Dritter Artikel. Das Übel ist im Guten als im tragenden Subjekt.
Dagegen sagt: I. Dionysius (4. de nom. div.): „Das Übel ist kein existierendes Sein; und es ist nicht in dem, was existiert.“ II. Das Übel ist Nichtsein. Das Gute ist Sein. Das Gute aber erfordert kein Sein, von dem es getragen würde, wie vom Subjekte. Also noch weniger das Übel. III. Ein Gegensatz ist nicht der Träger des anderen. Also das Gute ist nicht das tragende Subjekt seines Gegensatzes, des Übels. IV. Worin die „Weiße“ ist wie im tragenden Subjekt, das wird weiß genannt. Also wovon das Übel als vom Subjekte getragen wird, muß Übel genannt werden. Ist also das Übel im Guten wie im Subjekte, so wird das Gute Übel genannt werden müssen; was gegen Isaias 5 ist: „Wehe, die ihr das Übel ein Gut nennt und das Gute ein Übel.“ Auf der anderen Seite sagt Augustin (Enchir. c. 14.): „Das Übel ist nur, insofern es im Guten ist.“
b) Ich antworte, daß „Übel sein“ mit sich bringt die Entfernung des Guten. Aber nicht jegliches Entferntsein des Guten wird „Übel“ genannt. Denn von einem Entferntsein des Guten kann entweder im rein verneinenden Sinne gesprochen werden; oder im Sinne des Mangelns und Entbehrens. Im ersten Sinne genommen hat die Entfernung des Guten nicht den Charakter des Übels. Sonst wäre alles, was nicht wäre, schon dieserhalb ein Übel. Und ebenso wäre es vom Übel für ein Sein, wenn dasselbe das nicht hätte, was ein anderes Sein hat; wie z. B. der Mensch ein Übel schon deshalb hätte, weil er nicht die Schnelligkeit eines Hirsches besitzt oder die Stärke des Löwen. Wohl aber wird das Entferntsein des Guten im Sinne des Mangels und Entbehrens dessen, was man der eigenen Natur nach haben könnte und müßte, mit Recht ein Übel genannt, wie das Mangeln des Sehens bei uns ein Übel ist. Das Subjekt aber ist ein und dasselbe, sowohl für den Zustand oder die betreffende Form und Eigenschaft, wie auch für dessen Mangel; es ist nämlich ein Vermögen zu sein oder zu wirken. Dieses Subjekt kann nun ein reines Vermögen sein, wie der Urstoff, der dem Wesen nach Vermögen ist für eine Wesensform sowohl wie auch für den Mangel der entgegengesetzten; wie er z. B. im Tiere Vermögen ist für die Wesensform „Tier“ und zugleich für den Mangel der Wesensform „Mensch“; die er doch an und für sich, da er Vermögen für alle stofflichen Formen ist, haben könnte. Oder es kann dieses eine Subjekt auch ein Vermögen sein für eine bestimmte Eigenschaft oder einen Zustand und für den Mangel der entgegengesetzten; wie der durchscheinende Körper zugleich das Subjekt ist, welches die Finsternisse und das Licht trägt, respektive dazu im Vermögen ist. Es ist nun aber offenbar, daß die Form oder Eigenschaft, wodurch etwas ein thatsächliches Sein hat, eine Vollendung ist oder ein Gut. Und deshalb ist jedes thatsächlich bestehende Sein ein Gut; und jedes Vermögen ist insofern ein Gut, je nach dem das Vermögen hingeordnet ist zum Guten. Denn wie es ein Sein der Möglichkeit nach giebt, so existiert auch ein Gut dem Vermögen nach. Also ist das tragende Subjekt des Übels ein Gut.
c) I. Dionysius will sagen, das Übel sei im Guten nicht wie ein Teil oder eine positive natürliche Eigenschaft. II. Der Einwurf spricht vom Nichtsein im rein verneinenden Sinne. Das Übel aber ist ein Mangel dessen, „wozu das Subjekt das Vermögen hat;“ also ist es im Subjekte. III. Das Übel ist nicht wie im Subjekte im Guten, was ihm entgegensteht, sondern in einem anderen Guten. Die Blindheit z. B. ist nicht in der Sehkraft, sondern im Menschen. Dabei sind nicht die beiden Teile eines Gegensatzes in diesem Falle zugleich. Denn hier wird nicht das Gute im allgemeinen verstanden, so daß also dasselbe Subjekt gut und schlecht wäre. Vielmehr wird hier speciell von diesem einzelnen Gute gesprochen und von diesem einzelnen besonderen Übel. Das Weiße und Schwarze z. B., das Bittere und Süße, und ähnliche Gegensätze werden schon nach der Natur der Bedeutung der Worte als besondere Gegensätze aufgefaßt; — da kann also von einer Zweideutigkeit nicht die Rede sein. Das Gute aber findet sich überall und ist jeder Seinsart eigen; so daß man wohl meinen könnte, die genannte dialektische Regel, nach welcher ein- und dasselbe Subjekt nicht die beiden Gegenüber eines Gegensatzes zugleich tragen kann, gelte hier nicht, da dasselbe Subjekt gut und schlecht sei. Aber, wie gesagt, es verträgt sich wohl mit dieser Regel, daß ein besonderes Gute da sei zugleich mit dem Mangel eines anderen besonderen Gutes.IV. Der Prophet spricht von denen, die das, was an sich gut ist, und insoweit es gut ist, ein Übel nennen. Das folgt aber nicht aus dem Vorstehenden.
