Dritter Artikel. Der Engel liebt sich selbst von Natur und aus freier Wahl.
a) Das scheint falsch zu sein. Denn: I. Die Liebe von Natur erstreckt sich auf den Zweck; die aus freier Wahl auf das Zweckdienliche. Dasselbe aber kann nicht zugleich Zweck und zweckdienlich sein. Also liebt der Engel nicht sich selber von Natur und aus freier Wahl. II. Die Liebe „einigt und sammelt“ nach Dionysius. (4. de div. nom.) Der Engel aber hat keine verschiedenen Teile in sich, die er einigen könnte. Also liebt er sich nicht. III. Die Liebe ist eine gewisse Bewegung. Jede Bewegung aber ist auf etwas Anderes hin gerichtet. Also liebt der Engel sich selber gar nicht. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (9 Ethic. 8.): „Das Freundliche gegenüber dem anderen stammt aus der Freundschaft, die man für sich selber hat.“
b) Ich antworte, daß die Liebe auf das Gute sich richtet. Das Gute aber wird (1 Ethic. c. 8.) geliebt: 1. Als für sich bestehendes Gut; und 2. als Eigenschaft eines Seins. Die erste Art Gutes nun wird dann geliebt, wenn man diesem Für-sich-bestehen selber Gutes will; die zweite aber dann, wenn es für jemanden gewünscht wird, daß dieser es hätte. So liebe ich die Wissenschaft; nicht damit ihr ein Gut werde, sondern damit ich sie habe. Die erste Art Liebe nun hat man „die Liebe des Begehrens“, amor concupiscentiae, genannt und die andere, „die Liebe der Freundschaft,“ amor amicitiae. Nun ist es aber offenbar, daß in den der Erkenntnis baren Dingen ein jedes nur das zu erreichen strebt, was ihm selber ein Gut ist; wie das Feuer ohne Rücksicht auf anderes nach oben strebt. Also kraft dieser Liebe, die von Natur kommt, strebt Mensch und Engel nach der eigenen Vollendung; und dies nennt man „sich selbst lieben“. Sonach liebt Mensch und Engel sich selbst dadurch, daß jeder kraft seiner Natur für sich selbst nach einem Gute strebt. Mensch und Engel lieben sich kraft freier Wahl, wenn sie für sich auf Grund ihrer Wahl nach einem Gute streben.
c) I. Mensch und Engel liebt sich nicht selber von Natur und zugleich nach freier Wahl unter ein und demselben Gesichtspunkte. II. Mehr ist es, eins sein, als geeinigt werden. Also richtet sich die Liebe mehr auf sich selbst als auf die verschiedenen Dinge, die mit Einem vereinigt werden können. Dionysius hat sich deshalb des Namens „Einigung“ und „Sammlung“ bedient, damit er zeige, daß die Liebe von der eigenen Person aus auf anderes geht; wie ja auch von dem, was eines ist, die Einigung ausgeht. IIl. Die Liebe ist eine im Liebenden bleibende Thätigkeit, und so bleibt auch die entsprechende Bewegung im Liebenden; sie geht nicht mit Notwendigkeit auf anderes, sondern kann zu sich selbst zurückkehren, daß jemand sich selbst liebe. So geht auch die Kenntnis immer zurück zum Erkennenden, daß er sich selbst erkenne.
