Sechster Artikel. Die Macht des 5ohnes ist gleich der des Vaters.
a) Dagegen spricht: I. Der Herr sagt Joh. 5.: „Der Sohn kann von Sich aus nichts thun außer was Er den Vater machen sieht.“ Also die Macht des Vaters ist größer. II. Größer ist die Macht dessen, der befiehlt und lehrt, wie die des jenigen, welcher gehorcht und hört. Joh. 14. heißt es aber: „Wie mir der Vater aufgetragen hat, so thue ich.“ Und Joh. 15.: „Der Vater liebt den Sohn; und Er hat Ihm alles gezeigt, was Er selber thut.“ Und Joh. 5.: „Wie ich höre, so urteile ich.“ Also die Macht des Sohnes ist nicht gleich der des Vaters. III. Zur Allmacht des Vaters gehört es, daß Er einen Ihm in allem gleichen Sohn zeugt. Denn Augustin sagt (3. cont. Maxim. 7.): „Wenn Er nicht einen Sich gleichen Sohn zeugen konnte; wo bleibt dann die Allmacht des Vaters.“ Der Sohn aber kann nicht zeugen. Alsv hat Er nicht die gleiche Macht wie der Vater. Auf der anderen Seite heißt es bei Joh. 5, 19.: „Was auch immer der Vater thut, das thut ähnlich ebenso der Sohn.“
b) Ich antworte, es sei durchaus notwendig, daß dem Vater und Sohne die gleiche Macht innewohne. Denn die Macht ist eine Folge der Vollendung der Natur. Wir sehen dies bereits in den Kreaturen, daß, je vollkommener die Natur in einer Kreatur ist, desto vollkommener diese Kreatur auch wirkt. Es ist aber oben gezeigt worden, wie der Charakter selbst der Vater und Sohnschaft es erfordert, daß der Sohn dem Vater gleich sei in der Größe, d. h. in der Vollendung der Natur. Also ist der Sohn dem Vater gleich an Macht; und dasselbe gilt vom heiligen Geiste.
c) I. Durch die Worte: „Der Sohn kann von sich aus nichts thun,“ wird dem Sohne nicht etwa eine Macht entzogen, welche der Vater besitzt; da ja gleich darauf folgt: „Was der Vater thut, das thut ähnlich auch der Sohn.“ Vielmehr wird durch diese Worte nur ausgedrückt, daß der Sohn seine ganze Macht vom Vater habe, von dem Er die göttliche Natur hat. Deshalb sagt Hilarius (9. äs INn.): „Diese Einheit ist der göttlichen Natur eigen, wonach der Sohn auf diese Weise selber wirkt, daß Er nicht von Sich selber wirkt.“ L. II. „Lehren“ von seiten des Vaters und „hören“ von seiten des Sohnes ist nichts Anderes als daß der Vater dem Sohne das Wesen mitteilt. Und ebendasselbe gilt vom Befehlen und Gehorchen; denn von Ewigkeit hat der Vater dem Sohne das Wissen und das Wollen dessen gegeben, was zu wirken ist, dadurch daß Er Ihn zeugte. Es kann jedoch das Hören und Gehorchen auch auf die menschliche Natur in Christo bezogen werden. LI. III. Ganz dasselbe Wesen, welches im Vater Vaterschaft ist, das ist im Sohne Sohnschaft. Und so ist es dieselbe Macht, vermittelst deren der Vater zeugt und vermittelst deren der Sohn gezeugt wird. Also kann offenbar der Sohn alles, was der Vater kann. Wird aber daraus gefolgert, dann könne der Sohn zeugen; so ist das eine stillschweigende Verwandlung einer Aussage, die vom Wesen gilt, die auf das quid geht; in eine Aussage, die von der Relation gilt, also auf das aliquid geht. Denn „Zeugen“ bezeichnet in Gott eine Relation. Der Sohn also hat dieselbe Macht wie der Vater, aber mit einer anderen Relation. Denn der Vater hat sie als gebender, also zeugender; der Sohn als empfangender, also gezeugt werdender. Jener kann zeugen; dieser gezeugt werden.
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