Kapitel 3: Die Vereinigung der Seele mit dem Leib
Es ist zu untersuchen, wie sich die Vereinigung der Seele mit dem unbeseelten Leib vollzieht. Der Gegenstand ist ja zweifelhaft. Besteht der Mensch nicht nur aus diesen beiden Teilen, sondern auch noch aus dem Verstand, wie manche annehmen, so wird die Frage noch weit verwickelter. Wenn der Mensch neben diesen Teilen noch etwas Anderes ist, wie einige behaupten, so gibt es keine Lösung dieser Zweifel. Alle Dinge, die sich zur Bildung einer einzigen Wesenheit vereinigen, werden vollkommen zu einer Einheit verbunden. Alle Dinge, die zu einer Einheit zusammengeschlossen sind, verändern sich; sie bleiben nicht das, was sie früher waren: eine Tatsache, die beim Abschnitt über „Die Grundstoffe" ihren Nachweis finden wird. Sind doch diese Grundstoffe nach ihrer Verbindung zu einer Einheit etwas Anderes geworden. Wie bleibt da der Leib nach seiner Vereinigung mit der Seele noch Leib? Andererseits: wie vereinigt sich die Seele, die körperlos ist und eine Wesenheit für sich bildet, mit dem Leibe? S. 36 Wie wird sie ein Teil des Menschen, während sie ihr eigenes Wesen ungetrübt und unzerstörbar erhält? Die Seele und der Leib müssen wie die Grundstoffe sich zu einer Einheit verbunden, zusammen verändert haben und beide zugleich zugrunde gegangen sein; oder sie dürfen sich wegen der vorhin genannten widersinnigen Begleiterscheinungen nicht zu einer Einheit verbunden haben, sie müssen vielmehr wie Tänzer im Reigen oder wie ein Stimmstein neben dem andern nebeneinanderstehen; oder sie müssen sich wie Wein und Wasser gemischt haben. Aber im Abschnitt über„Die Seele" ist bewiesen worden: die Seele kann nicht neben dem Leibe ruhen. Dann wäre ja gerade nur der Teil des Leibes beseelt, der sich in der Nähe der Seele befindet. Was mit ihr nicht verbunden ist, wäre unbeseelt. Ueberdies kann man nicht behaupten: die Dinge die sich durch Zusatz eines Stückes zu einem anderen gebildet haben, sind eine Einheit, wie beispielshalber Holzstücke, Eisen oder etwas Aehnliches. Die Mischung des Weines mit dem Wasser verdirbt zugleich beide Stoffe (Wein und Wasser). Das Ergebnis der Mischung ist eben kein reines Wasser und kein Wein. Zwar entsteht eine derartige Mischung durch Zusatz, aber diese Beifügung wird wegen der zarten Feinheit der gemischten Stoffe von der Sinnesempfindung nicht wahrgenommen. Das ersieht man deutlich daraus: die gemischten Stoffe lassen sich wieder voneinander sondern; z. B. zieht ein ölgetränkter Schwamm und eine Papyrusstaude das Wasser rein an. Aber es ist ganz unmöglich, die Stoffe, die sich gründlich zu einer Einheit verbunden haben, sinnlich wahrnehmbar zu trennen. Sind die Stoffe nicht zu einer Einheit verbunden, nicht nebeneinander gelagert, nicht miteinander gemischt, wo gibt es da den Grund, das Lebewesen als Einheit zu bezeichnen?
Platon ist auch wegen dieses Bedenkens nicht geneigt, den Menschen aus Leib und Seele bestehen zu lassen; die Seele macht vielmehr vom Leib Gebrauch und ist sozusagen in ihn eingehüllt. Auch diese Ansicht enthält eine Unklarheit. Wie vermag denn die Seele mit der Umhüllung eine Einheit zu sein? Bildet doch das Gewand mit dem bedeckten Menschen keine Einheit. Ammonios, der Lehrer Plotins, versuchte eine Lösung der Frage auf folgende Weise. Er führte aus: die übersinnlichen Wesen besitzen eine Natur von folgender Art: sie vereinigen sich auch mit den Stoffen, die ebenso zur Aufnahme dieser übersinnlichen Wesen wie solcher Dinge fähig sind, die bei der Vermischung ihre eigene Natur aufgegeben haben; vereinigen sich die übersinnlichen Wesen mit den Stoffen, so bleiben sie ungemischt und unzerstörbar wie die Dinge, die beigefügt worden sind. An den Körpern bewirkt die Vereinigung vollkommen eine Veränderung der Teile, die sich verbinden; denn diese Dinge verwandeln sich ja in andere Körper, z. B. die Grundstoffe in die Körper, die sich aus den Grundstoffen zusammengesetzt haben; fermer verwandeln sich die Speisen in Blut; das Blut in Fleisch und in S. 37 die übrigen Teile des Leibes. Bei den übersinnlichen Wesen ist eine Vereinigung möglich, aber es folgt keine Veränderung. Das übersinnliche Wesen ist ja von Natur aus nicht dazu geschaffen, sich in seiner Wesenheit zu verändern. Vielmehr: das übersinnliche Wesen entzieht sich der Vereinigung, oder es zergeht ins Nichts, einer Veränderung ist es nicht fähig. Nun zergeht es freilich nicht ins Nichts; andernfalls wäre es ja nicht unvergänglich. Auch die Seele, die Leben darstellt, müßte eine Veränderung erleiden, wenn sie sich bei der Mischung veränderte; die Seele wäre außerdem kein Leben mehr. Was nützte sie dem Leibe, wenn sie ihm nicht das Leben gewährte? Mithin ändert sich die Seele nicht bei der Vereinigung. Das ist also bewiesen: die übersinnlichen Wesen sind in ihrer Wesenheit unveränderlich; hieraus folgt gleichzeitig unbedingt: die übersinnlichen Wesen selbst gehen bei ihrer Vereinigung nicht mit den Stoffen zusammen zugrunde, mit denen sie sich vereinigt haben. Daher ist die Seele mit dem Leib vereinigt, und zwar ohne Vermischung vereinigt. Ihre Vereinigung mit ihm tut das Mitgefühl kund. Denn der ganze Mensch hat, da er eine Einheit ist, mit sich selber Mitgefühl. Daß die Seele unvermischt bleibt, erkennt man noch aus folgendem: die Seele trennt sich gewissermaßen vom Leibe beim Schlaf; sie läßt ihn wie einen Leichnam liegen; sie atmet ihm nur das Leben ein, damit er nicht ganz sterbe; sie betätigt sich von selbst in den Träumen, sie verkündet die Zukunft und nähert sich den übersinnlichen Wesen. Derselbe Zustand tritt auch dann ein, wenn die Seele bei sich selbst über ein Wesen der übersinnlichen Welt nachdenkt. Dann trennt sie sich soweit wie möglich vom Leibe, sie steht für sich, um auf diese Weise an die Dinge der Wirklichkeit heranzutreten. Weil sie körperlos ist, geht sie durch alles hindurch, gleichwie es die Stoffe tun, die bei der Vermischung ihre eigene Natur aufgegeben haben; sie bleibt unzerstörbar wie die unvermischten Stoffe; sie bewahrt ihre eigene Einheit, all die Stoffe, in denen sie einmal war, verwendet sie zum eigenen Lebensgebrauch; sie läßt sich nicht von den Stoffen lenken.
Wie die Sonne durch ihre Gegenwart die Luft in Licht verwandelt und sie lichthaft macht, wie sich ferner das Licht zugleich unvermischt und gemischt mit der Luft vereinigt, genau so bleibt auch die Seele bei ihrer Vereinigung mit dem Leib ganz unvermischt. Nur in dieser Hinsicht unterscheidet sich die Seele: die Sonne ist ein Körper und örtlich umgrenzt; daher ist sie nicht überall dort, wo auch ihr Licht strahlt, ebensowenig wie das Feuer; denn dieses bleibt in den Holzstücken oder im Docht gleichsam an einer Stelle festgebunden. Die Seele hingegen ist körperlos und örtlich unbegrenzt; sie dringt als ein Ganzes durch alles: durch ihr eigenes Licht und den Leib, sie beleuchtet keinen Teil, in dem sie nicht vollständig zugegen ist. Sie läßt sich nicht vom Leibe meistern, sondern sie selbst beherrscht den S. 38 Leib. Sie ruht auch nicht im Leib wie in einem Gefäß oder einem Schlauch; vielmehr: der Leib befindet sich in ihr. Werden die übersinnlichen Wesen von den Körpern nicht gehemmt, nehmen sie im Gegenteil ihren Weg durch jeden Köper; gehen sie hindurch und dringen sie heraus, so vermag sie keine körperliche Stelle festzuhalten. Was eben übersinnlich ist, weilt auch an übersinnlichen Orten; entweder ruhen die übersinnlichen Wesen in sich selbst oder in den Grundlagen übersinnlicher Art. So befindet sich die Seele bald in sich selbst, wenn sie vermittelt denkt, bald im Verstande, wenn sie unvermittelt denkt. Behauptet man: die Seele ist im Leib, so bedeutet das nicht: sie befindet sich im Leib wie an einem Ort, sondern: sie steht wie in einer Beziehung und sie ist darin vermöge ihrer Gegenwart, so wie man von Gott sagt: er wohnt in uns. Wir drücken uns so aus: die Seele ist durch die Beziehung, durch die Neigung zu einer Sache und durch die Stimmung vom Leib gefesselt; ebenso äußern wir uns: der Liebhaber ist von seiner Geliebten nicht körperlich, auch nicht örtlich, sondern nur durch eine Beziehung gefesselt. Die Seele ist ja ein Wesen ohne Größe, sie ist keine Masse, sie ist ungeteilt; sie ist demnach der örtlichen Umgrenzung überlegen und entrückt. Durch was für einen Ort kann man denn das ungeteilte Wesen umschließen? Ein Ort besteht nur in Verbindung mit einer Masse. Ein Ort ist die Grenze der Umschliessung, mit dieser Grenze faßt die Umschliessung das Umschlossene ein. Sagt man: „Also ist meine Seele in Alexandreia, in Rom, ja überall", so nennt man, ohne es zu wissen, doch wieder einen Ort. Bezeichnet doch „in Alexandreia" und allgemein „an dieser Stelle" einen Ort. Die Seele ist dagegen überhaupt nicht an einem Ort, sondern sie steht bloß in Beziehung. Es ist gezeigt worden: die Seele kann nicht durch einen Ort umgrenzt sein.
Wenn sich das übersinnliche Wesen in Beziehung zu einem Ort oder zu einem örtlich bestimmten Gegenstand befindet, so sagen wir schon mehr in uneigentlichem Sinne: das übersinnliche Wesen ist dort, wegen seiner dortigen Tätigkeit; dabei nehmen wir den Ort für die Beziehung und die Tätigkeit. Obwohl man sagen müßte: dort ist das übersinnliche Wesen tätig, drücken wir uns nur so aus: dort ist es. Diese letztere Bezeichnung wird wohl klarer sein und namentlich zur Vereinigung des Wortes Gottes mit den Menschen passen; gemäß dieser Verbindung vereinigte sich das Wort, aber es blieb unvermischt und unberührt, nicht in der Weise wie die Seele. Gehört diese doch zu den Wesen, die aus vielfachen Teilen bestehen; sie hat offenbar irgendwie wegen einer eigentümlichen Veranlagung mit dem Leibe ein Mitgefühl; sie herrscht zuweilen und läßt sich beherrschen. Aber das Wort Gottes selbst wird in keiner Weise von der Gemeinschaft des Leibes und der Seele verändert; es hat auch keinen Anteil an der Schwäche S. 39 dieser zwei Teile im Gegenteil gibt es ihnen etwas von seiner eigenen Göttlichkeit mit; es gestaltet sich mit ihnen zu einer Einheit; es verharrt in der Eigenschaft, worin es schon vor seiner Vereinigung war; diese Art der Vermischung oder Vereinigung ist ziemlich neu. Das Wort Gottes mischt sich und bleibt dabei ganz ungemischt und unvermengt, unzerstörbar und unveränderlich, es leidet nicht mit, sondern es handelt bloß mit, es geht nicht mit zugrunde, es verändert sich nicht mit, sondern es vergrößert zugleich die zwei Teile (Leib und Seele), selber wird es von ihnen nicht verringert; denn zu dem Umstand, daß es unverwandelt und unvermischt bleibt, kommt noch dies: es bleibt ganz frei von jeder Veränderung. Dafür ist Pörphyrios Zeuge; er wandte sich in persönlichen Auslassungen gegen Christus. Von mächtiger Bedeutung sind die Zeugnisse der Gegner für uns, Zeugnisse, die sich in keiner Weise widerlegen lassen. Dieser Porphyrios schreibt also im zweiten Buche seiner „Gemischten Untersuchungen" wörtlich folgendermassen: „Es ist demnach nicht zu verkennen: eine Wesenheit kann zur Vollendung einer anderen Wesenheit herangezogen werden; sie kann Teil einer Wesenheit sein, diese Wesenheit besteht kraft ihrer eigenen Natur; hierauf füllt sie eine andere Wesenheit aus und wird zusammen mit einem anderen Ding zu einer Einheit, dabei bewahrt sie ihre eigene Einheit. Das Wichtigere ist dies: die Wesenheit selbst wandelt sich nicht, dagegen wendet sie alle die Stoffe, in denen sie sich befindet, durch ihre Gegenwart zu ihrer eigenen Wirksamkeit." Das sagt er von der Vereinigung der Seele und des Leibes.
Wenn die Lehre von der Seele wegen ihrer Körperlosigkeit die Wahrheit trifft, dann gilt sie noch viel mehr vom Wort Gottes; denn dies ist noch unvermischter und wahrhaft körperlos. Gerade dieser Umstand stopft den Leuten den Mund, die die Vereinigung Gottes mit dem Menschen anzuklagen versuchen. Darüber machen sich die meisten Griechen ja lustig, indem sie behaupten: es ist unmöglich, unglaubwürdig und unpassend, daß sich die Gottheit mit einer sterblichen Natur mischt und vereinigt. Aber wir ziehen ihre berühmten Vertreter als Zeugen heran und beseitigen den Vorwurf. Einige von ihnen, besonders die Anhänger des Eunomios, erklären: das Wort Gottes hat sich mit dem Leibe vereinigt, nicht seinem Wesen nach, sondern nur mit den Kräften beider Teile (des Leibes und der Seele); nicht die Wesenheiten haben sich vereinigt oder vermischt, sondern die Kräfte des Leibes sind eine Mischung mit den göttlichen Kräften eingegangen. Als Kräfte des Leibes, natürlich überhaupt nur des werktätigen, bezeichnen die Eunomianer mit Aristoteles die Sinne. Nach ihrer Ansicht mischten sich mit den Sinnen die göttlichen Kräfte und vollzogen mit ihnen die Vereinigung. Aber ich glaube: niemand wird ihnen beistimmen, wenn sie die Sinne als körperliche Kräfte hinstellen. In den früheren Ausführungen ist klar S. 40 auseinandergesetzt worden, welche Eigentümlichkeiten der Leib, die Seele, zuletzt beide zusammen haben. Zu den Eigentümlichkeiten beider Teile zusammen rechneten wir die Wahrnehmungen durch Sinneswerkzeuge. Wir erklärten ferner: die Sinneswerkzeuge selbst gehören zum Leib. Wie bereits früher bemerkt worden ist, wäre es besser, wenn die Vereinigung der Wesenheiten entsprechend der eigenen Natur der körperlosen Wesen ohne Mischung erfolgte; so erleidet dann die göttlichere Natur von der bedürftigeren keinen Schaden; andererseits hat diese bedürftigere nur Vorteil von der göttlicheren Natur. Denn die rein körperlose Natur dringt ungehindert durch alle Stoffe, aber nichts durch diese Natur selbst. Daher vollzieht sie die Vereinigung, weil sie selbst durch alle Stoffe geht. Aber weil nichts durch sie dringt, bleibt sie ungemischt und unverwirrt. Der Wesenszug der Vereinigung hängt nicht von Gottes freiem Willen ab, wie einige unter den angesehenen Forschern annehmen, sondern die Natur ist ihr Grund. Daß Gottes Wort einen Leib annahm, wird man mit Recht so erklären: es ist aus freiem Willen geschehen; daß Gott sich bei seiner Vereinigung (mit dem Leib) nicht vermischt, wird durch die eigene Natur Gottes, nicht durch seinen freien Willen bestimmt. Die Schritte der Seelen, ihre Auf- und Abstiege, die Origenes einführt, passen keineswegs zu den Lehren der Heiligen Schrift; sie stimmen auch nicht mit den Glaubenssätzen der Christen überein; die Ansichten des Origenes sind also beiseite zu lassen.
