das Sein. Beides ist offenbar falsch: das letzte, weil, wenn die Substanz eines Dinges durch etwas anderes, von ihr verschiedenes eine einige wäre, dieses andere wieder durch etwas anderes eines sein müßte, besitzt es doch auch seinerseits eine Einheit. So ginge es weiter ohne Ende; und es wäre dann die Substanz gar nicht Einheit. Deshalb ist dabei stehen zu bleiben, daß die Substanz durch und aus sich selbst eine ist; und daß demnach dieses Eine in Wirklichkeit zusammenfällt mit dem Sein der Substanz. Aber dieses Eine ist nicht dasselbe — und darin irrt die erste Meinung — wie die Einheit als Princip der Zahl; denn diese fügt zum Sein etwas hinzu, was zu der bestimmten „Art“: Quantität, einschränkt. II. Es hindert nichts, daß etwas nach einer Seite hin eines sei und nach der anderen Seite hin vieles; wie z. B. was eines ist nach der Gattung vieles ist in Anbetracht der Individuen, welche darin enthalten sind. Es wird aber dann von etwas „das Unteilbare“ oder „Eine“ schlechthin ausgesagt werden und das „Viele“ unter gewisser Bedingung, wenn vom Wesen als von etwas „Unteilbarem“ die Rede ist; oder von dem, was thatsächlich ungeteilt ist, wohl aber geteilt werden kann, wie das Ganze, welches die Möglichkeit hat, in seine Teile zerlegt zu werden. Umgekehrt wird von etwas das „Viele“ schlechthin ausgesagt werden und das „Eine“ unter gewisser Bedingung, wenn etwas geteilt ist dem Wesen nach und ungeteilt nach der Auffassung der Vernunft oder in Anbetracht seines Princips, wie z. B. jene Dinge, welche viele sind der Zahl nach ( z. B. Menschen) und eines der Gattung nach („Mensch“ z. B.). Und so wird das Sein geteilt in „eines“ und „vieles“: „eines“ schlechthin simpliciter und „vieles“ in mancher Beziehung (secundum quid). Denn auch die Vielheit würde nicht bestehen, wenn sie nicht in mancher Beziehung am „Einen“ teilnähme (de div. nom. c. 1.): Was „viel“ ist den Teilen nach, ist „eines“ dem Ganzen nach. Was „viel“ ist in den Eigenschaften, ist „eines“ im tragenden Subjekt. Was „viel“ ist in Anbetracht der einzelnen Individuen, ist „eines“ in der Gattung. Was „viel“ ist in der Gattung ist „eines“ der „Art“ nach. Was „viel“ ist an verursachten Dingen, ist „eines“ im verursachenden Princip. III. Ein einiges Sein ist nicht überflüssig zu sagen, weil das „Eine“ die Ungeteiltheit ausdrückt.
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