Kapitel 37: Die Vertreter dieser Lehre (vom Schicksal, das die Sterne bestimmen)
In unsrer Macht liegt die Wahl der Handlungen, dagegen ruht die Erfüllung der Wünsche in des Schicksals Hand. Die Gelehrten, die behaupten: die Wahl der Handlungen liegt in unsrer Macht, die Erfüllung der Wünsche hingegen in der Hand des Schicksals, (es sind übrigens die gelehrtesten Griechen) haben teils Recht, teils irren sie sich. Damit haben sie vollkommen Recht, daß sie nur die Wahlen der Handlungen in unsre Macht legen, dagegen überhaupt nicht auch die Erfüllung. Nicht richtig handeln sie, wenn sie diese Erfüllungen mit dem Schicksal verknüpfen. Man wird sie zunächst damit widerlegen, daß sie das Schicksal als unvollkommen hinstellen, wenn es das eine Ding besitzt, aber nicht das andre; ferner damit, daß sie das Schicksal als Begleiterscheinung unsres Denkens annehmen. Sie versichern ja: die Werke des Schicksals folgen diesem unsrem Denken. So wird man finden: das Schicksal wird eher von uns bewegt, als daß es uns bewegt, der Mensch ist mächtiger als das Schicksal, weil er es durch seine Wahl formt. Man muß vielmehr die Vorsehung als Ursache der Erfüllung der Handlung bezeichnen. Diese Vollendung ist eher ein Werk der Vorsehung als des Schicksals. Es ist ja der Vorsehung eigen, jedem einzelnen das zuzuweisen, was ihm nützlich ist. Deswegen wird die S. 96 Erfüllung der Wünsche bald nützlich sein, bald nicht. Ist das Schicksal eine ununterbrochene Ursachenreihe (denn so erklären es die Stoiker), d. h.: eine unveränderliche Ordnung und Verknüpfung, so führt es die Abschlüsse der Handlungen nicht zum Nutzen jedes einzelnen, sondern mit seiner eigenen Bewegung und nach seinem Zwang herbei. Was soll man von den ganz kindischen, stumpfsinnigen und deshalb vorsatzlosen Menschen sagen? Sind sie dem Schicksal nach solche Menschen oder nicht? Sind sie es nicht dem Schicksal nach, so werden sie nicht unter die Macht des Schicksals fallen. Sind sie dagegen dem Schicksal nach solche Menschen, so folgt unbedingt: auch der Vorsatz liegt nicht in unsrer Macht. Wenn der vorsatzlose Mensch dem Schicksal unterworfen ist, so muß auch der Mensch mit Vorsätzen ihm unterliegen. So kommen sie (die Stoiker) auf die ersten zurück, die behaupten: alles ist dem Schicksal gemäß. Ueberflüssig ist auch der Kampf zwischen der Vernunft und der Begierde bei dem Enthaltsamen und dem Unenthaltsamen. Denn wenn es zwangsweise bestimmt ist, daß der eine handle, der andre nicht, wozu ist da die Aufregung und der Streit im Menschen nötig? Aber hiermit ist zugleich auch durch das Schicksal nicht bloß das Handeln, sondern auch das bestimmte Handeln verknüpft. Was sagt der denn, der diese Lehre vertritt, andres als dies: auch der Vorsatz zählt zu den Werken des Schicksals? Der Vorsatz kämpft z. B. mit der Begierde, trägt bei den Enthaltsamen den Sieg davon, während er bei den Unenthaltsamen unterliegt. Daher ist die im Anfang mitgeteilte Ansicht der Gelehrten beseitigt, denn der Vorsatz liegt nicht mehr in unsrer Macht.
