Kapitel 19: Die Betrübnis
Es gibt vier Arten der Betrübnis: Schmerz, Kummer, Neid und Mitleid. Schmerz ist eine Betrübnis, die Sprachlosigkeit hervorruft. Kummer ist eine Betrübnis, die schwer drückt. Neid ist eine Betrübnis wegen der Glücksgüter fremder Leute. Mitleid ist eine Betrübnis wegen der Unglücksfälle fremder Menschen. Jede Betrübnis ist ihrer eignen Natur nach ein Uebel. Ist z. B. der rechtschaffene Mensch einmal über den Tod trefflicher Männer, über das Sterben von Kindern oder über die Verwüstung der Vaterstadt betrübt, so wird er Betrübnis empfinden, aber nicht in besondrem Maße, auch nicht absichtlicherweise, sondern auf eine Art, die den Umständen entspricht. In diesen Fällen wird sich der Mensch des beschaulichen Lebens vollständig gefühllos zeigen, denn er hat sich den Dingen des Diesseits entfremdet und mit Gott vereinigt. Der rechtschaffene jedoch hält sich bei diesen Ereignissen mitten in der richtigen Gefühlsstimmung, er überschreitet nicht das Mass, er lässt sich aber von den Verhältnissen auch nicht unterjochen; sondern er meistert sie vielmehr. S. 71 Die Betrübnis ist, wie das Uebel dem Gut, so der maßvollen Lust, dagegen wie das Uebel dem Uebel, der überschwänglichen Lust entgegengesetzt. Nur bei den körperlichen Lustgefühlen treten die Ausartungen ein. Die geistigen Lustgefühle, die gleichsam den Gipfel der Lust darstellen und ihre Vollkommenheit enthalten, gestatten ja keinen Ueberschwang. Diesen geistigen Lustgefühlen steht keinerlei Betrübnis gegenüber, andrerseits entstehen sie auch nicht bei der Heilung einer Betrübnis, die vorher eingetreten war.
