Kapitel 28: Das Atmen
S. 79 Auch das Atmen gehört unter die seelischen Tätigkeiten. Es sind die Muskeln, die den Brustkörper, das eigentümlichste Atmungswerkzeug, auseinanderhalten. Das häufige und stöhnende Atmen bei den tiefen Betrübnissen zeigt seine seelische Tätigkeit. In unserer Macht liegt es ferner, das Atmen je nach dem Bedürfnis zu ändern. Empfinden wir z. B. an einem Teil der Atmungswerkzeuge oder der Glieder, die sich zusammen mit ihnen bewegen, Schmerz, z. B. am Zwerchfell, an der Leber, an der Milz, am Unterleib, an den zarten Eingeweiden oder am Grimmdarm, so atmen wir in kurzen und häufigen Zügen. In kurzen Zügen atmen wir, um das schmerzende Glied nicht zu heftig zu erschüttern; in häufigen Zügen atmen wir, damit die Häufigkeit das ausgleiche, was an der Stärke der Züge fehlt. Jedesmal wenn wir am Schenkel Schmerzen haben, strecken wir ihn beim Gehen aus demselben Grund nur wenig aus, weswegen wir auch das Atmen kurz ausführen. Wie demnach das Gehen eine seelische Tätigkeit ist, so läßt sich das auch vom Atmen behaupten. Indes wenn wir ruhen und nicht gehen, können wir sehr lange leben. Aber das Atmen vermögen wir auch nicht den zehnten Teil einer Stunde auszusetzen. Wenn nämlich die Wärme in uns vom Ruß erstickt wird, so erlischt sie und führt dadurch sofort den Tod herbei. Deckt man z. B. eine Flamme in einem Gefäße zu, das keinen Luftdurchzug hat, so erstickt man sie durch den Rauch und löscht sie aus. Aus diesem zwingenden Grunde ist somit die Seele auch während unseres Schlafes ebensosehr an diesem Körperteile (dem Atmungswerkzeug) tätig; weiß sie doch: der Mensch geht zugrunde, wenn sie sich nur ganz kurze Zeit um ihn nicht kümmert. Wieder verband sich also hier die seelische mit der natürlichen Tätigkeit. Durch eine Arterie nimmt die Seele die Tätigkeit des Atmens vor: durch ein natürliches, sich stets bewegendes Werkzeug, damit die Arbeit dieser Arterie wie auch die der übrigen Arterien niemals aufhört. Das begriffen einige nicht und hielten daher das Atmen für eine natürliche Tätigkeit. Es gibt drei Grundbestandteile des Atmens: Gebrauch, Vermögen und Werkzeuge. Der Gebrauch ist zweifach: die erste Aufgabe ist die Bewahrung der angeborenen Wärme, die zweite ist die Pflege des seelischen Lufthauchs. Die Bewahrung der natürlichen Wärme geschieht nun freilich durch das Ein- und Ausatmen; das Einatmen erkältet und facht die Wärme maßvoll an. Das Ausatmen bläst den Rauch des Herzens hinaus. Die Pflege des seelischen Lufthauchs geschieht nur durch das Atmen. Ein Teil der Luft wird durch die Ausdehnungen des Herzens zum Herzen hinbefördert. S. 80 Das Atmen ist eine Kraft, die seelischer Natur ist. Sie bewegt die Atmungswerkzeuge durch die Muskeln, und zwar zuerst den Brustkorb, Mit diesem bewegt sich zugleich die Lunge und die rauhen Arterien, die ein Teil der Lunge sind. Der knorpelartige Stoff der rauhen Arterien (der Luftröhre) dient als Werkzeug der Stimme. Die hautartigen Bänder der Arterie dienen dem Atmen. Der Körperteil, der aus diesen beiden Dingen (dem knorpelartigen Stoff und den hautartigen Bändern) besteht: nämlich die Arterie selbst, ist zugleich Werkzeug der Stimme und des Atmens. Die Lunge ist ein Gewebe, aus vier Teilen zusammengesetzt: aus der rauhen und aus der glatten Arterie, aus einer Ader und dem schwammigen Fleisch der Lunge selbst; dieses Fleisch füllt wie eine Füllung die Zwischenräume des Gewebes der zwei Arterien und der Ader aus; daher dient dieses Fleisch zum Sitz und Bindemittel dieser Arterien und der Ader. Das Fleisch der Lunge verkocht natürlicherweise die Luft, wie die Leber den Saft aus dem Magen verkocht. Die Leber umschließt mit den Enden ihrer eigenen Leberlappen den Unterleib, der Wärme braucht; ebenso umschließt daher auch die Lunge das Herz in der Mitte, das die Kühlung durch das Atmen benötigt. Mit der rauhen Arterie hängt die Kehle fortlaufend zusammen; diese besteht aus drei großen Knorpelstücken. Mit der Kehle steht die Luftröhre im Zusammenhang, ferner der Mund und die Nase. Durch beide ziehen wir von außen die Luft ein; sie geht von hier durch einen sieb- oder schwammartigen Knochen; dieser ist durchlöchert, damit das Gehirn von den ungewöhnlichen Eigenschaften der Luft keinen Schaden leide, wenn die Luft als dichte Masse ins Gehirn dringt. Auch hier verwandte der Schöpfer die Nase zugleich zum Atemholen und zum Riechen, ebenso wie er die Zunge zum Sprechen, Schmecken und Zerkauen gebrauchte. Diese hauptsächlichsten Körperteile sind zum Dasein an sich wie zu den nötigen Lebensbedürfnissen gleichzeitig den Seelenvermögen zugewiesen worden. Auch wenn ein Teil unberücksichtigt geblieben ist, so wird man ihn leicht aus dem bereits Gesagten erkennen können. Von allen Dingen, die entstanden, sind die einen um ihrer selbst willen, die andern um ihrer selbst sowie um andrer willen, die nächsten bloß um andrer willen, die letzten nur zufällig nebenbei entstanden: so wird man auch bei den Teilen des Menschen dieselbe Reihenfolge finden.
Alle eben genannten Werkzeuge der drei Grundkräfte, die den Menschen lenken, sind um ihrer selbst willen geschaffen worden. Diese Werkzeuge sind in bevorzugtem Maße und an erster Stelle hergestellt worden, die schon ihrer Natur nach die besondre Bezeichnung als Werkzeuge verdienen; außerdem entwickeln sie sich im Mutterleib aus demselben Samen wie auch die Knochen. Die gelbe Galle ist um ihrer selbst und um eines anderen Zweckes willen eingesetzt worden. Sie trägt beispielshalber zur Verdauung S. 81 bei, sie bringt die Ausscheidung in Fluß, wegen dieser beiden Beziehungen wird sie gewissermaßen ein Teil der Ernährungskräfte; ja noch mehr: sie spendet dem Leib eine Menge Wärme in der Art wie die belebende Kraft. Aus diesen Gründen ist die Galle wohl um ihrer selbst willen entstanden; dadurch, daß sie das Blut reinigt, ist sie wohl etwa um eines andren Zweckes willen geschaffen worden. Auch die Milz leistet keinen geringen Beitrag zur Verdauung. Sie ist säuerlich und herb in ihrem Wesen, sie ergießt die Absonderung des überflüßigen schwarzen Saftes in den Magen, zieht diesen zusammen, spannt und reizt ihn zu den Verdauungstätigkeiten. Die Milz reinigt außerdem auch die Leber. Daher ist wohl etwa die Milz um des Blutes willen erschaffen worden. Die Nieren sind das Blutreinigungsmittel und verursachen das Begehren nach dem Geschlechtsverkehr. Die Adern, die, wie schon gesagt, in die Hoden münden, gehen durch die Nieren; von dort schöpfen sie etwas bittre Schärfe, die den Trieb reizt, und zwar ebenso, wie die Schärfe unter der Haut das Jucken erzeugt. Je zarter das Hodenfleisch als die Haut ist, desto mehr werden die Hoden von der Schärfe gebissen, sie treiben dadurch das Verlangen, den Samen auszugießen, bis zur Raserei. Diese und die verwandten Körperteile sind gleichsam um ihrer selbst und um andrer Dinge willen geschaffen worden. Die Drüsen und das Fleisch sind nur wegen andrer Zwecke da. Die Drüsen z. B. dienen als Halte- und Stützpunkt der Gefäße, damit diese Gefäße nicht zerreißen, wenn sie bei den gewaltsamen Bewegungen in die Höhe geworfen werden. Das Fleisch ist als Bedeckungsmittel der übrigen Teile geschaffen: im Sommer soll es den Menschen abkühlen, indem es von innen her Feuchtigkeit aussendet; im Winter soll es den Körperteilen den Nutzen der Filzwolle bieten. Die Haut ist als Bedeckungsmittel des zarten Fleisches sowie sämtlicher andren Innenteile geschaffen. Die Haut ist ihrem Wesen nach Fleisch, das von der Luft ringsum und von den zuwandernden Körpern zur Schwiele umgewandelt wird. Die Knochen dienen als Stützen des ganzen Leibes, besonder das Rückgrat, das, wie man sagt, auch als Grundlage des Menschen gilt.
Die Nägel bieten im allgemeinen ihren Besitzern einen Nutzen: nämlich sich damit zu kratzen; neben diesem allgemeinen dann einen besondern Nutzen, der für den einen so, für den andern wieder verschieden ist. Vielen Tieren wurden die Nägel als Verteidigungsmittel gegeben, z.B. den Tieren mit den krummen Klauen. Die Nägel sind sozusagen ein Werkzeug des zornigen Vermögens. Für viele Tiere dienen sie zugleich als Verteidigungsmittel und als Stütze beim Gehen, z. B. den Pferden und jedem Einhufer. Den Menschen dienen die Nägel nicht nur zum Kratzen und zum Vertreiben der juckenden Schärfe auf der Haut, sondern auch zum Erfassen der kleinen Gegenstände. Die ganz kleinen S. 82 Dinge heben wir durch die Nägel in die Höhe. Wenn sich die Nägel ganz oben an den Fingerspitzen gegenübertreten, so unterstützen sie dadurch das Festhalten der Dinge. Die Haare haben sich zufälligerweise mit gebildet. Wenn die Dämpfe mit sehr starkem Rauch aus dem Körper dringen und eine gewisse Festigkeit annehmen, so bilden sich zufälligerweise die Haare. Auch diese brachte der Schöpfer als nicht ganz unnütz hervor; vielmehr ließ er sie trotz ihrer zufälligen Entstehung zur Bedeckung und zum Schmuck für die Lebewesen nützlich sein: zur Bedeckung dienen die Haare für Ziege und Schafe, zum Schmuck für die Menschen; für gewisse Tiere, z. B. für den Löwen, dienen sie gleichzeitig zum Schmuck und zur Bedeckung.
