Kapitel 9: Der Geschmack
In den Ausführungen oben sagten wir: das Gesicht sieht in geraden Linien; der Geruch und das Gehör nehmen nicht bloß in gerader Richtung, sondern auch von allen Seiten her wahr. Tastgefühl und Geschmack üben nicht in gerader Richtung, auch nicht von überallher Erkenntnistätigkeit aus; vielmehr erkennen sie nur in dem Augenblick, wenn sie mit eben den ihnen eigentümlichen Sinnesgegenständen in Berührung kommen; ausgenommen sind hierbei die Gegenstände, die bereits Besprechung gefunden S. 58 haben. Der Geschmack nimmt die Säfte auf. Seine Werkzeuge sind die Zunge und, mehr noch als diese, ihre Spitze, sodann im Verein mit ihnen der Gaumen; in diesen Gliedern sind die Nerven ausgebreitet, die vom Gehirn herunterkommen; sie melden die getätigte Sinneswahrnehmung dem Verstand. Die sogenannten Geschmackseigenschaften der Säfte sind folgende: Süßigkeit, Schärfe, beißender, herber, säuerlicher Geschmack, Bitterkeit, Salzigkeit und Fettigkeit. Der Geschmack hat die Gabe, diese erwähnten Eigenschaften zu unterscheiden. Nach diesen Eigenschaften heißt auch das Wasser eigenschaftslos, denn beim Schmecken zeigt es keine von diesen Eigenschaften. Bezüglich der übrigen Eigenschaften, z. B. der Kälte und der Feuchtigkeit, hat es die ihm angestammte Eigenschaft. Herber und säuerlicher Geschmack unterscheiden sich dadurch voneinander, daß der eine mehr, der andere weniger zusammenzieht. Diese sind also fast ausschließlich die einfachen Geschmackseigenschaften; die zusammengesetzten sind unzählig. Für jede einzelne Art von Lebewesen und Pflanze gibt es besondere Eigenschaften. Wir nehmen z. B. je nach den zufälligen Umständen eine andre Eigenschaft am Schweine und eine andre an der Ziege wahr. Deswegen erkennen wir erst am Geschmack, besonders wenn wir vorher nicht wissen, von welcher Sorte das Fleisch ist, das man uns vorgesetzt hat. Das käme nicht vor, wäre nicht die Eigenschaft jedes einzelnen schmeckbaren Dinges verschieden. Daher kann man die Eigenschaften des Geschmackes nicht allgemein zusammenfassen; denn sie sind ohne Grenzen und ganz verschieden voneinander. Auch in den Stoffen, in denen nur eine einzige der einfachen Eigenschaften vorherrscht, ist der Unterschied der einzelnen Arten der schmeckbaren Dinge erkenntlich. Bei der getrockneten Feige, der gedörrten Weinbeere und der Dattel herrscht nur eine Eigenschaft vor: die der Süßigkeit; aber der Geschmack stellt den Unterschied der Arten fest.
