Siebentes Kapitel. Die Unendlichkeit Gottes. Überleitung.
Daß wir doch dem erhabenen Heiligen, dessen bedeutungsvollstes Werk wir hier lesen, so recht von ganzem Herzen folgten; wie er aus dem „Sein“ der Kreatur immer höhere, leuchtendere Vollkommenheiten des allmächtigen Schöpfers enthüllt! Was nützt das trockene Wissen, wenn es nicht mit Feuer entflammt das Herz, um Gott zu lieben, und um Gottes willen und so wie Er will, alle Geschöpfe. Unser Herz muß erglühen, daß wir fortan nur Gott und in allem die Spur Gottes suchen. Nur nach Ihm als dem ruhevollsten Troste sollen wir verlangen; denn im Vergleich zu diesem Troste wird jeder andere auf Erden Bitterkeit und wird nur annehmbar wie die bittere Medizin, die auf den Rat des Arztes der Kranke nehmen muß, damit er das Wohl seines Leibes erlange. Dem Propheten müssen wir folgen, der da spricht: „An meiner Betrachtung wird sich das Feuer entflammen.“ Aber auf daß dieses Feuer leuchte, dazu bedarf es einer anderen Wärme, welche der Betrachtung vorangeht, wie das derselbe Prophet (ps. 38, 4.) beschreibt:„Mein Herz ward warm in mir.“ !' Die Not der Kreatur muß so recht vor unsere Seele treten; wie sie vor der Seele des heiligen Sängers stand, der in seinen erhabenen Psalmen nicht aufhört, Gott auf das inständigste zu beschwören: „Aus der Tiefe rufe ich zu Dir, Herr, erhöre meine Stimme“; „Aus meinem ganzen Herzen habe ich zu Dir gerufen“; „Herr! ich habe zu Dir geschrieen, erhöre“; „Herr! erhöre mein Rufen und mein Schreien komme zu Dir“; — und der so in den verschiedensten Wendungen immer wieder dieselbe Wahrheit ausdrückt: die grenzenlose Not der Kreatur nämlich einerseits und das Bekenntnis bei ungemessenen Seinsfülle andererseits. Was ist in der That im wahren Sinne des Wortes dem Geschöpfe zu eigen? Es kann immer mehr werden; es kann immer geringer werden. Das ist das Kreuz der Philosophie und überhaupt der modernen Wissenschaft, sagt einer ihrer Hauptvertreter: die Unendlichkeit. Die menschliche Substanz kommt innerhalb des stofflichen Weltalls niemals an das Ende ihrer Vollkommenheit; sie könnte fortwährend weiter kommen, wie hoch sie auch immer steht. Die menschliche Vernunft gelangt niemals an das Ende ihrer Ergebnisse; sie vermöchte stets immer mehr durchzubringen! Noch mehr! Wir können diese« „Kreuz“ bis in die positivste Naturwissenschaft hinein verfolgen. Der Durchmesser der Sonne ist, wie Secchi schreibt, über hundertmal, ihr Körpermhalt fast 1½ millionenmal größer als die Erde. Ihre Entfernung von der Erde beträgt gegen 21 Millionen Meilen. Eine mit immer gleicher Geschwindigkeit dahinfliegende Kanonenkugel würde 25 Jahre, ein Eisenbahnzug 400 Jahre gebrauchen, um zur Sonne zu gelangen. Der entfernteste der uns bekannten Planeten ist 7 Millionen Meilen von ihr entfernt und bewegt sich in 165 Jahren einmal um die Sonne, während die Erde nur 1 Jahr dazu bedarf. Der Raum also, den unser Sonnensystem im Weltall einnimmt, hätte hiernach einen Durchmesser von wenigstens 1400 Millionen Meilen. Aber außerhalb dieses Systems sind die Fixsterne, deren Entfernung von der Erde 206,265 mal größer ist als die der Sonne von uns. Und jeder dieser Fixsterne ist wieder der Mittelpunkt eines eigenen Systems wie unser Sonnensystem; so daß in dieser Masse das Maß unseres ganzen Planetensystems rein verschwindet. Nicht mehr jene Entfernung, welche das Licht in 8½ Zeitminuten von der Sonne aus durchläuft, bildet die Maßeinheit des Weltraumes, sondern jene Entfernung, welche von demselben Lichtstrahle in vollen drei Jahren durchmessen wird. Und stünden nur die noch größeren Sterne in meßbaren Formen, dann könnten wir daraus wenigstens für die anderen einen bestimmten Maßstab ableiten und ihre relativen Entfernungen abschätzen, welche sich durch Photometrie und die Eigenbewegung der Gestirne in gewissem Verhältnisse bestimmen lassen würden. Wir würden in diesem Falle die Sterne zweiter und dritter Größe etc. in doppelten, dreifachen etc. Entfernungen sehen, und die äußersten Sterne Herschels befänden sich in so weiter Ferne, daß das Licht zehntausend Jahre brauchte, um diesen Weg zurückzulegen. Aber nicht einmal das ist uns vergönnt. Denn diese ganze Rechnung hat eine Bogenparallaxe von einer Sekunde zur Voraussetzung, und eine solche Parallaxe kommt jenen Sternen erster Größe nicht zu. Wie weit sie daher auch von uns entfernt sein mögen, einen noch weiteren unbegrenzten Raum erschließt diese Rechnung unserer Einbildungskraft. Aber das nicht allein! Wir stehen, selbst das Stofflich-Sichtbare für sich allein betrachtet, vor einer doppelten Unendlichkeit; einer Unendlichkeit des Großen, welche das Teleskop offenbart und einer Unendlichkeit des Kleinen, welche das Mikroskop enthüllt. So wenig wir die Sterne eines Nebelflocken zählen können; ebensowenig können wir auch die Atome einer Zelle oder die einzelnen Teile einer Flimmerspore in Zahlen ausdrücken. Man hat versucht, die Menge von Sauerstoff- und Wasserstoffatomen zu berechnen, die zur Bildung eines kleinen Wasserwürfels von '/000 Zoll Breite nötig sind und hat 3 Tausend 900 Billionen (3.900.000.000.000) gefunden. Diese Zahl hält der nämliche Mikroskoper, Sorby, nach einer hergenommenen Rechnungsrevision nur für eine annähernd genaue. Allein das Wasser ist einer der minder zusammengesetzten Naturkörper! Nehmen wir das Eiweis, so ergiebt sich, daß der Durchmesser des kleinsten Teilchens getrockneten Albumins den Durchmesser des Wasserwürfelchens im Rauminhalt 2,89 mal übertrifft. Dabei ist das erste solcher mikroskopischen Atome, die erste Keimzelle, sogleich derart eingerichtet, daß die eine einen Vogel, die andere einen Fisch, die dritte eine Pflanze hervorbringt ohne jegliches Zuthun von außen her; daß also trotz der Kleinheit immer noch eine durchgreifende Verschiedenheit besteht. So trägt die Schöpfung gleichsam sichtbar sowohl in jedem ihrer Glieder als in ihrer Gesamtheit den Stempel der Unendlichkeit. Alles kann größer sein, alles kann kleiner sein ohne Grenzen! Es ist die Grenzenlosigkeit des Bedürfnisses! All diese Unendlichkeit im Bedürfnisse, dieses Entbehren jeglicher für immer fest bestimmten Wirklichkeit, dieser Mangel innerhalb des Dinges selbst an dem, was allein vollenden, d. h. das Ende und die Fülle geben kann; — dies tritt in einer ganzen Ausdehnung erst lebendig vor Augen in der menschlichen Vemunft. Da, in der menschlichen Vernunft, da ruft die ganze Schöpfung mit ihrem grenzenlosen Werden nach dem Großen und nach dem Kleinen hin, da ruft sie „aus der Tiefe“, da „schreit sie“ zu dem, der nicht in ihr ist, aus dem sie aber geflossen und der allein, was Er begonnen, das Gute nämlich, vollenden kann. In Ihm, in unserem Gott, ist nicht mehr ein Mangel, ein Bedürfnis ohne Ende; in Ihm ist Bestimmtheit, Wirklichkeit, Thatsächlichkeit in dem Sinne ohne Ende, daß nichts mehr da werden, nichts mehr da sich entwickeln kann. Das Geschöpfliche ist grenzenlos, weil außen für dasselbe es Schranken ohne Zahl, ohne Grenzen giebt; der Schöpfer ist ohne Ende, weil außer Ihm nichts ist. Das Geschöpf kann durch alles Beliebige von außen her geendet, in seinem Wirken gehindert werden. Der Schöpfer hat nur innerhalb seiner selbst, in seinem durchaus freien, von außen her durch nichts beeinflußten Willen, das Ende oder den Zweck seines Wirkens nach außen. Von Ihm steht geschrieben: „Und seiner Größe ist kein Ende“ (Ps. 144) und wiederum: „Groß ist Er und Er hat keine Grenzen.“ Die beiden Unendlichkeiten verhalten sich so zu einander, daß die im Geschöpflichen ohne Ende auf die des Schöpfers angewiesen; und daß ihr Bestehen, der unbegrenzte, d. h. vom Innern des Geschöpfes aus durch nichts geendete Mangel, der Beweis ist für das Bestehen unerreichbarer Fülle. Hören wir, wie Thomas dieses Verhältnis darlegt.