Zweiter Artikel. In den Engeln ist Liebe aus freier Wahl.
a) Dem scheint nicht so. Denn: I. Die Liebe, welche aus der Schlußfolge, also aus Beraten und Untersuchen entspringt, wird gegenübergestellt der rein vernünftigen Liebe der Engel. Die freie Wahl aber setzt voraus Beraten und Untersuchen. (3 Ethic. cap. 3.) Also ist keine Liebe in den Engeln aus freier Wahl. II. In den Engeln ist nur natürliches Wissen; denn sie schließen nicht von den Principien auf die Schlußfolge, um Wissen durch eigene Mitwirkung zu erlangen. Alles Wissen ist ihnen von Natur aus gegeben. Die Liebe aber entspricht der besonderen Art des Erkennens. Also abgesehen von der übernatürlichen Liebe ist in den Engeln nur Natur-Liebe und keine Wahlfreiheit. Auf der anderen Seite verdienen wir weder etwas, noch mißverdienen wir kraft dessen, was wir von Natur aus thun. Die Engel aber verdienen durch ihre Liebe etwas oder auch mißverdienen sie. Also giebt es in ihnen eine Liebe, die auf Wahlfreiheit beruht.
b) Ich antworte, daß in den Engeln eine Natur-Liebe ist und eine aus freier Wahl hervorgehende; und zwar ist die erstere das Princip und die Grundlage der letzteren, wie immer das, was früher ist, die Natur eines Princips besitzt. Da also die Natur das erste in einem jeden Wesen ist, muß das, was zur Natur gehört, auch Princip in jedem Dinge sein. Und dies erscheint im Menschen sowohl rücksichtlich der Vernunft wie rücksichtlich des Willens. Denn der Mensch erfaßt kraft seiner Natur mit der Vernunft die Principien; und aus dieser Kenntnis geht hervor die Kenntnis der Schlußfolgerungen, welche nicht kraft der Natur bereits erkannt werden, sondern nach gehöriger Arbeit oder durch Unterricht. Auch der Wille strebt kraft seiner Natur nach dem Zwecke, d. h. nach der Vollendung; und daraus wird verursacht der Wille dessen, was zum Zwecke dient. So ist nun die Liebe zu jenem Guten, was der Mensch als seinen Zweck will, eine von der Natur allein stammende Liebe; die von dieser abgeleitete Liebe aber, die auf das sich richtet, was zum Zwecke dient, ist Liebe aus freier Wahl. Der Unterschied zwischen Vernunft und Willen ist, auch nach dieser Seite hin, jedoch der, daß die erkannten Dinge im Erkennenden sind; und es ist eine Folge des Unvollkommenen im Menschen, daß er nicht mit einem Blicke alles kennt, was für ihn natürlicherweise erkennbar ist; sondern daß eine erst vom anderen ableiten muß. Der Wille aber richtet sich wie jedes Begehren nach außen; nämlich nach dem Besitze von Dingen, die außen sich finden. Von diesen nun sind einige von Natur an und für sich gut und deshalb an und für sich begehrenswert; andere aber haben ihre Güte auf Grund ihrer Beziehung zu anderem und sind sonach in dieser Weise nur auf Grund von etwas anderem begehrenswert. Deshalb ist es nicht wegen der Unvollkommenheit des Wollenden, daß er etwas kraft seiner Natur als Zweck begehrt; und daß er etwas anderes kraft seiner freien Wahl begehrt, weil es zweckdienlich ist. Weil somit in den Engeln vollkommene Kenntnis sich findet, besteht in ihnen nur ein Wissen, das die Natur selbst gegeben; nicht aber ein Schließen von einem zum anderen. Weil aber in den Dingen selber die Ordnung ist, wonach vieles nur zweckdienlich ist und deshalb gewollt werden kann oder nicht, je nachdem es zum Zwecke führt, besteht in den Engeln eine Natur-Liebe und eine Liebe aus freier Wahl. Wir sehen aber hier von allem ab, was über der Natur ist; dazu ist die Natur kein genügendes Princip.
c) I. Nicht jede freie Wahl braucht aus der „schließenden“ Vernunft hervorzugehen, sondern nur die freie Wahl des Menschen. II. Ist beantwortet im Texte.
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