Vierter Artikel. Ein Engel liebt mit natürlicher Liebe den anderen wie sich selbst.
a) Dem steht entgegen: I. Die Liebe steht auf gleicher Stufe wie das Erkennen. Ein Engel nun erkennt den anderen nicht wie sich selbst. Denn sich erkennt er kraft seines Wesens; den anderen aber auf Grund einer diesem ähnlichen Idee. II. Die Ursache ist mächtiger als das Verursachte; und das Princip ist reichhaltiger wie das daraus Abgeleitete. Die Liebe zu sich selbst scheint aber die Ursache und das Princip zu sein für die Liebe zum anderen. Also liebt ein Engel sich selber mehr als den anderen. III. Die Liebe richtet sich von Natur aus nur auf den Zweck und kann nicht entfernt werden. Ein Engel aber ist nicht der Zweck des anderen; und so kann sie auch entfernt werden, wie wir das bei den Dämonen sehen, welche die guten Engel nicht lieben. Auf der anderen Seite scheint das, was in allen Dingen gefunden wird, Natur zu sein. Ekkli. 13, 19. aber sagt: „Jedes Wesen liebt das ihm ähnliche.“ Also.
b) Ich antworte, daß Mensch und Engel kraft ihrer Natur sich selbst lieben. Was aber mit etwas eins ist, ist dieses selbe dann. Also liebt jegliches Ding, was mit ihm eins ist. Und wenn es mit ihm eins ist kraft natürlicher Einigung, liebt er es kraft natürlicher Liebe. Ist es eins mit ihm kraft einer Einigung, die nicht mit der Natur gegeben worden, so liebt er es mit dementsprechender Liebe; wie etwa der Mensch seinen Mitbürger liebt aus Staatsbürgertugend, seinen Blutsverwandten aber kraft natürlicher Liebe, denn er ist eins mit ihm im Princip der natürlichen Zeugung. Offenbar jedoch ist das, was mit einem Anderen in der Gattung oder in der Art eins ist, kraft der Natur eins; und deshalb liebt jedes Ding ein anderes, insoweit es mit ihm derselben Gattung oder Art angehört. Dies erscheint auch in den der Vernunft baren Dingen. Das Feuer sucht seine Form anderem mitzuteilen und das ist sein Gut; gleichwie es von Natur die Neigung hat, sein eigenes Gut zu suchen, das da ist: oben, in der Höhe sein. So also liebt ein Engel den anderen mit Natur-Liebe, insofern er mit ihm die gleiche Natur hat. Insofern er aber mit demselben noch in manchem anderen übereinkommt oder von ihm sich unterscheidet, liebt er ihn nicht mit der Liebe, welche die Natur selber giebt.
c) I. Das „wie sich selbst“ kann verstanden werden von seiten des erkannten und geliebten Gegenstandes; — und so erkennt ein Engel den anderen wie sich selbst, weil er erkennt, der andere habe ein Sein wie er sebst eines hat. Dann kann dieses „wie sich selbst“ verstanden werden von seiten der Art und Weise, wie er sich erkennt und liebt; und da erkennt er den anderen nicht wie sich selbst, denn er erkennt sich kraft seines Wesens und der anderen nur kraft einer Ähnlichkeit. Und ähnlich liebt er den anderen dann nicht wie sich selbst; denn sich liebt er kraft seines eigenen Willens, den anderen aber nicht kraft dessen eigenen Willens. II. Dieses „wie“ bezeichnet nicht Gleichheit, sondern Ähnlichkeit. Denn da die natürliche Liebe auf der natürlichen Einheit beruht, ist das weniger geliebt, was weniger eins mit jemandem ist. Also naturnotwendig wird das mehr geliebt, was ein einziges ist der Zahl nach, wie das, was bloß eines ist der Gattung nach. Aber natürlich ist es, daß er zum anderen eine ähnliche Liebe hat wie zu sich selbst. Insofern er nämlich sich selbft liebt, weil er für sich ein Gut will, liebt er ähnlich auch den anderen, weil er dessen Gut will. III. Die natürliche Liebe richtet sich allerdings auf den Zweck; aber nicht in dem Sinne, daß jemand seinem Zwecke Gutes will, sondern wie auf das Gut, das er für sich selber will und das er folgerichtig für den anderen will, insofern dieser mit ihm eins ist. Und diese Liebe kann auch nicht den schlechten Engeln genommen werden, daß sie nämlich die anderen Engel lieben, insoweit sie eins sind mit ihnen in der Engelnatur. Sie hassen nur, insoweit sie fern sind von den guten Engeln gemäß der Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit.
