Zweiter Artikel. Im körperlichen Stoffe finden sich manche maßgebende Gründe gleichsam als Same für anderes Sein.
a) Dies scheint unmöglich. Denn: I. Ein Grund ist immer etwas Geistiges. Alles aber, was im Stofse ist, findet sich da in stofflicher Weise. II. Augustin meint (3. de Trin. c. 8.): „Die Dämonen machten Manches, weil sie kraft geheimer Bewegungen einzelne Samen gebrauchten, die sie als in den Körpern vorhanden erkennen.“ Was aber vermittelst der Bewegung in Gebrauch kommt, ist ein Körper, nicht ein Grund. III. Same will heißen thätiges Princip. Im körperlichen Stoffe als solchem aber ist kein eigentliches Princip der Thätigkeit; sondern höchstens sind im fertigen Körper thätig wirksame Eigenschaften als Werkzeuge der subftantialen Form, wie im vorigen Artikel festgestellt worden. Also sind im Stoffe keine Gründe wie etwa ein Same für anderes Sein. IV. Im körperlichen Stoffe sind einzelne für das Wirken maßgebende Eigenschaften, die zu genügen scheinen für die Hervorbringung der Dinge. Dies sind aber ganz andere wirkende Gründe im Stoffe wie der Same es ist. Denn außerhalb des letzteren, d. h. ohne Beachtung desselben, geschehen die Wunder; die aber nicht sich vollziehen ohne Rücksichtnahme auf die erstgenannten Gründe. Also bestehen im körperlichen Stoffe keinerlei maßgebende Gründe als Same für anderes Sein. Auf der anderen Seite sagt Augustin (I.
c): „Von allen Dingen, die in körperlich sichtbarer Weise hier entstehen, ist immer in diesen körperlichen Elementen unserer Welt irgendwie ein geheimer Same vorhanden.“
b) Ich antworte, daß Benennungen zu geschehen pflegen vom Vollkommeneren her; wie Aristoteles (2. de anima) sagt. In der gesamten körperlichen Natur sind aber vollkommener die lebenden Körper; so daß der Ausdruck „Natur“ selber übertragen worden ist von den lebendigen Dingen auf alle natürlichen Dinge. Denn der Name „Natur“ ward nach 5 Metaph. zuerst angewandt, um die Erzeugung lebendiger Wesen zu bezeichnen. (Natura ═ nascitura und deshalb nativitas.) Weil nun die lebenden Wesen von einem Princip aus gezeugt werden, welches mit dem lebenden Wesen verbunden und mit ihm selber gegeben ist, wie z. B. die Frucht vom Baume erzeugt wird und das Kind von der Mutter, mit der es verbunden ist; deshalb ist der Name „Natur“ übertragen worden auf jegliches Princip der Bewegung, das ja innerhalb jenes Dinges und mit ihm verbunden ist, welches in Bewegung sich findet. Offenbar nun ist das thätige und leidende, das bestimmende und bestimmbare Princip in der Zeugung lebender Dinge nichts Anderes als der Same, aus welchem heraus die lebenden Wesen erzeugt werden. Und deshalb nennt Augustin überhaupt alle wirksamen und leidenden, bestimmenden und bestimmbaren Kräfte, die da Principien sind für die natürlichen Zeugungen und Bewegungen, „samenartige Gründe“, d. h. maßgebende Gründe im Körperlichen selbst für die Thätigkeit oder für anderes Sein. Derartige thätige und leidende Kräfte können in vielfacher Beziehung betrachtet werden. Denn sie sind zu allererst, wie Augustin (6. sup. Gen. ad litt. c. 10. et 18.) sagt, ursprünglich und an leitender Stelle im Worte Gottes selbst als „Idealgründe“. Dann sind sie in den Elementen der Welt, wo sie zugleich mit den Dingen im Anfange hervorgebracht worden wie in noch unbestimmten allgemeinen Ursachen. Ferner sind sie innerhalb der Dinge, welche aus den allgemeinen Ursachen heraus in der Folge der Zeiten hervorgebracht werden, wie z. B. in dieser Pflanze und in diesem Tiere; nämlich wie in besonderen, mehr schon bestimmten Ursachen. Endlich sind sie im Samen, der von den einzelnen Tieren und Pflanzen ausgeht; und diese stehen dann wieder in der gleichen Beziehung zu den ganz einzelnen und in Zeit und Ort abgegrenzten Wirkungen, in welcher die ersten allgemeinen Ursachen (die „Idealgründe“ im Worte Gottes) zu den ersten hervorzubringenden Wirkungen standen; d. h. dieselben sind in diesen „Idealgründen“ als ganz bestimmt und als im einzelnen hervorzubringende enthalten gewesen; und nicht bloß wie in den Elementen der Welt als in noch weiter zu bestimmenden allgemeinen Ursachen.
c) I. Derartige thätige und leidende Kräfte der natürlichen Dinge können allerdings nicht im eigentlichen Sinne als maßgebende „Gründe“ bezeichnet werden, insoweit sie im Stoffe sich vorfinden; jedoch können sie wohl so genannt werden mit Rücksicht auf ihren Ursprung, insofern sie nämlich von den „Idealgründen“ im Worte Gottes sich ableiten. II. Derartige Kräfte sind in einzelnen stofflichen Teilen; und werden sie von den Dämonen gebraucht, um einzelne Wirkungen zu vollenden, so wird gesagt, der Same sei angewandt durch die Dämonen. III. Der Same des Männchens ist das thätige Princip in der Zeugung des sinnbegabten Wesens; es kann jedoch auch Same genannt werden das, was auf seiten des Weibchens sich findet, welches das leidende, bestimmbare Princip ist. IV. Allerdings sind bei Augustin die „samenartigen Gründe“ im Stoffe genau dasselbe wie die wirkenden und leidenden Kräfte; wie ja auch der Same eine gewisse Ursache ist. Denn (3. de Trin. c. 9.) er sagt: „Wie die Frauen schwanger sind von ihrer Frucht, so ist die Welt schwanger von den Gründen für das, was entsteht.“ Jedoch werden „Gründe“ oder „Ursachen“ im eigentlichen Sinne die „Idealgründe“ genannt und nicht eigentlich kann der Same so genannt werden; denn der wirkende Grund ist immer getrennt vom Verursachten, der Same aber ist verbunden mit dem Wesen, dem er zugehört. Und außerhalb dieser „Idealgründe“ im Worte Gottes geschehen keine Wunder; auch nicht außerhalb der bestimmbaren, leidenden Kräfte, die den Kreaturen als solchen innewohnen. Aus ihnen wird gemacht, was Gott in sie hineingelegt hat. Wohl aber geschehen die Wunder außerhalb der beschränkten thätigen Naturkräfte und der ihnen im einzelnen entsprechenden bestimmbaren; und dann wird gesagt, es geschehe etwas außerhalb der „samenartigen Gründe“, rationes seminales.
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