Kapitel 25: Die Zeugungs- oder Samenkraft
Auch die Zeugungskraft gehört zu dem Teil, der nicht der Vernunft untertänig ist. Ohne es zu wollen, gießen wir in unsren Träumen den Samen aus. Die Begierde nach dem Geschlechtsverkehr ist natürlich. Wider unsern Willen treiben wir zu ihm hin. Die Betätigung des Geschlechtsverkehrs jedoch liegt zugestandenermaßen in unserer Macht und ist seelischer Art. Die Betätigung wird durch die Triebwerkzeuge ausgeführt; es liegt in unsrer Macht, sich des Triebes zu enthalten und ihn zu beherrschen. Als Werkzeuge der Samenkraft dienen zunächst die Adern und die Arterien. In diesen wird zuerst der Samen durch Verwandlung des Blutes naß erzeugt, ebenso wie die Milch in den Brüsten. Dieser Saft (aus dem Blute) bildet die Nahrung dieser Gefäße (der Adern und der Arterien). Denn sie sind ursprünglich aus dem Samen entstanden. Die Arterien und die Adern also kochen das Blut zu dem nassen Samen, um sich davon zu nähren. Das Ueberbleibsel ihrer Nahrung verwandelt sich in Samen. Zuvor gelangt er auf langem Umweg in den Kopf hinauf. Dann fließt er wieder vom Kopf hinunter durch S. 76 zwei Adern und zwei Arterien. Infolgedessen macht man den Menschen zeugungsunfähig, wenn man die Adern neben den Ohren und neben den Hauptschlagadern ausschneidet. Diese Adern und Arterien bilden das gewundene und krampfaderhafte Geflecht neben dem Hodenbeutel; dort fällt der nasse Samen in jede der beiden Hoden. Nur eine Arterie und eine Ader sind samengefüllt. In diesen Hoden gedeiht der Same zur Vollendung; durch die krampfaderhafte Oberhode hinter den beiden Hoden wird der Same mit einem Lufthauch ausgeschieden; mit einem Lufthauch deshalb, weil noch eine Arterie daneben den Samen ausstößt. Daß der Samen auch von einer Ader befördert wird, ersieht man deutlich beim Geschlechtsverkehr. Wenn man den Beischlaf lange ausgedehnt und die Samenkraft wie den Samensaft aufgebraucht hat, dann scheidet man infolge der gewaltsamen Anstrengung reines Blut aus. Auch die Frauen haben die gleichen Teile sämtlich wie die Männer, nur nach innen und nicht nach außen.
Aristoteles und Demokritos wollen durchaus nicht anerkennen, daß der Samen der Frau zur Geburt der Kinder mitbeitrage. Sie sind der Ansicht: was die Frauen ausscheiden, ist vielmehr Schweiß des Geschlechtsteils als Samen. Galen jedoch lehnt Aristoteles ab und bemerkt: die Frauen gießen Samen aus, die Mischung beider Samen (des männlichen und des weiblichen) bringt die Befruchtung zustande; deswegen nennt man auch den Geschlechtsverkehr Mischung; allerdings ist es kein so vollkommener Samen wie der des Mannes, er ist im Gegenteil noch unausgereift und zu naß. Da der Samen der Frau diese Eigenschaften besitzt, dient er zur Nahrung des männlichen. Aus dieser Nahrung wird ein Teil der Nachgeburt zusammengesetzt; diese Nachgeburt befindet sich an den körnerförmigen Enden der Gebärmutter; aus dieser Nahrung bildet sich auch die sogenannte Wurst, die als Behälter der überflüssiger Teile der Leibesfrucht da ist. Bei jeder einzelnen Gattung von Lebewesen läßt das Weibchen nur dann das Männchen an sich heran, wenn es zur Empfängnis imstande ist. Folglich lassen die Wesen, die stets empfangen können, immer die Begattung zu, beispielsweise die Hühner, die Tauben und die Menschen. Hingegen meiden die übrigen Lebewesen, wenn sie trächtig sind, die Begattung. Was die Frau betrifft, so ist sie zu jeder Zeit für den Beischlaf empfänglich. Die Hühner zum Beispiel liegen fast jeden Tag in der Begattung, weil sie beinahe jeden Tag Eier legen. Die Frauen aber haben wie bei den sonstigen Geschäften so auch im Eheverkehr nach der Empfängnis ihren eigenen freien Willen. Die vernunftlosen Tiere werden ja nicht von sich selbst, sondern von der Natur in die richtige Bahn geleitet, von ihr erhalten sie die rechten Masse und die günstige Gelegenheit bestimmt.
