Kapitel 17: Das Begehrungsvermögen
Der vernunftlose Seelenteil, der der Vernunft untertan ist, zerfällt also, wie wir schon sagten, in zwei Glieder: in das Vermögen des Begehrens und des Zornes. Das Begehrungsvermögen teilt sich wieder in zwei Abschnitte: in Lust und Betrübnis. Die Begierde erzeugt Lust, wenn sie ihr Ziel erreicht; Betrübnis, wenn sie das Ziel verfehlt. Die Begierde läßt sich ihrerseits wieder auf eine andre Art einteilen und bildet zusammen mit sich (der Begierde) selbst insgesamt vier Arten. Die einen Dinge sind gut, die andern schlecht; die einen sind schon da, die andern werden erwartet; daher zerfällt das Gebiet der Begierde in vier Teile, wenn man nach diesen Gesichtspunkten der Einteilung die zwei Arten der Dinge mit zwei vervielfacht. Es gibt ein Gut und ein Uebel; davon wieder ein gegenwärtiges und ein erwartetes Gut wie Uebel. Ein Gut, das man erwartet, ist Begierde. Ein Gut, das schon vorhanden ist, erregt Lust. Andrerseits bedeutet ein erwartetes Uebel Furcht; ein gegenwärtiges erzeugt Betrübnis. Um die Güter drehen sich Lust und Begierde, um die Uebel hingegen Furcht und Betrübnis. Daher spalten manche Denker den Affekt in vier Stücke: Begierde, Lust, Furcht und Betrübnis. Als Güter und als Uebel bezeichnen wir S. 66 das, was tatsächlich so ist oder das, was man dafür hält. Die schlechten Affekte bilden sich in der Seele durch folgende drei Ursachen: durch schlechte Erziehung, infolge Unwissenheit, durch schlechten Körperzustand. Sind wir nicht richtig von Kindesbeinen an erzogen, um über die Affekte herrschen zu können, so verfallen wir der Zügellosigkeit der Affekte. Infolge der Unwissenheit wurzeln sich schlechte Urteile im Vernunftteil der Seele fest; infolgedessen halten wir das Schlechte für trefflich und das Treffliche für schlecht. Ausserdem entwickeln sich einige Affekte auch aus dem schlechten Körperzustand. Zornig sind z. B. die Menschen mit bittrer Galle, wollüstig sind die Leute mit heisser und feuchter Säftemischung. Die schlechte Gewohnheit ist durch eine gute zu heilen, die Unwissenheit ist durch Lernen und Wissen zu beseitigen; der schlechte Körperzustand ist körperlich zu behandeln, hierbei stellen wir ihn soweit wie möglich auf die mittlere Mischung um und zwar durch passende Lebensweise, Leibesübung sowie durch Heilmittel, falls wir auch diese brauchen.
