Kapitel 2: Die Seele.
S. 18 Die Lehre von der Seele ist fast bei allen Denkern des Altertums verschieden. So bezeichnen z. B. Demokrit, Epikur und die gesamte Schule der Stoiker die Seele als Körper. Gerade diese wieder, die die Seele als Körper kennzeichnen, unterscheiden sich in Bezug auf das Wesen der Seele. Die Stoiker erklären sie als warme und feurige Luft. Kritias hält sie für Blut. Der Philosoph Hippon betrachtet sie als Wasser. Demokrit sieht sie als Feuer an; wenn die kugelförmigen Gestalten der Atome, Feuer und Luft, sich mischen, so bilden sie die Seele. Heraklit vertritt die Ansicht: die Seele des Weltalls ist Ausdünstung aus den feuchten Stoffen; die Seele in den Lebewesen bildet sich teils von der Ausdünstung der Außenwelt, teils von der Ausdünstung, die sich in den Lebewesen selbst entwickelt; diese Seele ist gleichartig der Weltseele. Ferner ist die Meinungsverschiedenheit auch unter denen endlos, die die Seele körperlos sein lassen: die einen bezeichnen sie als Wesenheit und unsterblich, die andern nur als körperlos, nicht als Wesenheit, auch nicht als unsterblich. Thales nannte als erster die Seele ewig und selbstbewegt. Pythagoras verstand darunter eine Zahl, die sich selbst bewegt. Platon nahm sie als Wesenheit, die denkbar ist und sich von selbst nach einem passenden Maß bewegt. Aristoteles betrachtete sie als erste Wirksamkeit eines natürlichen Körpers, der mit Organen versehen ist und Anlage zum Leben besitzt. Dikaearch sah in ihr die Harmonie der vier Grundstoffe, das heißt: Mischung und Zusammenklang der Grundstoffe. Er will damit nicht die Harmonie bezeichnen, die sich aus den Tönen zusammensetzt, sondern nur die passende Mischung und den Zusammenklang der warmen und kalten, der feuchten und trockenen Stoffe im Körper. Es ist klar: die einen unter diesen Philosophen nennen die Seele Wesenheit; Aristoteles jedoch und Dikaearch bezeichnen sie als wesenlos. Außerdem haben noch die einen Denker nur eine und dieselbe Seele für sämtliche Wesen angenommen; diese zerteilt sich in die Einzelwesen und zieht sich wieder in sich zusammen. So haben die Manchäer und einige andere gelehrt. Die zweite Gruppe hat den Bestand vieler artverschiedener Seelen verfochten. Die letzte Gruppe hat an eine einzige wie auch an viele Seelen geglaubt.
Man muß also die Darstellung unbedingt ausführlich gestalten, wenn man so vielen Ansichten zu widersprechen hat. Im allgemeinen werden die Bemerkungen des Ammonios, des Lehrers Plotins, und des Pythagoreers Numenios gegenüber allen genügen, die die Seele als Körper bezeichnen. Sie lauten folgendermaßen: Die Körper sind infolge ihrer eigenen Natur veränderlich, breiten sich aus und lassen sich ganz und gar bis ins Endlose teilen; S. 19 dabei bleibt in ihnen nichts unverändert zurück. Sie brauchen daher ein Wesen, das sie zusammensetzt, fest zusammenfügt, gleichsam zusammenschnürt und zusammenhält; dieses Wesen nennen wir Seele. Ist somit die Seele irgend ein Körper wenn auch der zartesten Art, was hält da wieder die Seele zusammen? Es wurde gezeigt: jeder Körper braucht das Wesen, das ihn zusammenhält; so geht es ins Endlose fort, bis wir auf ein körperloses Wesen stoßen. Wenn Leute bemerken, wie z. B. die Stoiker: es gibt eine gespannte Bewegung in den Körpern, die gleichzeitig nach innen und nach außen strebt; die Bewegung nach außen bewirkt Größen und Eigenschaften; die Bewegung nach innen schafft Vereinigung und Wesenheit; dann muß man diese Leute fragen: da jede Bewegung von einer Kraft ausgeht, welches ist denn diese Kraft? und worin wurzelt ihre Wesenheit? Ist diese Kraft ein Stoff, so müssen wir wieder dieselben Gründe verwenden. Ist sie kein Stoff, sondern aus Stoff hergestellt (etwas Andres ist das aus Stoff Hergestellte gegenüber dem Stoff; denn das, was am Stoff Anteil hat, heißt aus Stoff hergestellt), was ist denn das überhaupt, was am Stoff Anteil hat: Stoff selbst oder stofflos ? Ist es Stoff, wieso ist es dann aus Stoff hergestellt und nicht Stoff ? Ist es kein Stoff, so ist es also stofflos; wenn stofflos, dann ist es kein Körper. Jeder Körper ist eben aus Stoff hergestellt. Wenn die Stoiker behaupten: die Körper sind dreidimensional; die Seele, die den ganzen Körper durchdringt, ist dreidimensional, deshalb ist sie jedenfalls auch ein Körper; so müssen wir erwidern: jeder Körper ist dreidimensional, aber nicht alles; was dreidimensional ist, stellt einen Körper dar. So erlangen z. B. die Größe und die Beschaffenheit, an sich körperlose Eigenschaften, nur unwesentlich an einem Stoff ihre Größe. So kommt es daher auch der Seele an sich zu, ohne Dimensionen zu sein. Aber andrerseits wird auch die Seele selbst zufälligerweise als dreidimensional zusammen mit dem dreidimensionalen Körper erkannt, in dem sie sich befindet. Ueberdies empfängt jeder Körper von außen oder von innen Bewegung! Wird er von außen bewegt, so muß er unbeseelt sein; falls er sich von innen bewegt, ist er beseelt. Ist die Seele ein Körper, erhält sie ihre Bewegung dazu noch von außen, dann ist sie unbeseelt. Bewegt sie sich von innen, so ist sie beseelt. Aber es ist töricht, die Unbeseeltheit wie die Beseeltheit zugleich von der Seele zu behaupten. Somit ist die Seele kein Körper. Zudem wird die Seele von einem körperlosen Wesen genährt, wenn sie sieh nährt. Die Wissenschaften z. B. bilden ihre Nahrung. Kein Körper jedoch wird von einem körperlosen Wesen genährt. Somit ist die Seele kern Körper. Xenokrates schloß folgendermaßen: wird die Seele nicht genährt, bezieht dagegen jeder Körper eines Lebewesens Nahrung, so ist die Seele kein Körper. S. 20 Diese Ausführungen mögen allgemein gegen alle gelten, die die Seele als Körper bezeichnen; im besonderen gegen die Leute, die die Ansicht vertreten, die Seele sei Blut oder Luft; denn nach dem Ausscheiden des Blutes oder der Luft stirbt das Lebewesen. Man darf das nicht behaupten, was einige Verfechter der Meinung, die Seele sei ein Teil von Blut oder Luft, geschrieben haben; sie erklärten: sooft ein Teil des Blutes ausfloß, entströmte ein Teil der Seele. Diese Bemerkung ist ja leeres Geschwätz. Bei den Körpern z. B., die aus gleichen Teilen bestehen, ist der Rest ebenso beschaffen wie das Ganze. So ist Wasser, das viele wie das wenige, das gleiche Wasser. Aehnlich verhält es sich mit Silber, Gold und allen Dingen, deren Teile nach ihrem Wesen voneinander nicht verschieden sind. So ist demnach auch das übrigbleibende Blut in jeder Menge schon Seele, wenn das Blut die Seele darstellt. Man kann noch weiter gehen und muß dann diese Behauptung aufstellen: ist das Blut die Seele, nach dessen Entfernung das Lebewesen stirbt, so sind jedenfalls auch der Schleim und die beiden Gallen Seele. Denn der Verlust eines dieser Teile führt für das Lebewesen den Tod herbei. Das gilt ferner für die Leber, das Gehirn, das Herz, den Magen, die Nieren, die Eingeweide und manche andren Körperteile. Welchen von diesen Teilen hat man herausgenommen, ohne daß das Lebewesen zu sterben braucht? Außerdem gibt es viele Tiere, die kein Blut, wohl aber eine Seele haben; z.B.: die Knorpelfische und Wassertiere; dahin gehören Tintenfische, Kalmare und Meerpolybe, kurz: alle Schaltiere und solche mit zarter Haut, z. B. die Meerkrabben, Krebse und Hummer. Haben diese Tiere eine Seele, aber kein Blut, so folgt klar daraus: die Seele ist kein Blut. Mancherlei Einwände sprechen gegen die Aufstellungen der Leute, die sich dahin äußern: die Seele ist Wasser, weil das Wasser offensichtlich alles mit Leben erfüllt; ohne Wasser kann man nicht leben. Beispielsweise kann man auch ohne Speise nicht leben. Folglich müßte man nach ihrer Meinung sogar alle Speisen, eine nach der andern, als Seele ansprechen. Dann gibt es noch zahlreiche Tiere, die nicht trinken; das hat man z. B. an einigen Adlern erforscht. Auch ein Rebhuhn vermag zu leben, ohne zu trinken. Weshalb gilt mehr das Wasser als Seele? weshalb nicht die Luft? Auf Wasser kann man ja sehr lange verzichten, aber das Atmen darf man nicht einmal den geringsten Augenblick unterlassen. Doch auch die Luft ist nicht die Seele. So gibt es viele Tiere, die sich, ohne zu atmen, am Leben erhalten; z.B. alle Insekten; darunter befinden sich Bienen, Wespen, Ameisen, die blutlosen Tiere, die meisten Meertiere, kurz: alle Tiere, die keine Lunge haben. Denn kein Lebewesen atmet ohne Lunge. Der Satz bedeutet umgekehrt: kein Lebewesen besitzt eine Lunge, ohne damit zu atmen.
Auch vom Stoiker Kleanthes und von Chrysipp sind einige S. 21 Sätze im Umlauf, die man nicht verachten darf. Wir müssen daher auch dazu die Auflösungen auseinandersetzen, wie sie die Platoniker gaben. Kleanthes bildet folgenden Schluß; er sagt: nicht nur dem Leibe, sondern auch der Seele nach gleichen wir den Eltern in den Leidenschaften, im Charakter und in den Anlagen. Die Aehnlichkeit und die Verschiedenheit bezieht sich auf den Körper, nicht auf den körperlosen Teil des Menschen. Also ist die Seele ein Körper. Aber erstens : man schließt nicht von den Teilen aufs Ganze. Zweitens: auch das ist ein Irrtum, zu behaupten, nicht auf den körperlosen Teil erstrecke sich die Aehnlichkeit und die Verschiedenheit, Wir sagen z. B.: Zahlen sind ähnlich, deren Seiten entsprechend sind, z. B. die Zahl „sechs" und „vierundzwanzig". Denn eine Seite der Zahl „sechs" ist „zwei" und „drei". Eine Seite der Zahl „vierundzwanzig" ist „vier" und „sechs". Jn einem entsprechenden Verhältnis steht „zwei" zu „vier", „drei" zu „sechs". Man sieht die Zahlen verdoppelt. „Vier" ist das Doppelte von „zwei", „sechs" das Doppelte von „drei". Doch sind die Zahlen körperlos. Figuren gleichen all den Figuren, die die Winkel gleich groß haben und entsprechend die Seiten an den gleichen Winkeln. Kleanthes selbst sowie Chrysipp geben die Figur als körperlos zu. Dazu kommt noch dies: wie der Größe die Gleichheit und Ungleichheit eigentümlich ist, so gehören zur Beschaffenheit die Aehnlichkeit und Unähnlichkeit eigentümlich. Die Beschaffenheit ist etwas Körperloses. Folglich gleicht ein körperloses Wesen einem andern. Kleanthes äußert sich weiter so: kein körperloses Wesen leidet mit einem Körper, zugleich: ebenso leidet auch kein Körper mit einem körperlosen Wesen, dagegen Körper mit Körper. Die Seele leidet zusammen mit dem Körper, wenn er krank ist und geschnitten wird; ebenso leidet der körper mit der Seele; wenn sie sich schämt, wird er rot ; fürchtet sie sich, so erbleicht er. Somit ist die Seele ein Körper. Der eine der beiden Vordersätze ist ein Irrtum, der in einem Zusatz folgendes aussagt: kein körperloses Wesen leidet zugleich mit dem Körper. Was soll man dazu sagen, wenn das nur für die Seele gilt? Es ist gerade so, wie wenn jemand sagte: kein Tier bewegt den oberen Kinnbacken; das Krokodil bewegt den oberen Kinnbacken. Also ist das Krokodil kein Tier. Auch hier ist der Vordersatz falsch, der in einem Zusatz bemerkt: Kein Tier bewegt den oberen Kinnbacken. Nun ist freilich das Krokodil ein Tier und bewegt den oberen Kinnbacken.
Ebenso muß man gegen Kleanthes vorgehen, wenn er behauptet: kein körperloses Wesen leidet gleichzeitig mit einem Körper. Er leugnet zugleich, was erst noch zu untersuchen ist. Angenommen, der Satz sei richtig: kein körperloses Wesen leidet gleichzeitig mit einem Körper; so kann man doch den Zusatz nicht anerkennen: die Seele leidet zugleich mit dem Körper, wenn er krank ist und geschnitten wird. Darüber herrscht eben noch der S. 22 Streit: empfindet der Körper allein den Schmerz, nachdem er von der Seele das Gefühl erhalten hat, während sie selber unempfindlich bleibt, oder erleidet auch sie zugleich mit dem Körper Schmerz? Die erste Auffassung findet bei den berühmteren Philosophen. mehr Beifall. Man darf jedoch nicht aus den strittigen Ansichten, sondern nur aus den anerkannten Sätzen die Schlüsse ziehen. Außerdem wird noch das bewiesen: auch einige körperlose Erscheinungen leiden gleichzeitig mit den Körpern. So leiden z. B. die Eigenschaften, die körperlos sind, ebenfalls beim Leiden der Körper; sie ändern sich beim Vergehen und Entstehen zugleich mit dem Körper. Chrysipp erklärt: der Tod ist die Trennung der Seele vom Körper. Nichts Körperloses trennt sich von einem Körper; es haftet auch nichts Körperloses an einem Körper. Nun haftet die Seele am Körper und trennt sich von ihm. Somit ist die Seele ein Körper. Von diesen Sätzen ist der eine wahr: der Tod ist Trennung der Seele vom Leibe. Falsch ist der andre Satz, wenn man ihn allgemein faßt: etwas Körperloses haftet nicht am Körper; von der Seele gesagt, ist er richtig. Falsch ist freilich dieser andere Satz, denn auch die Linie, die körperlos ist, haftet an einem Körper und wird von ihm entfernt. Aehnlich verhält es sich noch mit der weißen Farbe. Bezüglich der Seele stimmt der Satz. Die Seele haftet ja nicht am Körper. Haftet sie an ihm, so ist sie ihm offenbar beigesellt. Trifft dies zu, dann ist sie ihm doch nicht in seiner Gesamtheit beigegeben. Es ist eben unmöglich, daß sich ein ganzer Körper zu einem ganzen Körper hinzufügt. Infolgedessen wird auch nicht das ganze Lebewesen beseelt sein. Daher wird die Seele zwar ein Körper sein, wenn sie an ihm haftet, aber nicht das ganze Lebewesen wird beseelt sein. Ist das Lebewesen ganz beseelt, so haftet die Seele nicht am Körper, die Seele ist auch kein Körper. Nun ist das ganze Lebewesen beseelt. Mithin haftet die Seele nicht am Körper, sie ist auch kein Körper, sie trennt sich von ihm, da sie körperlos ist. Daß die Seele kein Körper ist, ersieht man aus diesen Ausführungen; daß sie auch nicht wesenlos ist, muß im folgenden dargetan werden. Dikaearch erklärte die Seele als Harmonie; auch Simmias bezeichnete im Gegensatz zu Sokrates die Seele als Harmonie; er sagte: die Seele gleicht einer Harmonie, der Leib einer Leier. Daher sind die in Platons „Phaidon" stehenden Widerlegungen dieser Ansichten auseinanderzusetzen. Die eine Widerlegung entstammt den Beweisen, die Platon bereits oben geliefert hat. Vorher ist ja schon nachgewiesen worden, daß die Kenntnisse Wiedererinnerungen sind.
Indem Platon diesen Satz als allgemein anerkannt annimmt, gestaltet er folgendermaßen den Beweis: Wenn die Kenntnisse Wiedererinnerungen sind, so war unsere Seele schon da, ehe sie in Menschengestalt zur Welt kam. Ist die Seele Harmonie, so war sie früher nicht; sie entstand erst später, als schon der S. 23 Körper zusammengesetzt war. Jede Zusammensetzung ist ebenso geartet wie die Bestandteile, aus denen sie sich gebildet hat. Die Zusammensetzung ist als Harmonie eine Gemeinschaft der Dinge, die zusammengestellt werden. Das ist kein Hindernis, daß die Zusammensetzung den Dingen, aus denen sie zusammengesetzt ist, nicht vorausgeht, sondern ihnen nachfolgt. Die Annahme der Seele als Harmonie steht also damit im Widerspruch, daß die Kenntnisse Wiedererinnerungen sind. Die Behauptung bezüglich der Wiedererinnerungen ist richtig; falsch ist die Ansicht Von der Seele als Harmonie. Zudem steht die Seele im Gegensatz zum Körper; sie nimmt die Stellung eines Führers ein, weil sie den Körper beherrscht. Aber die Harmonie hat keine Führerrolle, sie bildet auch kein Hindernis. Folglich ist die Seele keine Harmonie. Ferner ist eine Harmonie mehr oder weniger Harmonie als eine andre Harmonie infolge ihrer Lockerung und Spannung, nicht durch den Begriff der Harmonie. Es ist unmöglich, daß eine Vernunft mehr oder weniger vernünftig ist; vielmehr zeigt sich das Mehr oder Weniger bei der Zusammenfügung. Wenn man z. B. einen hellen und dann einen dunklen Ton miteinander gemischt erklingen läßt, so behalten sie dieselbe Bedeutung unter den Größen der Töne bei; aber bei der Zusammenfügung erleidet die Harmonie eine Veränderung, wenn sie mehr oder weniger angespannt ist, eine Seele ist nicht mehr oder weniger Seele als eine andre Seele; darum ist die Seele keine Harmonie. Außerdem: die Seele ist für Tugend wie für Laster empfänglich. Die Harmonie jedoch nimmt keine Harmonie und keine Unharmonie an. Somit ist die Seele keine Harmonie. Weiter: die Seele ist deshalb, weil sie die entgegengesetzten Eigenschaften wechselweise in sich aufnimmt, Wesenheit und Grundlage. Die Harmonie ist auch an einer Grundlage eine Eigenschaft. Die Wesenheit jedoch ist etwas Andres als Eigenschaft. Auch die Seele ist demnach etwas Andres als Harmonie. Es ist keineswegs töricht, daß die Seele Anteil an der Harmonie hat; aber deswegen ist sie keine Harmonie. Auch die Seele ist ja, weil sie an der Tugend Anteil hat, keine Tugend. Galen teilt keine Ansicht mit, er bezeugt vielmehr in seinem Werk „Vom Beweis", er habe nichts über die Seele geäußert. Doch neigt er, nach seinen Darlegungen zu schließen, mehr zu der Annahme, die Seele sei eine Mischung; von ihr hänge die Verschiedenheit der Sitten ab. Aus Hippokrates leitet er seine Ansicht ab. In diesem Falle hält Galen offenbar die Seele für sterblich, freilich nicht die ganze Seele, sondern bloß den vernunftlosen Teil der Menschenseele. Ueber die Vernunftseele ist er noch im Zweifel; er äußert sich folgendermaßen:
Daß die Mischung des Körpers nicht die Seele sein kann, ergibt sich klar hieraus: jeder beseelte wie unbeseelte Körper ist aus den vier Grundstoffen gemischt. Eben ihre Mischung bildet die Körper. Wenn also die Mischung des Körpers die Seele S. 24 darstellt, so kann es nichts Unbeseeltes geben. Der Schluß vollzieht sich in dieser Form: wenn die Mischung des Körpers Seele ist, jeder Körper eine Mischung enthält, so besitzt jeder Körper eine Seele. Hat jeder Körper eine Seele, dann ist kein Körper unbeseelt. Demzufolge wird kein Stein, kein Holz, kein Eisen, überhaupt kein Ding ohne Seele sein. Kann man nicht allgemein jede Mischung eines Körpers, sondern nur die bestimmte, als Seele bezeichnen, so muß man fragen: welches ist die Mischung, die ein Lebewesen gestaltet und die den Platz der Seele einnimmt? Man mag eine Mischung von welcher Art auch immer nennen, so werden wir sie auch bei den unbeseelten Dingen finden. Neun Mischungen gibt es, wie Galen selbst in dem Buch „Von den Mischungen" gezeigt hat: acht schlechte Mischungen und eine einzige gute; er behauptet: der Mensch ist nach der guten gemischt; freilich nicht jeder, sondern nur der Mensch der mittleren Mischung; nach den übrigen schlechten Mischungen sind die anderen Lebewesen entsprechend ihrer Art mit der mehr und minder starken Lockerung und Spannung gemischt. Auch in den unbeseelten Dingen finden sich die neun Mischungen mehr oder weniger; so bewies es wieder Galen selbst in seiner Schrift „Einfache Heilmittel". Dann: ist die Seele eine Mischung und ändern sich die Mischungen nach den Lebensaltern, Jahreszeiten und Lebensweisen, so ändert sich die Seele. Tritt die Veränderung ein, dann haben wir nicht dieselbe Seele, sondern der Mischung zufolge bald die Seele eines Löwen, bald die eines Schafes, bald die eines anderen Tieres: eine törichte Auffassung. Weiter: die Mischung bildet gegenüber den Begierden des Körpers kein Hindernis, ja sie arbeitet mit ihnen sogar zusammen; die Mischung ist es ja, die sie in Bewegung setzt. Die Seele hingegen verhält sich feindlich zu den Begierden. Folglich ist die Mischung keine Seele.
Außerdem: wenn die Seele eine Mischung, die Mischung eine Eigenschaft ist und wenn eine Eigenschaft hinzutritt oder verschwindet ohne Vernichtung der Grundlage, dann muß sich also auch die Seele ohne Vernichtung der Grundlage entfernen. Dieser Gedanke ist nicht richtig. Somit ist die Seele keine Mischung und keine Eigenschaft. Man wird gewiß nicht sagen: der eine von zwei Gegensätzen gehört von Natur aus zum Lebewesen, wie die Wärme zum Feuer. Das läßt sich nicht ändern. Dagegen verändert sich offensichtlich die Mischung, richtiger: die Aerzte selbst verändern die Mischungen. Sodann: die Eigenschaften jedes Körpers sind mit den Sinnen wahrnehmbar. Die Seele ist indes nicht mit den Sinnen, sondern mit dem Verstande wahrnehmbar. Daher ist die Seele keine Eigenschaft des Körpers. Ferner: die gute Mischung des Blutes und der Luft mit einem Zusatz von Fleisch, Nerven und den übrigen Teilen ist die Kraft. Die gute Mischung der Wärme, Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit ist die Gesundheit. Die passende Zusammensetzung der Glieder mit der schönen Farbe S. 25 schafft die Schönheit des Körpers. Wenn danach die Harmonie der Gesundheit, der Kraft und der Schönheit die Seele ist, so darf der Mensch im Leben nicht krank, schwach und häßlich sein. Es begegnet oft, daß nicht bloß eine, sondern diese drei guten Mischungen zugleich verloren gehen, während der Mensch am Leben bleibt. Kommt es doch vor, daß derselbe Mensch gleichzeitig häßlich, schwach und krank ist. Mithin ist die gute Mischung des Körpers nicht die Seele. In welcher Weise begleiten natürliche Laster und Tugenden die Menschen? Das ergibt sich in Wahrheit aus der Mischung des Körpers. Wie von Natur aus Leute infolge der Mischung gesund und krank sind, so sind manche von Natur mit bitterer Galle ausgestattet und daher jähzornig, andre furchtsam, andre sinnlicher Ausschweifung ergeben. Freilich beherrschen einige die Mischung und gewinnen über sie die Macht. Offenbar beherrschen sie die Mischung. Etwas Andres ist der beherrschende, etwas Andres der beherrschte Teil. Folglich ist die Mischung etwas Andres, auch die Seele ist etwas Andres. Der Körper als Werkzeug der Seele arbeitet, falls er passend gebaut ist, mit der Seele zusammen. Er ist auch an sich geeignet. Ist er nicht geeignet, so steht er ihr im Wege; dann hat die Seele viel Arbeit, indem sie sich gegen die Ungeeignetheit des Körpers wehrt. Sofern sich die Seele nicht sehr nüchtern zeigt, dreht auch sie sich zugleich mit dem Körper ins Gegenteil, wie ein Musiker gleichzeitig mit der Verdrehung der Leier Fehler macht, wenn er sie nicht vorher schön gestimmt hat. Deshalb muß auch die Seele den Körper mit Sorgfalt behandeln, um ihn für sich selbst zu einem geeigneten Werkzeug zurecht zu machen. Das schafft sie durch die Vernunft und die Sitten; wie bei der Harmonie, so verfährt sie hier, indem sie den Körper bald lockert, bald anspannt, um ihn passend für sich selber zu gestalten; sie wird ihn als geeignetes Werkzeug verwenden, wenn sie sich nicht selbst mit ihm zusammen aus der rechten Lage gedreht hat. Auch das kommt vor.
Aristoteles bezeichnet die Seele als Wirksamkeit; trotzdem stimmt er mit denen überein, die sie als Eigenschaft auffassen. Wir sollen zuvor klarmachen, was er Wirksamkeit nennt. Die Wesenheit nennt er in dreifachem Sinn: einmal ist sie wie ein Stoff Grundlage, die an sich nichts ist, dagegen die Kraft zur Entwicklung besitzt; zweitens ist sie Gestalt und Form, wonach der Stoff geformt wird; drittens ist sie beides zusammen: das Ergebnis aus dem Stoff und der Form, das außerdem beseelt ist. Der Stoff ist demnach ein Vermögen, die Form ist Wirksamkeit. Diese Form denkt man sich zweifach: einerseits als Wissenschaft, andrerseits als wissenschaftliches Beobachten; das heißt: teils als Zustand, teils als Wirksamkeit. Das lehrt die Wissenschaft, daß beim Dasein der Seele auch Schlaf und Wachen vorhanden sind. Das Wachen entspricht dem Beobachten und Tätigsein, S. 26 der Schlaf dem Sehen (Offenhalten der Augen) und Nichttätigsein. Die Wissenschaft geht der Wirksamkeit voraus. Deswegen nennt Aristoteles die Form erste Wirksamkeit, zweite Wirksamkeit die Tätigkeit. Zum Beispiel besteht ein Auge aus einer Grundlage und einer Form. Die Grundlage ist das Auge selbst; der Teil, der das Sehbild oder die Form aufnimmt, ist der Stoff des Auges. Auch dieser Stoff heißt mit gleichem Namen Auge. Form und erste Wirksamkeit des Auges ist der Gesichtssinn selbst; er verleiht dem.Auge die Fähigkeit zu sehen. Zweite Wirksamkeit des Auges ist die Tätigkeit, mit der es sieht: Das eben geborene Hündchen z. B. besitzt keine Wirksamkeit, dagegen die Fähigkeit zur Aufnahme der Wirksamkeit; ebenso muß man auch die Anlage der Seele auffassen. Wie dort (beim Hündchen) der erzeugte Gesichtssinn das Auge vollendet, so bringt hier die Seele nach ihrer Entstehung im Körper das Lebewesen zur Vollendung; infolgedessen ist die Seele nie ohne den Körper, der Körper nie ohne die Seele. Die Seele ist ja kein Körper, sie gehört nur zum Körper. Daher befindet sie sich im Körper und zwar in einem Körper von dieser Beschaffenheit. Von sich aus hat die Seele keinen Bestand.
Aber zunächst nennt Aristoteles den lebenspendenden Seelenteil Seele; er trennt von ihr den Vernunftteil. Doch hätte er zugleich die ganze Seele vom Menschen vornehmen müssen, nicht einen Teil davon und da noch den schwächsten; vom ganzen Menschen hätte er sprechen müssen. Er bemerkt sodann: der Körper hat vermöge seiner Anlage auch schon vor der Entstehung der Seele die Kraft zu leben. Er erklärt: der Körper hält nach seiner Anlage das Leben in sich selbst. Der Körper, der seiner Anlage entsprechend Leben besitzt, muß schon vorher der Wirklichkeit nach Körper sein. Ein Körper kann nicht in Wirklichkeit sein, ehe er die Form erhielt. Er ist eben eigenschaftsloser Stoff, kein Körper. Demnach ist es unmöglich, daß der nicht wirkliche Körper die Anlage dazu besitzt, daß sich etwas aus ihm entwickle. Gibt es auch einen Körper der Anlage nach, wie kann der potentielle Körper der Anlage nach Leben in sich selber haben? Uebrigens ist das bei den andern Dingen möglich: wer etwas besitzt, macht keinen Gebrauch davon; z. B. wer den Gesichtssinn hat, benutzt ihn nicht. Bei der Seele hingegen ist das unmöglich. Auch wer z. B. schläft, ist nicht ohne seelische Tätigkeit. Er bekommt Nahrung, er wächst, er gebraucht seine Vorstellungskraft, er atmet; besonders dies letztere ist ein Beweis für seine Lebenstätigkeit. Hieraus ersieht man klar: der Möglichkeit nach kann keinem Wesen das Leben zukommen, sondern überhaupt nur der Wirklichkeit nach: Was der Seele vorzüglich ihre Form verleiht, ist nichts Andres als das Leben. Mit der Seele ist das Leben verwachsen. Mit dem Körper ist es nur durch eine Art von Teilnahme verbunden. Wer somit behauptet: die Gesundheit entspricht dem Leben, meint nicht das S. 27 Leben der Seele, sondern das des Körpers; so begeht er einen Trugschluß. Die körperliche Wesenheit nimmt wechselweise die Gegensätze in sich auf. Die Wesenheit der Form läßt keinerlei Gegensätze zu. Aendert sich die Verschiedenheit der Form, so verändert sich auch das Lebewesen. Daher ist nicht die Wesenheit der Form, sondern nur die Wesenheit der Grundlage, das heißt: die körperliche Wesenheit, imstande, die Gegensätze aufzunehmen. So kann die Seele in keiner Weise Wirksamkeit des Körpers sein: sie ist eine in sich vollendete, körperlose Wesenheit. Sie nimmt wechselweise die Gegensätze in sich auf: Laster und Tugend. Das gerade konnte die Form nicht annehmen. Ferner versichert Aristoteles: die Seele als Wirksamkeit ist an sich unbewegt, sie bewegt sich nur zufällig. Es ist keineswegs töricht: die Seele, die unbewegt ist, bewegt uns. Die Schönheit, die unbewegt ist, bewegt uns. Freilich wenn das stimmt, so bewegt die Schönheit trotz ihrer Unbewegtheit. Doch nur das Ding, das sich von Natur aus bewegen läßt, übt Bewegung aus, nicht das unbewegte Ding.
Hätte sonach auch der Körper an sich Bewegung, dann wäre es durchaus nicht unsinnig, wenn er sich von einem unbewegten Ding bewegen ließe. Nun ist es unmöglich, daß das unbewegte Ding von einem anderen unbewegten Bewegung empfange. Woher kommt da dem Körper die Bewegung, wenn nicht von der Seele? Der Körper bewegt sich doch nicht von selbst. Während Aristoteles die Entstehung der Bewegung zeigen wollte, wies er nicht die erste, sondern die zweite Entstehung nach. Bewegte er nämlich das Ding, das sich nicht bewegt, so veranlaßte er die erste Bewegung. Wenn er das Ding, das sich von selbst bewegt, noch auf andere Weise bewegt, dann erklärt er die Entstehung der zweiten Bewegung. Woher kommt demnach dem Körper die erste Entstehung seiner Bewegung? Die Bemerkung ist falsch: die Grundstoffe bewegen sich von selbst, die einen sind von Natur leicht, die andren schwer. Wenn die Leichtigkeit und die Schwere Bewegung ist, so werden die leichten und die schweren Gegenstände niemals in feste Stellung kommen. Nun beziehen sie feste Stellung, wenn sie den ihnen zukommenden Platz einnehmen. Also sind Schwere und Leichtigkeit nicht die Ursachen der ersten Bewegung, sondern nur Eigenschaften der Grundstoffe. Aber auch das zugegeben: wie können das Denken, Vermuten und Urteilen Tätigkeiten der Leichtigkeit und der Schwere sein? Sind sie nicht Tätigkeiten dieser Leichtigkeit und der Schwere, dann sind sie auch keine Tätigkeiten der Grundstoffe; wenn nicht Tätigkeiten der Grundstoffe, so auch nicht Tätigkeiten der Körper. Sodann: wenn sich die Seele nur zufällig, der Körper jedoch von selbst bewegt, so wird der Körper auch in Abwesenheit der Seele sich von selbst bewegen. Ist das der Fall, dann wird auch ein Mensch ohne die Seele bestehen. Das ist jedoch widersinnig. Unsinn ist somit auch die Behauptung, die im Anfang ausgesprochen wurde. Aber auch diese Bemerkung S. 28 ist nicht richtig: alles, was sich von Natur aus bewegt, wird auch durch Gewalt in Bewegung gebracht; alles, was durch Gewalt bewegt wird, kommt auch von Natur aus in Bewegung. Die Welt zum Beispiel, die sich von Natur bewegt, erlangt nicht durch Gewalt ihre Bewegung. Tatsächlich ist es so: wenn sich ein Ding von Natur bewegt, dann steht dies nicht auch von Natur aus still. Die Welt, die Sonne und der Mond, die sich von Natur bewegen, können nicht von Natur aus stillstehen. In der gleichen Weise vermag auch die Seele, die von Natur aus in ewiger Bewegung ist, von Natur nicht stillzustehen. Denn der Stillstand bezeichnet den Tod der Seele wie jedes Wesens, das sich ewig bewegt. Außerdem bleibt die Frage, die im Anfang gestellt wurde, ungelöst: woher wird der Körper zusammengehalten, der seiner Natur nach zur Auflösung bestimmt ist? Diese Mitteilungen aus einer großen Fülle genügen zu dem Beweis: die Seele ist keine Wirksamkeit, sie ist nicht unbewegt, sie ist nicht in einem Körper entstanden.
Pythagoras hatte stets die Gewohnheit, in bildlicher Umschreibung Gott und überhaupt alle Dinge mit den Zahlen zu vergleichen; so erklärte er auch die Seele als eine Zahl, die sich selbst bewegt. Ihm schloß sich auch Xenokrates an; doch lehrte er nicht: die Seele ist eine Zahl, sondern: sie gehört zu den zählbaren Dingen und zu den Gegenständen, die sich um ein Vielfaches vermehrt haben; er lehrte zudem: die Seele unterscheidet die Dinge dadurch, daß sie ihnen einzeln Formen und Umrisse aufdrückt. Gerade die Seele ist es, die die Formen voneinander trennt und sie durch die Verschiedenheit der Formen wie durch die Menge der Zahl unterscheidet; deswegen macht sie die Dinge zählbar. Infolgedessen ist die Seele nicht vollständig aus der Verbindung mit den Zahlen ausgeschlossen. Xenokrates selbst bezeugte überdies die Selbstbewegung der Seele. Daß sie keine Zahl ist, ergibt sich aus folgendem klar: die Zahl gehört zur Kategorie der Größe; die Seele ist keine Größe, sondern eine Wesenheit; folglich ist die Seele keine Zahl; allerdings will man meistens die Zahl als Wesenheit unter den Gedankendingen auffassen; davon werden wir im folgenden sprechen. Ferner: die Seele ist zusammenhängend; die Zahl ist nicht zusammenhängend, mithin ist die Seele keine Zahl. Sodann: die Zahl ist entweder gerade oder ungerade; die Seele dagegen ist weder gerade noch ungerade; also ist die Seele keine Zahl. Weiter: die Zahl vergrößert sich durch einen Zusatz; die Seele vergrößert sich nicht durch einen Zusatz. Außerdem: die Seele bewegt sich von selbst; die Zahl, die begrenzt ist, bleibt unbewegt. Endlich: die Zähl bleibt nach ihrer Beschaffenheit eine und dieselbe, sie kann nicht einmal eine einzige Eigenschaft verändern, die sich an Zahlen befindet; die Seele bleibt nach ihrer Wesenheit eine und dieselbe; sie verändert ihre Eigenschaften, indem sie sich von der Unwissenheit S. 29 zum Wissen, von der Schlechtigkeit zur Tugend wendet. Somit ist die Seele keine Zahl.
Derart lauten die Lehrsätze der alten Philosophen über die Seele. Eunomios erklärte die Seele als unkörperliche Wesenheit, die im Körper erschaffen wird; darin stimmte er zugleich mit Platon und Aristoteles überein. Die eine Angabe: „körperlose Wesenheit" hat er nämlich aus Platon, die andere Bemerkung : „die im Körper erschaffen wird" aus der Schule des Aristoteles entnommen. Dabei sah Eunomios, der doch sonst so scharfsinnig ist, nicht ein, daß er sich bemühe, die Eigenschaften von unvereinbarer Natur in einem und demselben Begriff zu sammeln. Ist doch jedes Ding, das eine körperliche und eine zeitliche Entwicklung hat, vergänglich und sterblich. Mit dieser Ansicht steht auch die Auffassung des Moses im Einklang. Moses schilderte die Schöpfung aller sinnlich erfaßbaren Dinge; dabei erklärte er nicht bestimmt, daß in ihr auch die Natur der geistigen Wesen enthalten sei. Doch vermuten das einige und machen es zu ihrem Lehrsatz; aber nicht alle stimmen ihnen zu. Nimmt man an: die Seele wurde erst nach der Erschaffung des Körpers eingesetzt; folglich wurde sie nach dem Körper erschaffen, so irrt man von der Wahrheit ab. Moses behauptet ja gar nicht: die Seele wurde erst dann geschaffen, als sie in den Körper eingesetzt wurde. Das entspricht auch nicht der Vernunft. Daher soll man die Seele entweder sterblich nennen; so tat es Aristoteles, der von ihr sagte: sie wird im Körper erzeugt; so lehrten auch Stoiker; oder man soll sie als körperlose Wesenheit bezeichnen, und man verbiete die Behauptung: die Seele wird im Körper erschaffen — damit man uns keinen Gedanken an eine sterbliche und durchaus vernunftlose Seele zuführe. Uebrigens meint derselbe Moses: die Welt ist noch nicht voll ausgefüllt, vielmehr ist sie auch noch gegenwärtig erst in halbvollendetem Zustand und stets zuwachsbedürftig. So wachsen ihr jeden Tag mindestens fünfzigtausend geistige Wesen zu. Das ist das Schlimmste dabei: wenn die Welt ausgebaut ist, dann wird sie sich nach der Ansicht dtr^^Moses auflösen; die letzten Menschen, die zur Zeit der Auferstehung leben, machen die Zahl der Seelen voll. Was ist wohl törichter als die Bemerkung: die Welt geht erst dann zugrunde, wenn sie voll ausgefüllt ist? Das wäre ganz und gar die Art unmündiger Kinder, die die Sandgebäude ihrer Spieltätigkeit sogleich nach der Vollendung zusammenschütten. Nur solche, die keinen Unterschied zwischen Schöpfung und Vorsehung kennen, versichern: die Seelen entstehen jetzt nach dem Plan der Vorsehung, nicht nach dem der Schöpfung; es wird eben keine neue Wesenheit, auch keine andere neben der vorhandenen eingeführt, vielmehr vervielfältigt sich die vorhandene Wesenheit nach dem Willen der Vorsehung. Es ist das Werk der Vorsehung, durch gegenseitige Erzeugung die Wesenheit der vergänglichen Tiere S. 30 zu erhalten; ich meine damit die Wesenheit der Tiere, die nicht aus Fäulnis entstehen. Denn die Fortpflanzung dieser Tiere wird wieder durch eine andere Fäulnis gesichert. Der Schöpfung mächtigstes Werk ist die Erschaffung aus nichts.
Entspringen demnach die Seelen aus gegenseitiger Erzeugung, so werden sie nach dem Plan der Vorsehung geschaffen; sie sind vergänglich wie die übrigen Dinge, die aus der Fortpflanzung ihres Geschlechtes entstehen. Werden die Seelen jedoch aus nichts hervorgebracht, so ist das Ergebnis eine Schöpfung. Auch das Wort des Moses ist nicht wahr: „Gott ruhte aus von allen seinen Werken." Beide Ansichten haben keinen Sinn. Also entstehen die Seelen nicht jetzt. Auch Moses vertritt die Ansicht, das Wort: „mein Vater arbeitet" ist nicht von seiner Schöpfertätigkeit, sondern von seiner Vorsehung ausgesagt. Apollinarios dagegen glaubt: die Seelen werden von den Seelen erzeugt wie die Körper von den Körpern; die Seele geht mit Rücksicht auf die Nachfolgerschaft des ersten Menschen in alle über, die von ihm gezeugt wurden, gleichwie die Nachkommenschaft des Körpers. Apollinarios bemerkt: die Seelen werden nicht eingesetzt und jetzt auch nicht geschaffen; die Leute, die das behaupten, machen damit Gott zum Helfer der Ehebrecher; diese erzeugen ja Kinder; falsch ist auch das Wort: „Gott ließ ab von allen seinen Werken, deren Ausführung er begonnen hatte; trotzdem erschafft er auch jetzt noch Seelen." Jedoch wenn alle Wesen, die auf Grund der Nachkommenschaft infolge gegenseitiger Erzeugung geschaffen wurden, als sterblich erwiesen sind — eben deswegen geschieht Zeugung und Geburt, damit das Geschlecht der vergänglichen Wesen bestehen bleibt — so muß auch dieser Apollinarios gestehen: die Seele, die aus gegenseitiger Erzeugung entsteht, ist sterblich, oder: die Seelen werden nicht mit Rücksicht auf die Nachkommenschaft voneinander gezeugt. Die Frage bezüglich der Ehebruchskinder wollen wir der uns unbekannten Macht der Vorsehung überlassen. Muß man etwa auch die Vorsehung berücksichtigen, so weiß Apollinarios jedenfalls: das Kind wird entweder für das Leben oder für (?) selbst nützlich sein. Deshalb räumt er die Beseelung ein. Als hinreichenden Beweis dafür nehmen wir Salomon, die Frucht vom Weib des Urias und von David.
Im Anschluß daran wöllen wir auch die Ansicht der Manichäer prüfen, die sie von der Seele haben. Sie lehren: die Seele ist unsterblich und körperlos; es gibt nur eine Seele, die Seele des Weltalls, sie ist in Stücke geschnitten und in die einzelnen Körper verteilt, in unbeseelte wie beseelte; die einen Körper haben mehr, die andren weniger Anteil an ihr; mehrAnteil haben die beseelten Körper, geringeren die unbeseelten; weit größeren Anteil genießen die himmlischen Wesen; die Seelen der einzelnen Körper sind ja Teile der Weltseele. Behaupteten S. 31 die Manichäer: die Seele wird ungeteilt verteilt wie die Stimme unter denen, die sie hören, so wäre das Uebel mäßig. Nun lehren sie freilich: die Wesenheit der Seele an sich wird zerstückelt; der allerbedeutsamste Teil ihrer Lehre ist der: sie lassen die Seele hauptsächlich in den Grundstoffen vorhanden sein; zusammen mit diesen wird sie bei der Entstehung der Körper in Teile geschieden; sie kehrt gesammelt wieder an die gleiche Stelle zurück, wenn sich die Körper auflösen; z. B. sammelt und mischt sich wieder Wasser, das man trennt; die reinen Seelen gehen zum Licht, da sie Licht sind; die vom Stoff befleckten Seelen gehen in die Grundstoffe, weiter von den Grundstoffen in die Pflanzen und die Tiere. So zerschneiden die Manichäer die Wesenheit der Seele; sie bezeichnen sie als körperlich, lassen sie von Leiden heimgesucht werden und nennen sie unsterblich. Die Manichäer verfallen aber auch auf die entgegengesetzten Ansichten. Denn während sie behaupten: die befleckten Seelen kehren zu den Grundstoffen zurück und mischen sich gegenseitig, versichern sie andrerseits: die Seelen erleiden bei ihren Körperwanderungen nach der Größe ihrer Vergehen Strafe; hierbei verbinden sie die Seelen, sie trennen sie wieder in ihrer Wesensanlage; die Schatten z. B. trennen sich beim Strahl des Lichtes; sie vereinigen sich, wenn sich der Himmel wölkt und Nacht eintritt. Das ist an einer geistigen Natur unmöglich. Zu den sinnlich greifbaren Dingen gehören eben die Schatten, mag man auch einräumen, daß sie sich trennen und wieder vereinigen.
Platon erklärt: es gibt eine einzige und außerdem viele Seelen; die eine Seele ist die des Weltalls; andere Seelen gehören zu den einzelnen Dingen; daher ist das Weltall in besonderer Weise von der Seele des Weltalls beseelt, andererseits beseelt die eigene Seele gesondert die einzelnen Dinge. Platon bemerkt: die Seele des Alls ist vom Mittelpunkt der Erde bis zu den Enden des Himmels ausgespannt; er behauptet: die Seele ist nicht örtlich, sondern geistig ausgedehnt; diese Seele ist es, die das Weltall wie eine Kugel umdreht und die Körpergestalt der Welt zusammenhält und zusammenschnürt; die Körper brauchen ja eine Kraft, die sie zusammenhält; im vorangehenden wurde dafür der Beweis erbracht: die formbildende Seele bewirkt die Zusammenhaltung der Körper; jedes einzelne Ding lebt sein eigenes Leben und erleidet seinen eigenen Tod; solange nämlich der Körper zusammengehalten und zusammengeschnürt wird, sagt man von ihm: er hat Bestand; wenn er sich auflöst, geht er zugrunde; alle Dinge leben, aber nicht alle Dinge sind Lebewesen. Die Platoniker unterscheiden die Pflanzen von den unbeseelten Dingen durch die Tatsache, daß die Pflanzen aufwachsen und genährt werden; das heißt: durch das Ernährungs- und Wachstumsvermögen. Sie unterscheiden ferner die vernunftlosen Tiere von den Pflanzen mit Rücksicht auf die Sinnesempfindung, die vernünftigen Wesen von S. 32 den vernunftlosen bezüglich der Vernunft; indem sie sich so ausdrücken: alle Dinge leben, unterscheiden sie die Natur jedes einzelnen Wesens. Sie lehren jedenfalls: auch die ganz unbeseelten Geschöpfe leben ein Dasein, das gewisse Eigenschaften aufweist; demgemäß werden die Dinge von der Seele des Weltalls zu dem Zweck zusammengehalten, damit sie überhaupt nur bestehen und sich nicht auflösen. Das ist die Seele, die das Weltall lenkt, die die vom Schöpfer gebildeten Teilseelen in die Körper leitet; offensichtlich hat ihr der Schöpfer selbst auch Gesetze gegeben, nach denen sie dieses Weltall verwalten soll; Platon nennt diese Gesetze auch „Schicksal"; der Schöpfer spendet dieser Seele außerdem ein Vermögen, das zu unserer Leitung genügt. Diese Gedanken sind auch in dem Abschnitt „Vom Schicksal" ausgesprochen worden.
Im allgemeinen lehren alle Griechen, die die Seele für unsterblich erklärt haben, die Seelenwanderung. Hinsichtlich der Arten von Seelen gehen sie indes auseinander. Die einen sagen: es gibt nur eine einzige Seelenart, die vernünftig ist; diese geht in die Pflanzen und in den Körper der vernunftlosen Tiere über; von diesen Forschern sind die einen der Meinung: die Seele vollzieht diesen Uebergang in einigen bestimmten Zeitabschnitten; die anderen glauben: die Seele geht nur zufällig in diese Wesen ein. Andere dagegen vertreten die Ansicht: es gibt nicht bloß eine einzige Seelenart, sondern zwei, eine vernünftige und eine vernunftlose. Verschiedene Philosophen nehmen viele Arten der Seele an, und zwar soviele, wie es Arten von Lebewesen gibt. Besonders die Platoniker unterschieden sich in Bezug auf diesen Lehrsatz. Platon bemerkte bekanntlich: die leidenschaftlichen, jähzornigen und raubsüchtigen Seelen hüllen sich in Körper von Wölfen und Löwen; die Seelen der Leute, vollends, die einen ausschweifenden Lebenswandel geführt haben, nehmen Körper von Eseln und dergleichen Tieren an. Die einen Platoniker verstanden darunter im eigentlichen Sinn die Wölfe, Löwen und Esel. Die anderen entschieden so: Platon hatte sich bei der Bezeichnung der Sitten durch die Tiere nur bildlich ausgedrückt. Kronios z. B. huldigt in dem Werk „Von der Wiedergeburt" (so nennt er die Seelenwanderung) dieser Ansicht: alle Seelen sind vernünftig. Aehnlich lehrt auch der Platoniker Theodoros in der Schrift „Die Seele in Gestalt aller Arten" und ähnlich Porphyrios. Den ihnen entgegengesetzten Weg ging Jamblich; er äußert sich so: entsprechend der Art der Lebewesen gibt es eine Art der Seele oder verschiedene Arten. Jamblich hat ein Buch mit der Ueberschrift verfaßt: „Die Seelenwanderungen erfolgen nicht von Menschen zu vernunftlosen Tieren, auch nicht von vernunftlosen Tieren zu Menschen, sondern von Tieren zu Tieren und von Menschen zu Menschen." Ich glaube: er hat deshalb eher als die andern das Ziel richtig getroffen: nicht nur die Auffassung Platons, sondern S. 33 auch die Wahrheit selbst; so läßt es sich neben zahlreichen anderen Angaben besonders aus folgenden beweisen: zum Beispiel zeigt sich keine der vernünftigen Bewegungen bei den vernunftlosen Tieren; sie haben keine Künste, keine Wissenschaften, keine Willenshandlungen, keine Tugenden, kurz: überhaupt nichts sonst von Verstandestätigkeiten steckt in ihnen.
Daraus folgt klar: die Tiere haben keinen Anteil an einer vernünftigen Seele. Es wäre auch wirklich albern, die vernunftlosen Tiere als vernünftig zu bezeichnen. Wenn auch den ganz jungen Knäblein nur die vernunftlose Bewegung zukommt, so sagen wir doch: sie haben eine vernünftige Seele; denn wenn sie herangewachsen sind, offenbaren sie die Tätigkeit ihrer Vernunft. Das vernunftlose Wesen dagegen, das zu keiner Zeit seines Lebens den Vernunftteil an den Tag legt, hätte umsonst eine vernünftige Seele; denn die Fähigkeit zu denken, wird ihm ja durchaus keinen Nutzen bringen. Alle Menschen haben einstimmig zugegeben: Gott hat nichts Ueberflüssiges geschaffen. Stimmt dies, dann ist die vernünftige Seele wohl überflüssigerweise den zahmen wie den wilden Tieren eingepflanzt worden, denn sie vermag nie ihr eigenes Werk bei diesen Tieren zum Ausdruck zu bringen. Es wäre ein Vorwurf gegen den Schöpfer, der dem Körper eine unpassende Seele gab. Denn dies ist nicht das Werk eines Künstlers, überhaupt nicht eines Menschen, der Ordnung oder Harmonie kennt. Die Frage löst man nicht, wenn man sagt: die Tiere bewegen sich gemäß ihrer Anlage vernünftig, aber ihr Körperbau läßt keine künstlerische Behandlung zu; die Bestätigung des Gedankens leitet man dabei von den menschlichen Verhältnissen ab: wenn z. B. nur die Finger an den Händen abgenommen sind, werden die meisten Kunstbetätigungen hinfällig. Uebrig bleibt noch der ausgesprochenste Unsinn: Gott hat keine geeignete Seele dem Körper eingefügt, sondern eine überflüssige, unnütze und träge Seele, die durch das ganze Leben der Menschen an ihren eigenen Handlungen verhindert ist; außerdem bauen sie ihre Lehre aus ungewissen, nicht aus allgemein zugestandenen Sätzen auf. Woher wissen wir denn das: die Tiere bewegen sich ihrer Anlage gemäß vernünftig? Es ist somit besser, folgendes anzunehmen: jedem Körper ist eine passende Seele eingefügt worden; ferner: die Tiere haben ihrer Anlage entsprechend nichts weiter als die natürliche Einfachheit, die sich bei ihren Tätigkeiten bemerkbar macht.
Jede einzelne Art der vernunftlosen Tiere bewegt sich aus eigenem Trieb; jede Art ist zum Gebrauch und zur Betätigung des Triebes von Anfang an geschaffen worden. Dazu erhielten die Tiere ihren Körperbau angepaßt. Nicht ganz hilflos hinterließ sie der Schöpfer, vielmehr verlieh er jedem einzelnen eine natürliche, keine verstandesmäßige Einsicht. Einigen gab er sogar Schlauheit, gleichsam ein Abbild der Kunstfertigkeit und einen Schatten S. 34 der Vernunft. Aus diesen zwei Gründen tat er das: die Tiere sollten den augenblicklichen Gefahren ausweichen und sich vor den zukünftigen schützen; er wollte außerdem die ganze Schöpfung unter sich verbinden, wie bereits dargelegt. Doch daß diese Tiere nicht vernünftig handeln, ergibt sich mit Deutlichkeit daraus: jedes einzelne Tier derselben Art tut ähnlich dieselben Dinge; die Tätigkeiten der Tiere unterscheiden sich in der Herde nur so, daß das eine Tier mehr, das andere weniger tut; aber die ganze Art der Tiere bewegt sich nur nach einem einzigen natürlichen Antrieb. Jeder Hase z. B. wendet in ähnlicher Weise die Listen an; jeder Wolf verhält sich ähnlich schlau; jeder Affe ahmt ähnlich nach. Das trifft beim Menschen nicht zu. Gibt es doch unzählige Arten der menschlichen Betätigungen. Etwas Selbständiges und Freiwilliges ist ja die Vernunft. Daher vollführen alle Menschen nicht eine und dieselbe Tätigkeit, wie das vielmehr bei jeder einzelnen Art der vernunftlosen Tiere der Fall ist. Diese Tiere bewegen sich bloß mit Hilfe ihrer Natur. Die natürlichen Bewegungen dagegen finden sich ähnlich bei allen Lebewesen. Die Betätigungen der Vernunft vollziehen sich bei verschiedenen Menschen verschieden; sie sind nicht notwendig bei allen die gleichen. Sagt man: die Seele wird zur Strafe für ihre früheren Vergehen im Menschenleben in solche Menschenkörper gesteckt, so führt man den Nachweis auf Grund der späteren Verhältnisse. Warum wurden denn vernünftige Seelen in die zuerst geschaffenen Tierkörper gepflanzt? Doch sicher nicht deshalb, weil die Seelen in Menschenkörpern gesündigt hatten, bevor sie noch überhaupt in einen Menschenkörper gekommen waren.
Offenbar schließt sich auch Galenos, der wundervolle Arzt, dieser Auffassung an; er vertritt die Lehre: zu jeder einzelnen Art von Lebewesen gehört auch eine verschiedene Seelenart. So behauptet er z. B. gleich im Anfang des ersten Buches seiner Schrift „Vom Gebrauch der Körperteile": „Wenn das zutrifft, dann muß es viele Teile an den Lebewesen geben, teils größere, teils kleinere, teils solche, die sich ganz und gar nicht in eine andre Form zerschneiden lassen. Alle diese Teile braucht die Seele. Der Körper ist das Werkzeug der Seele. Deswegen sind die Teile der Lebewesen von einander sehr verschieden, weil sich auch ihre Seelen unterscheiden." Dann fügt Galenos weiter im gleichen Buch über den Affen noch folgende Bemerkung bei: „Wahrhaftig, du übergescheiter Ankläger, die Natur kann dir gegenüber behaupten: einem lächerlichen Tier mußte die Seele als lächerliche Grundlage des Körpers gegeben werden." Danach hat Galen erkannt: den artverschiedenen Körpern wohnen verschiedene Seelen inne. Diese Ausführungen haben wir über diese Fragen gemacht. Haben wir den Beweis geführt: die Seele ist kein Körper, keine Harmonie, keine Mischung, überhaupt sonst keine Eigenschaft, dann folgt daraus klar: die Seele ist eine Art körperloser Wesenheit. S. 35 Diese Tatsache hat man allgemein anerkannt. Ist die Seele kein Körper und kein unselbständiger Stoff, so ist sie sicher eine körperlose Wesenheit und keins von den Dingen, die ihr Dasein in einem andren Wesen haben. Diese unselbständigen Dinge kommen hinzu und verschwinden ohne den Untergang ihrer Grundlage. Entfernt sich jedoch die Seele, so geht der Körper völlig zugrunde. Mit denselben Gründen läßt sich die Unsterblichkeit der Seele beweisen. Ist die Seele kein Körper (dieser wurde ja als von Natur auflösbar und als vergänglich erwiesen), keine Eigenschaft, keine Größe, überhaupt sonst keins der vergänglichen Dinge, so ergibt sich deutlich die Unsterblichkeit der Seele. Es gibt wohl viele Beweise für ihre Ewigkeit bei Platon und den andren Denkern. Doch sind die Beweise recht knöchern, schwer zu durchdenken und kaum den Gelehrten vertraut, die sich lange mit jenen Zweigen der Wissenschaft beschäftigt haben. Für uns genügt zum Beweis der Unsterblichkeit der Seele die Lehre der Heiligen Schrift; diese besitzt von sich selbst aus die Glaubwürdigkeit, weil sie von Gottes Geist durchhaucht ist. Gegenüber den Leuten, die die Schriften der Christen nicht annehmen, reicht der Nachweis hin: die Seele ist keiner von den Stoffen, die der Vernichtung anheimfallen. Ist sie keins von den Dingen, die zugrunde gehen, so ist sie unzerstörbar, so ist sie auch unsterblich. Daher müssen wir diese Frage über die Seele verlassen, da sie hinreichend erklärt ist.
