Kapitel 5: Die Grundstoffe
Der Weltgrundstoff ist der kleinste Teil in der Zusammensetzung der Körper. Es gibt vier Grundstoffe: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Sie sind nach der bereits genannten Reihenfolge geordnet: von den unten gelagerten zu den Grundstoffen in der Höhe. Im Vergleich zu den übrigen Körpern sind sie an sich erste und einfache Körper. Jeder Grundstoff ist von derselben Art wie die Dinge, deren Grundstoff er bildet. Die Grundlage ist ja nicht von der gleichen Art wie die Dinge, die sich aus ihr ableiten. Dagegen ist der Grundstoff völlig von gleicher Art. Daß jedoch Erde und Wasser, Luft und Feuer die Grundstoffe darstellen, ist gewiß. In ihnen zeigen sich eben nach Anlage und Wirklichkeit die Eigenschaften im vorzüglichsten Zustand. Keiner dieser sinnlich wahrnehmbaren Grundstoffe ist ungemischt und ohne Zutat eines andren Grundstoffs. Insgeheim sind diese ja doch alle irgendwie gefälscht, sie haben mehr oder weniger Anteil aneinander genommen. Doch ist ihre Natur auch in der Mischung klar zu sehen. Jeder einzelne Grundstoff besitzt durch Verbindung zwei Eigenschaften, die ihm die Form geben. Die Erde z. B. ist trocken und kalt. Das Wasser ist kalt und feucht. Die Luft ist entsprechend ihrer eigenen Natur feucht und warm. Das Feuer ist warm und trocken. Freilich können die Eigenschaften selbst keine Grundstoffe sein. Körper können sich nicht aus körperlosen Eigenschäften bilden; ebenso wenig vermögen die andren Körper, die keine hervorragende und keine wirksame Eigenschaft haben, als Grundstoffe zu diesen. Die Grundstoffe würden sich ins Unbegrenzte erstrecken, wenn alle Dinge des Daseins die Eigenschaft des Mehr und Weniger besäßen und wenn sich an ihnen nicht unterscheiden ließe, welche Grundstoffe zu welchen Dingen gehören. Folglich muß der Grundstoff auch ein S. 43 Körper sein, und zwar ein einfacher Körper, der bei seiner Wirksamkeit die Eigenschaften in vorzüglicher Beschaffenheit besitzt; darunter verstehe ich Wärme, Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit. Das sind die einzigen Eigenschaften, die jede Wesenheit vollständig verändern. Von den übrigen Eigenschaften leistet auch nicht eine dies. So färbt z. B. das Weiße, wenn es an einen Körper kommt, ihn nicht völlig in dem Umfang weiß, wie die Wärme ihn erhitzt, und wie ihn die Kälte frieren macht. Auch gibt es neben der Farbe sonst keine Eigenschaften, die eine völlige Veränderung herbeiführen. Die Grundstoffe sind einander entgegengesetzt, die auf Grund zweier Eigenschaften entgegengesetzt sind; z. B. ist das Wasser, das kalt und feucht ist, dem Feuer entgegengesetzt, das warm und trocken ist. Die Erde, die kalt und trocken ist, steht im Gegensatz zur warmen und feuchten Luft.
Die entgegengesetzten Grundstoffe konnten sich nicht miteinander verknüpfen, wenn nicht ein Bindemittel dazwischen trat, das sie zusammenband. Deswegen stellte der Schöpfer mitten zwischen die Erde und die Luft, die Gegensätze bilden, das Wasser. Er gab ihm zwei Eigenschaften: Kälte und Feuchtigkeit. Dadurch konnte es sich mit den Enden (von Erde und Luft) verbinden und die beiden Grundstoffe zusammenschließen. Durch die Kälte steht das Wässer mit der Erde in enger Verwandtschaft. Durch die Feuchtigkeit hängt es mit der Luft zusammen. Ferner stellte Gott zwischen das Wasser und das Feuer, die ebenfalls Gegensätze sind, die Luft. Durch ihre feuchte Eigenschaft ist sie mit dem Wasser, durch ihre warme mit dem Feuer verwandt. Dergestalt verknüpfte er die Gegensätze miteinander durch einige Stoffe in der Mitte; diese halten sich selbst und die Grundstoffe, die verbunden werden, zusammen. Das Band von solcher Art ist ausgezeichnet. Jeden einzelnen dieser Grundstoffe verknüpfte es durch die eine Eigenschaft mit dem vorhergehenden, durch die andre mit dem folgenden Grundstoff. Zum Beispiel ist das Wasser kalt und feucht. Nun hängt es durch seine Kälte mit der Erde zusammen, die durch ihren Aufstieg vor dem Wasser bestand. Durch die Feuchtigkeit steht sie mit der Luft in Zusammenhang, die später da war. Aehnlich verbindet sich auch die Luft durch die Feuchtigkeit mit dem Wasser, das vor der Luft vorhanden war. Durch die Wärme steht sie mit dem Feuer in Verbindung, das nach der Luft kam. Auch das Feuer hängt durch die Wärme mit der Luft zusammen, die vor dem Feuer bestand: Durch seine Trockenheit steht das Feuer in Zusammenhang mit der Erde durch seine Umbiegung und Wendung auf die Spitze hin. So hängt auch die Erde durch die Kälte mit dem Wasser, durch die Trockenheit mit dem Feuer infolge Umbiegung zusammen. Damit die Grundstoffe nicht allein im Verhältnis des Auf- und Abstiegs, sondern auch in dem S. 44 der Kreisbewegung zueinander stehen, so bog und bezog der Schöpfer auf eine Art ihre Spitzen zueinander. Ich denke hier an die Grundstoffe: Feuer und Erde. Wenn z. B. das Feuer nur die Wärme abwirft, wird es zu Erde. Das zeigt sich an den Blitzen. Wenn nämlich das Feuer herabstürzt und aus dem überhitzten Zustand in einen kühlen übergeht, so wird es zu Stein. Deshalb stürmt jeder Blitz mit Stein und Schwefel dahin. Der Schwefel ist gleichwie erkaltetes Feuer nicht mehr in Wirklichkeit warm, sondern nur nach der Anlage; aber auch trocken ist er in Wirklichkeit. Bloß die Grundstoffe besitzen die Eigenschaften in Wirklichkeit. Alle übrigen Stoffe haben, wenn sie sich nicht zu einem Grundstoff gesellen, die Eigenschaften nur der Anlage nach. Damit die Grundstoffe und ihre Mischungen niemals untergehen, traf der Schöpfer weise Anordnungen in dieser Richtung: die Grundstoffe sollten sich gegenseitig in sich und in ihre Mischungen verändern, andrerseits sollten sich die Zusammensetzungen in ihre Grundstoffe wieder auflösen.
So bleiben tatsächlich die Grundstoffe dauernd erhalten, die sich aus einer beständigen Wechselerzeugung bilden. Erde wird z. B., wenn sie verschlammt ist, zu Wasser. Wenn Wasser sich verdichtet und verschlammt hat, so entsteht Erde. Erwärmt und verdampft Wasser, so wird es zu Luft. Gepreßte und dichte Luft ergibt Wasser. Trockene Luft verwandelt sich in Feuer. So wird aber auch das Feuer nach seinem Erlöschen und der Preisgabe der Trockenheit zu Luft. Luft ist ja Verlöschen des Feuers und Dampf erhitzten Wassers. Aus beiden Naturvorgängen ergibt sich demnach klar: aus Wärme entsteht Luft. Denn das Wasser wird nach seiner Erwärmung ebenso wie das Feuer nach seinem Erlöschen zu Luft. Demnach ist die Luft ihrer eigenen Natur gemäß warm. Kalt wird sie durch ihre Nachbarschaft mit dem Wasser und der Erde. Die unteren Teile der Luft, die nahe der Erde liegen, sind kalt; warm dagegen ihre oberen Teile, die dem Feuer zugekehrt sind. Das geschieht wegen der Weichheit und der leichten Empfindlichkeit der Luft. Schnell verläßt und verändert sie ja ihre eigene Natur. Aristoteles behauptet: es gibt zwei Arten der Luft; die eine ist dampfartig und kommt aus der Ausdünstung des Wassers; die andre ist rauchartig und entstammt dem Verlöschen des Feuers. Die rauchartige ist warm; die dampfartige ist am Ort ihrer Erzeugung an sich warm; doch erkaltet sie nach und nach beim Weiterziehen, und bei beständigem Fortgang verwandelt sie sich zu Wasser. Aristoteles nahm eine doppelte Natur der Luft an, um verschiedenen andren törichten Ansichten zu entgehen, sowie mit Rücksicht darauf, daß die höheren und von der Erde weit entfernten Gebiete kälter scheinen. Aus der Vereinigung dieser vier Grundstoffe entstehen eben alle Körper, die der Pflanzen S. 45 und der Tiere; dabei zieht die Natur die reinsten Grundstoffe zur Schaffung dieser Körper heran.
Aristoteles nennt diese Körper natürliche Körper. Sie bilden sich nicht durch Anhäufung. Vielmehr mischen sie sich alle vollständig zu einer Einheit und formen dadurch den Körper zu einer Einheit, der ihnen gegenüber von andrer Art ist. So sind nämlich die Körper vereinigt, daß man sie nicht zu trennen vermag; auch kann man nicht gesondert die Erde, nicht gesondert das Wasser, die Luft und das Feuer betrachten; denn es hat sich aus dem Zusammenschluß der vier Grundstoffe ein einziger Körper entwickelt, der gegenüber diesen Grundstoffen von andrer Art ist; derselbe Vorgang begegnet z. B. bei der Vierkräutermischung. Da ist eben auch die Vierkräutermischung von andrer Art gegenüber den Stoffen, woraus sie zusammengesetzt ist. Doch liegt der Fall hier etwas anders. Die Grundstoffe bilden ja nicht durch Hinzufügen der kleinsten Teilchen, wie es bei der Vierkräutermischung geschieht, die Körper, sondern durch Veränderung und Vereinigung. Andrerseits lösen sich die Körper bei ihrer Vernichtung wieder in die Grundstoffe auf. So bleiben sämtliche Grundstoffe dauernd erhalten; sie reichen zur Erzeugung der Geschöpfe hin, ohne sich jemals zu vermehren oder zu verringern. Deswegen bemerkt Aristoteles: die Entstehung eines Dinges bedeutet den Untergang eines andern, das Verschwinden eines Dinges enthält die Entstehung eines andern; das gilt nicht nur bei der Seele, wie schon oben ausgeführt ist, sondern auch beim Körper.
Platon vertritt die Meinung: die drei Gründstoffe verwandeln sich ineinander; die Erde bleibt jedoch unverändert. Er vergleicht dabei die festen Bestandteile der geradlinigen Figuren mit jedem einzelnen Grundstoff. Mit der Erde vergleicht er den Würfel, da er die unbeweglichste der übrigen Figuren ist. Mit dem Wasser vergleicht er das Ikosaeder, das sich am schwersten unter den übrigen Figuren bewegen läßt. Die Pyramide, die bewegbarste Figur, vergleicht er mit dem Feuer. Mit der Luft vergleicht er das Oktaeder, das sich leichter als Wasser, aber schwerer als Feuer bewegen läßt. Auf Grund dieser Figuren führt Platon den Beweis für die Annahme: die drei Grundstoffe verwandeln sich ineinander; die Erde hingegen ist dafür unempfänglich. Die drei Figuren z. B.: die Pyramide, das Oktaeder und das Ikosaeder bestehen aus ungleichseitigen Dreiecken; der Würfel jedoch besteht ans gleichseitigen Dreiecken. Mithin können sich alle Figuren, die aus den ungleichseitigen Dreiecken zusammengesetzt sind, auflösen, wieder vereinigen und ineinander verwandeln. Der Würfel vermag sich nach seiner Auflösung nicht in eine der drei anderen Figuren zu verwandeln; besteht er doch aus gleichseitigen Dreiecken, aus denen sich keine der drei anderen Figuren zusammensetzen läßt. Auch keine der drei Figuren kann sich ihrerseits in einen S. 46 Würfel verwandeln. Demnach müssen sich auch die Körper, die nach diesen Figuren gestaltet sind, so zueinander verhalten, wie es die genannten Figuren tun. Was die Erde anbelangt, so verharrt sie wahrlich nicht in Unempfindlichkeit; sie wird vielmehr von den Körpern zerteilt, die aus kleineren Teilen bestehen; sie löst sich wieder in ihre Grundstoffe auf; doch verwandelt sie sich auch nicht in die Körper, die sie aufteilen. Denn die Erde schließt sich wieder in sich zusammen und stellt sich wieder her; dieser Vorgang ist .im Wasser sichtbar. Wenn man z. B. ein wenig Erde ins Wasser wirft und es durcheinanderrührt, löst sich die Erde in Wasser auf. Hört man mit Rühren auf, dann setzt sich die Erde, wenn das Wasser zur Ruhe gekommen ist. In gleicher Weise muß man es auch von der ganzen Erde annehmen. Das ist keine Verwandlung, sondern eine Auflösung der Mischungen.
Platon behauptet: die Erde läßt sich auch von der Schärfe des Feuers auflösen. Nach ihrer Auflösung bewegt sie sich im Feuer oder in der Luftmasse, das heißt: nur dann, wenn die Luft die Erde aufgelockert hat, oder im Wasser, wenn die Erde davon aufgelöst ist. Mit einer andren Einteilung erklärt er: jeder einzelne Grundstoff besitzt drei Eigenschaften. Das Feuer enthält Schärfe, Dünnheit und Bewegung. Der andre äußerste Grundstoff, das heißt: die Erde, hat die Eigenschaften, die den eben genannten entgegengesetzt sind: Stumpfheit, Dichtigkeit und Ruhe; nach diesen Eigenschaften sind folglich das Feuer und die Erde entgegengesetzt; das war bei den anderen Eigenschaften, die untereinander vereinigt sind, nicht möglich. Von den beiden äußersten Grundstoffen wurden die Eigenschaften hergenommen; so sind die mittleren Grundstoffe entstanden. Vom Feuer werden z. B. zwei Eigenschaften entlehnt: die Dünnheit und die Bewegung; von der Erde bloß eine einzige: die Stumpfheit. Daraus setzt sich die Luft zusammen, die nur drei formbildende Eigenschaften hat: Stumpfheit, Dünnheit und Bewegung. Ferner werden zwei Eigenschaften von der Erde genommen: Stumpfheit und Dichtigkeit; vom Feuer indes nur eine: die Bewegung. Dadurch entsteht das Wasser, das seinerseits durch Stumpfheit, Dichtigkeit und Bewegung seine Form erhält. Wie also Schärfe zu Stumpfheit, so verhält sich Feuer zu Luft. Wie Dünnheit zu Dichtigkeit, so verhält sich Luft zu Wasser. Wie Bewegung zu Ruhe, so verhält sich Wasser zu Erde. Folglich verhält sich wie Feuer zu Luft, so Luft zu Wasser. Wie Luft zu Wasser, so verhält sich Wasser zu Erde. Denn die flachen Körper werden naturgemäß von einem einzigen Mittel, das heißt: von der Analogie, die festen Körper von zwei Mitteln zusammengehalten. Gelehrte jedoch drücken es anders aus: die Grundstoffe haben Eigenschaften; so besitzen z. B. die Erde und das Wasser Schwere, mit der sie von Natur in die Tiefe streben; die Luft und das Feuer haben S. 47 Leichtigkeit, womit sie sich von Natur in die Höhe bewegen. Die Stoiker lehren: die einen Grundstoffe sind handelnd, die andren leidend. Handelnd sind Luft und Feuer; leidend sind Erde und Wasser.
Aristoteles führt noch einen fünften Körper ein, der sich im Aether und in Kreisform bewegt. Er will den Himmel nicht aus den vier Grundstoffen entstanden sein lassen. Er nennt den fünften Körper „in kreisförmiger Bewegung", weil er sich im Kreis um die Erde dreht. Platon erklärt dagegen mit beredter Sprache: der Himmel besteht aus Feuer und Erde. Er äußert sich folgendermaßen: „Körperhaft, sichtbar und greifbar muß das Gewordene sein; aber ohne Feuer kann nie etwas sichtbar werden. Es kann auch nichts Greifbares ohne etwas Festes geben. Etwas Festes besteht ferner nicht ohne Erde. Als Gott den Körper des Weltalls zusammenzufügen begann, schuf er ihn deshalb aus Feuer und Erde. Aber zwei Dinge allein lassen sich unmöglich ohne ein drittes schön zusammenstellen. Ein Band muß in der Mitte zwischen beiden liegen, das sie vereint. Der Bänder schönstes ist das gewiß, das sich selbst sowie die verbundenen Dinge zu einer möglichst engen Einheit verknüpft. Das leistet freilich von Natur aus hervorragend die Analogie." Unter „Band" versteht Platon die zwei mittleren Grundstoffe, die aus der oben genannten Analogie genommen sind. Die Verteidiger der hebräischen Lehren sind über den Himmel und die Erde verschiedener Meinung. Fast alle andern Forscher lehren: der Himmel und die Erde sind aus keinem Stoff entstanden, der schon vorher zugrunde lag. Denn Moses spricht: „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde". Apollinaris vertritt die Ansicht: Gott hat den Himmel und die Erde aus der Hölle erschaffen. Moses hatte freilich bei der Erschaffung der Welt nicht die Hölle erwähnt, da sie schon bestanden hatte. Im Buche Job heißt es: „Der die Hölle erschaffen hat". Apollinarios läßt mithin aus ihr gleichwie aus einem Stoff die ganze übrige Welt entstanden sein; die Hölle ist nicht ungeschaffen; vielmehr ist sie erschaffen worden vor allen Dingen körperlicher Art; der Schöpfer richtete sie schon vorher zur Grundlage sämtlicher anderen Dinge her. Auch der Name der Hölle enthüllt die Unbegrenztheit des Stoffs. Aber das ist ohne Bedeutung, mag auch die Sache liegen wie sie will. So zeigt sich ja in der Tat Gott als Gott und Schöpfer aller Dinge, der aus nichts alles erschaffen hat. Gegen die Vertreter der Auffassung: es gibt nur einen einzigen Grundstoff, das Feuer, die Luft oder das Wasser, werden die Worte des Hippokrates genügen: „Wäre der Mensch das einzige Wesen, dann empfände er niemals Schmerz. Es gäbe auch keinen Anlaß, wodurch er als einziger Mensch Schmerz empfinden sollte. Empfände er Schmerz, so wäre der Mensch das einzige Wesen, das ihn heilte. Denn was Schmerz empfinden soll, muß sich mit Empfindung verändern. Gäbe es S. 48 indessen nur einen einzigen Grundstoff, so könnte er sich in nichts verändern. Wenn er sich nicht verwandelte, sondern bei sich selbst beharrte, so empfände er keinen Schmerz, auch wenn er sinnbegabt wäre. Aber auch das sinnlich Leidende muß von einem andern leiden. Gäbe es freilich nur einen einzigen Grundstoff, so fände sich neben der des einzigen Grundstoffs keine zweite Eigenschaft, durch die der Mensch zu leiden hätte. Wie sollte er da Schmerz empfinden, wenn er sich nicht verändern und leiden könnte?" Im Anschluß an den Nachweis der Unmöglichkeit dieses Gedankens fügt er noch als Zugeständnis bei: „Empfände er aber auch Schmerz, so wäre er das einzige Wesen, das heilen könnte. Nun ist er freilich nicht das einzige Wesen, das heilt; sondern es gibt viele Wesen. Also ist der Mensch nicht das einzige Wesen."
Aber auch vor allem aus dem Umstand ergibt sich die Vierzahl der Grundstoffe, womit die Denker jeder für sich ihre eigene Lehrmeinung aufzubauen versuchen. Thales z. B. bezeichnet nur das Wasser als Grundstoff; damit versucht er den Beweis der Abstammung der übrigen drei Grundstoffe von diesem (dem Wasser); die Grundlage des Wassers ist die Erde; der dünnere Teil des Wassers ist die Luft; das Feuer ist noch dünner als die Luft. Anaximenes nennt nur die Luft einen Grundstoff; auch er versucht ähnlich den Nachweis der Herleitung der übrigen Grundstoffe aus der Luft. Herakleitos und Hippasos von Metapont haben das Feuer als Grundstoff bezeichnet und dabei diese gleichen Beweisgründe benutzt. Also auch diese Philosophen erklären das Feuer für die Mutter der übrigen Grundstoffe; von den andren Denkern entscheidet sich der eine für das Wasser, der zweite für die Luft; daraus wird bewiesen, daß sich alle Grundstoffe ineinander verwandeln, so müssen sie alle Grundstoffe sein. Welchen der vier Grundstoffe man auch nehmen mag, man wird finden: auch dieser stammt von einem andern. Der Körper dient als Organ der Seele; er wird zugleich durch die seelischen Kräfte in Teile getrennt. Ist er doch für diese Kräfte als nützlich und geeignet geschaffen worden, damit keine Kraft der Seele vom Körper gehindert wird. Jeder einzelnen seelischen Kraft sind zur Tätigkeit eigene Körperteile zugewiesen worden; das wird die Schrift im weiteren Verlauf erweisen. Die Seele hat die Rolle eines Künstlers. Der Körper nimmt die Stelle eines Werkzeugs ein. Stoff heißt das, worum sich die Handlung bemüht. Die Ausführung ist die Handlung an sich. Zum Beispiel: gewissermassen als Stoff liegt die Frau zugrunde. Denn mit ihr gibt sich die Handlung ab. Die Handlung ist Ehebruch, Unzucht oder Ehe. — Die seelischen Vermögen indes zerfallen in das Vorstellungsvermögen, in die Denkkraft und in das Gedächtnis.
