Vierter Artikel. Das thatsächliche wirkliche Sein ist in Gott ein und dasselbe wie sein Wesen oder seine Natur.
a) Daß in Gott nicht es ein und das nämliche sei: die thatsächliche Existenz und das innere Wesen; — scheint aus zwei Gründen klar hervorzugehen. I. Ware dies nämlich der Fall, daß das Sein in Gott mit dem Wesen Gottes durchaus zusammenfiele, so würde zum einfachen Sein in Gott nicht das mindeste hinzugefügt werden dürfen, damit es „Gott“ sei; wie dies z. B. beim Menschen, beim Tiere, beim Steine geschieht, wo zum „Sein“ hinzutritt das Mensch-Sein oder das Tier-Sein oder das Stein-Sein, damit der Ausdruck verständlich werde. Ein Sein aber, zu dem nichts hinzugefügt wird, behufs näherer Bestimmung ist kein anderes, als das Sein im allgemeinen (esse commune), was von allem dem, was ist, ausgesagt wird. Gott also würde seinem Wesen nach nur insoweit und nur das sein, was alle Dinge sind, die irgendwie existieren. Das wird aber Sap. 14 zurückgewiesen, wo es heißt: „Den unmitteilbaren (der also nur Gott gegeben werden darf) Namen haben sie Holz und Stein gegeben.“ Gottes Sein ist also nicht sein Wesen. II. Von Gott können wir wissen, daß Er ist; aber nicht, wie oder kraft welchen inneren Wesens Er ist. Also ist das Wesen Gottes nicht ein und dasselbe wie seine Existenz, wodurch eben besagt wird, daß Er ist. Auf der anderen Seite aber sagt Hilarius (7. de Trin.): „Das thatsächliche Sein der Existenz tritt nicht wie ein Accidens, wie eine Eigenschaft, zu Gottes Wesen von außen her hinzu; sondern dieses Sein selber ist die für sich bestehende Wahrheit.Was also in Gott das Wesen oder die Natur innerlich ausmacht, ist seine eigene Existenz.
b) Ich antworte, Gott ist nicht nur sein eigenes Wesen; sondern Er ist auch sein eigenes Sein, seine Existenz; — das kann auf mehrfache Weise dargethan werden. 1. Was auch immer in irgend welchem Sein außer dem Wesen vorhanden ist, das geht entweder hervor und ist verursacht von den Principien, welche das innere Wesen enthält; wie z. B. die Thatsache, daß der Mensch lachen kann aus der Natur seines Wesens folgt, mag er auch thatsächlich niemals lachen; und wie in ähnlicher Weise sich zum Wesen alle jene Zuthaten oder Accidentien verhalten, welche dem Dinge seiner Gattung nach eigentümlich sind und die deshalb, gleichwie die Ausdehnung den Körper, das betreffende Ding ohne weiteren Einfluß von außen her immer begleitet und doch nicht das Wesen selbst ausmachen; — oder es wird von einer außerhalb des Dinges stehenden wirkenden Ursache noch eigens zum Wesen hinzugefügt, wie die Wärme des Wassers verursacht wird vom Feuer. Ist als das thatsächliche Sein der Existenz eines Dinges verschieden von dessen innerem Wesen, so muß es entweder aus den Principien, welche im Wesen enthalten sind, fließen; — oder es rührt von einer außerhalb stehenden wirkenden Ursache her. Das erstere ist unmöglich; denn nichts genügt dazu, daß das Ding sich selber infolge seines Wesens das Sein der Existenz gebe, würde doch das betreffende Ding in diesem Falle eher wirken, als es thatsächlich wäre, also eher existieren, als es existiert, zugleich sein und nicht sein. Wo also das Sein der thatsächlichen Existenz nicht ganz dasselbe ist wie das innere Wesen, sondern von selbem unterschieden; da ist es verursacht von einem andern Sein. Gott ist aber in keiner Weise verursacht, sondern ist die erste wirkende Ursache. Also in Gott ist ganz das nämliche: das Sein der Existenz und das innere Wesen oder die göttliche Natur. 2. Das Sein der Existenz in einem Dinge ist jenes Element, welches die Wesensform oder die Natur zu einer thatsächlich existierenden macht. Denn wenn wir sagen „Güte“ oder „Menschsein“, so bezeichnen wir damit nichts Thatsächliches, außer wenn wir ausdrücken, diese bestimmte „Güte“ hier, dieses „Menschsein“ da sei in Wirklichkeit. Das Wesen oder die Natur selber also steht im nämlichen Verhältnisse zur Existenz oder zum thatsächlichen Sein selber wie das Vermögen zur thatsächlichen Wirksamkeit, sobald das Wesen nicht die Existenz oder das thatsächliche Bestehen selber ist. In Gott aber ist keinerlei Vermögen. Also ist auch sein Wesen ein und dasselbe wie das thatsächliche Sein der Existenz. 3. Gleichwie was vom Feuer erwärmt wird, nicht Feuer ist, sondern nur deshalb durchwärmt, weil es am Feuer Anteil hat; so ist jenes, was das Sein hat und nicht das Sein ist, nur deshalb, weil es am Sein Anteil hat. Gott aber ist sein eigenes Wesen, wie im vorhergehenden Artikel gezeigt worden. Wenn also in Ihm das Wesen nicht dasselbe ist wie das thatsächliche Sein der Existenz, so muß Er die Existenz haben durch Teilnahme am Sein und nicht kraft seines Wesens. Gott wird dann also einerseits nicht als das erste unabhängige Sein dastehen; und andererseits wird Er sein eigenes Wesen, d. h. das subjektiv tragende Princip in Ihm wird eben sein eigenes Wesen sein; was absurd ist. Denn Er wäre dann sein Wesen, ehe Er das Sein hätte; d. h. Er wäre und wäre nicht. Gott ist also nicht nur sein Wesen, sondem Er ist auch seine eigene Existenz, seine eigene Thatsächlichleit, sein eigenes Sein. 3) I. Der erste Einwurf leidet an Zweideutigkeit. Denn daß zu einem Sein nichts hinzutritt, wie z. B. beim Mensch-Sein das Wesen „Mensch“, das kann auf doppelte Weise verstanden werden. Einmal: Es entspricht dem Sein seiner Natur nach, daß zu ihm nichts hinzugefügt wird; wie es z. B. der Natur des unvernünftigen Tieres entspricht, daß es keine Vernunft hat. Sodann: es liegt das nicht in der Natur des betreffenden Seins, daß zu ihm nicht etwas hinzutrete; wie z.B. nicht es in der Natur des „Sinnbegabten“ liegt, daß nicht zu ihm etwas hinzutrete; denn mit dem Ausdrucke „sinnbegabt“ ist nicht zugleich gegeben weder daß zu ihm die Vernunft trete und so ein Mensch bestehe, noch daß zu ihm der Mangel der Vernunft trete und so ein Tier existiere. In der ersten Voraussetzung befindet sich das göttliche Sein. Denn seiner Natur als Sein entspricht es, daß nichts ihm hinzugefügt werde; es kann somit von niemanden, als von Gott ausgesagt werden. In der zweiten Voraussetzung befindet sich das Sein im allgemeinen; denn seiner Natur entspricht es, daß andere Bestimmungen hinzutreten; es kann deshalb von allem, was ist, ausgesagt werden. - II. Der zweite Einwurf verwechselt in der Aussage: „Gott ist“ den Akt des Seins, also die Thatsächlichkeit des Seins an sich, mit der bloßen logischen Verbindung von Subjekt und Prädikat, wo das „ist“ nur ein Produkt des verbindenden Verstandes vorstellt. Im erstgenannten Sinne wissen wir weder das Sein Gottes noch sein Wesen; im zweitgenannten verbinden wir den Ausdruck „Gott“ mit dem Ausdrucke „Sein“ auf Grund der gewirkten Kreaturen und deshalb ist der Satz „Gott ist“ logisch wahr.
