Kapitel 23: Das Ernährungsvermögen
S. 73 Zum Ernährungsvermögen gehören vier natürliche Kräfte: die Kraft des Anziehens, des Festhaltens, der Veränderung und des Absonderns. Jeder einzelne Teil des Menschen zieht natürlicherweise die eigentümliche Nahrung an sich; hiernach hält er sie fest; darauf verwandelt der Teil die Nahrung in sich; nach diesen Vorgängen stößt er dann das Ueberflüssige aus. Das sind die Kräfte, die die Nahrung in die Körperteile leiten; aus diesen Kräften entwickelt sich das Wachstum in die Länge wie in die Breite. Die überflüssigen Stoffe werden ausgeschieden: durch den Darmkanal, den Harn, durch Erbrechen, Schwitzen, durch Mund, Nase, Ohren, Augen, durch das Ausatmen, endlich durch die unsichtbaren Poren. Die übrigen Absonderungen indes sind deutlich zu erkennen: durch die Ohren dringt das sogenannte Ohrenschmalz, das ist Ohrenschmutz; durch die Augen kommen die Tränen und die Augenbutter; durch die Ausatmung entweicht der Rauch, der von der Wärme des Herzens erzeugt wird. Als unsichtbare Poren bestimmten Forscher die Ausdünstung am ganzen Körper; auf diesem Wege dringen aus der Tiefe des Körpers und infolge des Zusammenziehens der Arterien sehr viele Dämpfe durch die Dünne der Haut hinaus. Als Organe des Ernährungsvermögens dienen der Mund, die Speiseröhre, der Magen, die Leber, sämtliche Adern, die Eingeweide, die beiden Gallen und die Nieren. Der Mund bereitet zuerst die Nahrung für den Magen zurecht, indem er sie mittels der Zähne und der Zunge in kleine Stücke zerlegt. Sehr großen Nutzen bietet die Zunge dem Kauen, sie faßt die Nahrung zusammen und legt sie unter die Zähne; so legen die Weiber in der Mühle mit ihrer Hand das Getreide unter die Mühlsteine. In gewisser Beziehung spielte ja auch die Zunge die Rolle der Hand beim Kauen.
Ist die Nahrung auf diese Weise verarbeitet, so gelangt sie durch die Speiseröhre zum Magen (Verdauungskanal). Die Speiseröhre ist bekanntlich nicht allein Sinneswerkzeug für das Nahrungsbedürfnis, sondern auch Durchgang der Speisen. Beim Schlucken streckt die Speiseröhre sich nach oben, zieht die Nahrung an sich, und geleitet sie zum Magen. Der Magen nimmt sie auf, sondert das Nützliche und Nahrhafte vom Steinigen, vom Holzigen und von dem, was nicht zur Nahrung taugt. Das Nützliche verwandelt er in Säfte und schickt sie durch die Adern zur Leber; diese Adern ziehen die Säfte vom Magen an und geleiten sie zur Leber durch Kanäle. Diese Adern gleichen Wuzeln der Leber; diese Wurzeln ziehen vom Magen die Nahrung an, ebenso wie die Planzenwurzeln ihre Nahrung von der S. 74 Erde nehmen. Der Magen gleicht der Erde, die den Pflanzen die Nahrung gibt; den Wurzeln gleichen die Adern, die den Saft vom Magen und den Eingeweiden durch das Gekröse zu den Toren sowie zum unteren, einwärts gebogenen Teil der Leber hinleiten. Die Leber selbst gleicht einem Baumstumpf. Zweigen und Enden von Aesten gleichen die Adern der Hohlader, die sich zerteilen. Die Hohlader stammt von den gebogenen Teilen der Leber. Aus dem Magen empfängt die Leber den Saft, kocht ihn und macht ihn sich ähnlich. Da die Leber aus solchem Fleisch besteht, das dem Blut sehr ähnelt, so verwandelt sie natürlicherweise den Saft in Blut. Durch die Milz, die Gallenblase und die Nieren wird das Blut gereinigt. Die Milz zieht das Hefenartige an und macht sich eine eigene Nahrung daraus. Die Gallenblase zieht das Scharfe an, das von der Nahrung in den Säften übrig blieb. Die Nieren ziehen das Molkenartige nebst dem übrig gebliebenen Scharfen an; infolgedessen wird das übrige Blut gereinigt und nutzbringend gemacht; darauf gelangt das Blut zwecks Nahrung bei allen andren Körperteilen mittels der Adern zur Verteilung, die über die Teile zerstreut liegen. So zieht jeder einzelne Teil das Blut an, behält es, verwandelt es in seine eigene Natur und überläßt das Ueberflüssige den Nachbarteilen, da dies für sie als geeignete Nahrung dient. Auf diese Weise werden sämtliche Teile aus Blut ernährt, sie wachsen und bleiben bestehen. Die Leber leitet das Blut. Von diesem Glied des vernunftlosen Seelenteils heißt es: der Vernunft gehorcht es nicht; denn es vollbringt sein eigenes Werk nicht nach unserer Meinung, auch nicht nach unserer Wahl, sondern in natürlicher Weise.
