Kapitel 4: Der Körper
Jeder Körper ist eine Mischung der vier Grundstoffe und hat sich aus ihnen gebildet. Die Körper der bluthaltigen Lebewesen sind unmittelbar aus den vier Säften entstanden: aus Blut, Schleim, gelber und schwarzer Galle. Die Körper der blutlosen Lebewesen dagegen haben sich aus den übrigen Säften, und aus dem Stoff geformt, der bei diesen Wesen dem Blut entspricht. Als unmittelbar wird etwas bezeichnet, wenn es ohne Vermittlung aus jenen Säften selbst hervorkommt. So sind z. B. die vier Säfte eine Mischung aus den vier Grundstoffen. Aus den Säften stammen die ähnlich gestalteten Teile, die Teile des Körpers sind. Man vergleicht die schwarze Galle mit der Erde, mit dem Wasser den Schleim, mit der Luft das Blut, mit dem Feuer die gelbe Galle. Jede Mischung aus Grundstoffen ist entweder fest oder feucht oder Luft. Aristoteles will im Zusammenhang damit die Körper der Lebewesen nur aus Blut sich bilden lassen; denn aus ihm empfangen sämtliche Teile des Lebewesens unmittelbar Nahrung S. 41 und Wachstum. Auch der Same entwickelt sich aus Blut. Aber es schien nicht in Ordnung zu sein, wenn die härtesten Knochen ebenso wie das zarteste Fleisch und Fett aus einem und demselben Stoff entstehen; daher kam zuerst bei Hippokrates die Ansicht auf: die Körper der Lebewesen stellen sich unmittelbar aus den vier Säften zusammen, damit sich aus den erdhaltigeren und dickeren Säften die härteren Teile, aus den weicheren Säften die weicheren Teile bilden. Häufig findet man die vier Säfte im Blut; so kann man es bei den Aderschnitten sehen: bald überwiegt in dem Blute der molkenartige Schleim, bald die schwarze oder die gelbe Galle. Daher stimmen die beiden Männer (Aristoteles und Hippokrates) bezüglich des Blutes wohl miteinander überein. Die Teile an den Lebewesen sind einerseits aus gleichen, andererseits aus ungleichen Teilen geformt. Aus gleichen Teilen bestehen: Gehirn, Hirnhäute, Nerv, Mark, Knochen, Zahn, Knorpel, Drüsen, Bänder, Häute, Sehnen, Haare, Nägel, Fleischteile, Adern, Arterien, Poren, Fett, Haut sowie die gleichsam verwandten Grundstoffe dieser Teile: Blut, sofern es reines Blut ist, Schleim, schwarze und gelbe Galle. Die Sehne ist z. B. aus Bändern und nervenreichen Strängen zusammengesetzt. Aus ungleichen Teilen bestehen Kopf, Brust, Hände, Füsse nebst den übrigen Gliedern des Menschen. So zerlegt man, beispielshalber den Kopf nicht in einen Kopf, wie man den Nerv in einen Nerv, die Ader in eine Ader und das Fleisch in Fleisch zerstückelt. Vielmehr ist alles, was aus ungleichen Teilen besteht, aus gleichen zusammengesetzt; z. B. besteht der Kopf aus Nerven, Fleischteilen, Knochen und derartigen Stoffen. Diese Stücke nennt man auch organisch.
Die Begriffsbestimmung von gleichteiligen Dingen lautet so: es sind die Dinge, deren Teile dem Ganzen und untereinander ähnlich sind. „Aehnlich" muß man hier für „dasselbe" nehmen. Nicht jedes Lebewesen besitzt sämtliche Körperteile. Einige dieser Wesen sind vielmehr verstümmelt. Teils sind sie ohne Füße, z. B. Fische und Schlangen. Teils haben sie keine Köpfe, z. B. Krebse, Meerkrabben und verschiedene Wassertiere; sie haben eben in der Brust ihre Sinneswerkzeuge, weil sie keinen Kopf besitzen. Teils sind sie alle lungenlos, sofern sie keine Luft atmen. Teils haben sie keine Blase, z. B. Vögel sowie alle Tiere, die keinen Harn lassen. Die Schaltiere entbehren der meisten Glieder. Nur wenige unter ihnen besitzen die Eigenschaft, Lebewesen zu sein. Einige haben die Eigenschaft scheinbar nicht, obschon sie ihnen zueigen ist. So haben z. B. Hirsche scheinbar keine gelbe Galle, da sie diese zerstreut und unsichtbar in den Eingeweiden tragen. Der Mensch jedoch hat alle Glieder sogar in Vollkommenheit, und in solcher Vollkommenheit besitzt er sie allesamt, daß sie nicht anders in schöner Gestalt möglich sind. So ist auch bezüglich der Stellung der Glieder der Unterschied bei den Tieren groß. Denn die einen S. 42 haben die Euter an der Brust, die andern am Bauch, wieder andere unterhalb zwischen den Schenkeln. Die einen besitzen zwei Euter, die andren vier, wieder andre noch mehr. In der Regel paßte die Natur der Zahl der Geburten die Menge der Euter an. Will man diese Beobachtungen sorgfältig aussuchen, so lese man des Aristoteles Untersuchung „Ueber die Tiere." Die vorliegende Schrift hat ja nicht die Aufgabe, diese Tatsachen genau darzustellen, vielmehr soll sie nur sozusagen einige Umrisse und Grundzüge aufweisen. Wir wollen uns daher zur Beschreibung der Grundstoffe wenden; diese Arbeit unterliegt nun der Prüfung in gesetzmäßiger Folgerung.
