Fünfter Artikel. Das Übel ist teils Strafe, teils Schuld.
a) Diese Einteilung scheint nicht ausreichend zu sein. Denn: I. Jeder Mangel scheint ein Übel zu sein. In allen Kreaturen aber ist dieser Mangel, daß sie aus und durch sich selber sich nicht im Sein erhalten können; was weder Strafe noch Schuld ist. II. In den vernunftlosen Dingen besteht weder eine Strafe noch eine Schuld. Übel aber sind in ihnen vorhanden. Also giebt es noch anderes Übel. III. Die Versuchung ist ein Übel. Sie ist aber keine Schuld. Denn, sagt die Glosse zu 2. Kor. 12. ne magnitudo: „Die Versuchung, der man nicht zustimmt, ist keine Schuld, sondern Gelegenheit, die Tugend zu üben;“ — sie ist auch keine Strafe; denn die Versuchung geht der Schuld vorher, die Strafe folgt nach. IV. Auf der anderen Seite sagt Augustin (Ench. 12.): „Übel wird es genannt, weil es schädigt.“ Was aber schädigt, ist eine Strafe. Also alles Übel ist Strafe.
b) Ich antworte, daß das Übel ein Mangel am Guten ist, das da hauptsächlich und an sich in der Vollendung und in der Thatsächlichteit besteht. Eine doppelte Vollendung und Thatsächlichkeit aber giebt es: die eine besteht darin, daß das Betreffende sein vollständiges Wesen und Sein hat; die zweite, daß es demgemäß thätig ist. Das Übel ist also in doppelter Weise aufzufassen. Einmal entsteht es dadurch, daß eine Eigenschaft oder ein Teil des Dinges hinweggenommen wird, wodurch dasselbe im Sein nicht vollständig ist; wie z. B. die Blindheit in dieser Weise ein Übel ist und das Fehlen eines Gliedes. Dann entsteht das Übel dadurch, daß eine dem Sein und Wesen entsprechende Thätigkeit überhaupt nicht existiert oder dieselbe nicht die gehörige Ordnung und Zweckrichtung einhält. Da aber das Gute an sich und ohne weiteres Gegenstand des Willens ist; deshalb findet sich das Übel, der Gegensatz zum Guten, in besonders eigener Weise in den vernünftigen Kreaturen, die freien Willen haben. Die erstgenannte Art von Übel also, die im Hinwegnehmen irgend eines zur Vollständigkeit des Seins gehörigen Gliedes oder einer solchen Eigenschaft besteht, hat den Charakter der Strafe; zumal wenn in Betracht gezogen wird, wie alles der göttlichen Vorsehung und Gerechtigkeit unterliegt. Denn zur Natur der Strafe gehört es, daß sie dem Willen entgegen sei, der ja nach Vollendung und Vollständigkeit des eigenen Seins naturnotwendig strebt. Das Übel aber, welches in der Regellosigkeit und Ziellosigkeit des Thätigseins besteht, hat in den vernünftig freien Geschöpfen den Charakter der Schuld. Denn das wird jemandem zur Schuld angerechnet, wenn er nicht der Ordnung und dem Zwecke nach thätig ist; da er doch gemäß dem Willen Herr und Meister seines Handelns ist. So also ist in den freien Geschöpfen alles Übel entweder Strafe oder Schuld.
c) I. Das Übel ist nicht reine Verneinung; sondern Mangel an jenem Gutem, das man nach dem bestehenden Vermögen haben könnte. Deshalb ist nicht alles Fehlen ein Übel; sondern das Fehlen von etwas, was man haben könnte und müßte. Das Fehlen der Sehkraft ist kein Übel im Steine; denn es ist gegen die Natur des Steines zu sehen. Und ebenso ist es gegen die Natur des geschöpflichen Seins, von sich aus sich im Sein zu erhalten. Darin ist also kein Übel. II. Die Teilung betrifft bloß die mit freiem Willen begabten Geschöpfe. III. Die Versuchung ist immer ein Übel in dem, der zum Bösen reizt. In dem aber, der versucht wird, ist die Versuchung kein Übel, außer insoweit er einigermaßen darunter leidet und ihr weicht. IV. Die Strafe schadet dem Betreffenden in sich selber. Die Schuld schadet der Thätigkeit des Handelnden. So hat das Übel immer mit sich das Schaden.
