Kapitel 35: Das Schicksal
Diejenigen, die der Umdrehung der Sterne die Ursache aller Dinge zuschreiben, kämpfen nicht nur gegen die allgemeinen Begriffe, sondern sie bezeichnen auch jede staatsbürgerliche Betätigung als nutzlos. Die Gesetze sind töricht, überflüssig die Gerichtshöfe, die die ganz schuldlosen Menschen bestrafen; widersinnig die Aeußerungen des Tadels und des Lobes; gedankenlos sind dann auch die Gebete, wenn alles nach dem Schicksal geschieht. Sogar die Vorsehung wird samt der Frömmigkeit verbannt, außerdem wird noch der Mensch nur als Werkzeug der Himmelsdrehung erkannt. Von dieser Umdrehung lassen sich nicht allein die Körperteile, sondern auch die Gedanken der Seele zu den Handlungen bewegen. Ueberhaupt heben die Denker, die diese Ansichten vertreten, zugleich mit dem, was in unserer Macht liegt, auch die Natur des Möglichen auf. So betreiben sie nichts Andres als daß sie das Weltall zugrunde richten. Ungerecht sind sogar die Sterne selbst, sie machen die einen zu Ehebrechern, die andern zu Mördern; und zwar geschieht das so: Gott, ihr Schöpfer, nimmt den Sternen die Ursache solcher Taten (des Ehebruchs und des Mordes) weg, wenn er derartige Dinge einrichtete, die uns zwangsläufig in die Uebel stürzen. Infolgedessen besteht die törichte Ansicht dieser Denker nicht allein hinsichtlich der staatsbürgerlichen Betätigung, sie bezeichnet vielmehr auch Gott als den Urheber der größten Uebel, während es ihnen doch dabei unmöglich ist, ihre Annahme zu beweisen. Aber es ist nicht nötig, diese Lehren zu hören, die offen die Gotteslästerung und die Widersinnigkeit zur Schau tragen. Die einen Gelehrten behaupten: das, was in unserer Macht liegt, sowie das Schicksal S. 93 bleiben erhalten; denn jedem einzelnen Stück der Schöpfung ist ein Anteil am Schicksal verliehen worden, z. B. dem Wasser die Kälte, jeder einzelnen Pflanze das Tragen einer Frucht von bestimmter Art, dem Stein das Fallen von oben herab, dem Feuer das Steigen von unten nach oben; ebenso ist dem Menschen die Zustimmung und das Begehren gegeben worden. Tritt diesem Begehren kein Ding der Außenwelt und keine Schicksalsfügung entgegen, dann steht das Gehen vollkommen frei in unserer Hand, wir werden auch unter allen Umständen gehen. Die Gelehrten, die diese Ansichten vertreten, sind die Stoiker Chrysipp und Philopator, außerdem noch zahlreiche andere glänzende Geister: sie beweisen nichts Andres als dies: alles geschieht nach dem Schicksal.
Erklären sie: die Triebregungen hat uns das Schicksal gegeben, bald werden diese vom Schicksal gehemmt, bald nicht, so ist klar: alles geschieht nach dem Schicksal, auch das, was anscheinend in unserer Macht liegt. Wir werden unsrerseits dieselben Gründe gegen diese (genannten) Denker anwenden; wir weisen so die Albernheit ihrer Ansicht nach. Müssen nach der Bemerkung derselben Gelehrten, sofern dieselben Gründe bestehen, unbedingt dieselben Dinge geschaffen werden, lassen sich diese ferner nicht bald so, bald anders erschaffen, weil die Gründe so von Ewigkeit her fest bestimmt sind: dann muß sich auch der Trieb des Menschen voll und ganz so entwickeln, sofern dieselben Gründe bestehen. Folgt aber auch der Trieb zwangsweise nach, wo bleibt dann das, was in unsrer Macht liegt? Das, was in unsrer Macht liegt, muß doch frei sein! Das wäre frei, wenn dieselben Gründe beständen und es bei uns läge, bald etwas zu begehren und bald nicht. Wenn nun auch das Begehren zwangsweise nachfolgt, so ist klar: auch die Triebe werden sich dem Schicksal gemäß erheben, obschon sie von uns nach unserer Natur, unsrem Begehren und Urteil ausgehen. Könnte das Begehren auch nicht entstehen, dann wäre der Bedingungssatz falsch, der so lautet: sofern dieselben Gründe bestehen, müssen dieselben Dinge folgen. So wird man es bei den Vernunft- wie bei den seelenlosen Wesen finden. Setzen die (genannten). Gelehrten das Begehren in unsre Macht, weil wir dies von Natur besitzen, was steht da der Bemerkung im Wege: im Feuer ruht das Brennen, denn das Feuer brennt von Natur? So scheint es Philopator an einer Stelle in seiner Schrift „Vom Schicksal" auch nebenher anzudeuten. Demnach liegt das, was vom Schicksal veranlaßt und durch uns dann ausgeführt wird, nicht in unsrer Macht. Auf dieselbe Art und Weise wird dann etwas in der Macht einer Leier, von Flöten, der übrigen Instrumente sowie sämtlicher Vernunft- und seelenlosen Wesen liegen, wenn sich Menschen mit Hilfe dieser genannten Dinge betätigen. Doch ist das widersinnig.
